Bürokratie-Irrsinn Nr. 6
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung: Kommunen im Bürokratie-Dschungel
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung: Fördermittel-Rückzahlung wegen Formfehlern
Weil einige Rechnungen für den Schulbau erst drei Monate nach der Frist bezahlt wurden, forderte das Land Niedersachsen 1,2 Millionen Euro Fördermittel zurück – plus Zinsen. Für Bürgermeister Steffen Gärtner ist das zu gleichen Teilen Alltag und unbegreiflich. „Wir haben noch Gespräche mit dem Land geführt, um die Rückzahlung abwenden zu können. Mit Blick auf die Vorgaben und Richtlinien des Bundes hat man von Landesseite aber keine Möglichkeit gesehen, von der Rückzahlung abzusehen.“
Dabei ist der Bau rechtzeitig fertig gewesen, das Gebäude längst in Nutzung. Lediglich Restarbeiten an der Fassade wurden später abgeschlossen. Nicht zuletzt, weil es während der Bauzeit immer wieder zu Problemen mit Rohstofflieferungen gekommen war. Das Land aber verweist auf die Förderbedingungen: Nicht die Einweihung des Gebäudes zähle, sondern der Zahlungseingang. Das Land sei zudem machtlos, wenn es um Richtlinien von Bundesfördermitteln ginge.
Förderrichtlinien und kommunale Praxis: Wenn Fristen wichtiger sind als Ergebnisse
Nur einer der Punkte, in denen sich Gärtner vom Land allein gelassen fühlt. „Das BMFSFJ hat die Richtlinien für die Förderung gemacht, das stimmt. Das Ministerium hat aber auch die jeweiligen Landesministerien angeschrieben und nachgehört, ob es Probleme mit den Fristen geben wird“, so Gärtner. „Niedersachsen hat rückgemeldet, es werde alles funktionieren. Dabei gab es ganz massive Probleme mit den Fristen.“
Aber nicht nur das: Man habe von Landesseite zudem immer wieder darauf bestanden, es handle sich in Gellersen um einen Einzelfall. Eine Kommune, die die Regeln nicht verstanden hat. Eine kleine Anfrage an den Landtag hat mittlerweile jedoch bestätigt, dass es in einigen Fällen zu Rückzahlungsaufforderungen kam. Die Fristen waren also nicht nur für Gellersen zu eng gesetzt.
Dass Projekte in dieser Größenordnung kaum auf den Tag genau abgerechnet werden können, liege auf der Hand. „Im Land scheint man keine Ahnung zu haben, wie Bauvorhaben funktionieren. Jeder, der schon einmal sechs Millionen Euro verbauen musste, weiß, wie schwer das ist.“ Dass man das Bauvorhaben unter den Bedingungen in anderthalb Jahren umgesetzt habe, sei großartig – und dass die Förderung am Ende an drei Monaten scheitert, enttäuschend.
Förderprogramme für Kommunen: Komplexität statt Unterstützung
In Gellersen sitzt der Frust tief. Denn solche Erfahrungen sind kein Einzelfall, sondern Symptom einer Entwicklung, die viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Land kennen: Förderprogramme werden immer komplexer, Fristen enger, und die Angst vor Rückforderungen wächst.
Es ist so weit, dass wir uns manchmal fragen, ob wir überhaupt noch versuchen sollen, Fördermittel einzuwerben.

Dabei wäre die Lösung so einfach: „Man könnte den Kommunen die Mittel, die sie ganz offensichtlich benötigen, auch einfach pauschal zuführen. Die Möglichkeiten sind gegeben. Es könnte ganz einfach über die Schlüsselzuweisungen geregelt werden. Aber es gibt keinerlei Vertrauen von Bundes- und Landesseite den Kommunen gegenüber.“
Einwegkunststofffonds: Bürokratisches Monster für Kommunen
Und auch schon der nächste Bürokratieberg steht vor der Tür der Samtgemeinde: der Einwegkunststofffonds. Ein Instrument zur Finanzierung von Straßenreinigung und Müllentsorgung, das auf den ersten Blick sinnvoll erscheint. Wäre die Umsetzung nicht so ein bürokratisches Monster. „Es ist aus meiner Sicht mehr als befremdlich, warum man sich hier für eine derart detailreiche Leistungsmeldung entschieden hat und damit in ganz Deutschland einen immensen Personalaufwand produziert.“
Durch den Einwegkunststofffonds soll zur Kasse gebeten werden, wer Müll produziert. Also: Hersteller von Einwegprodukten wie Coffee-to-go-Bechern, Zigarettenfiltern oder Plastikbesteck zahlen künftig eine Abgabe in einen Fonds, aus dem die Kommunen für ihre Reinigungskosten entschädigt werden. Das Umweltbundesamt verwaltet diesen Fonds und verteilt das Geld an Städte und Gemeinden. Doch: Um Geld aus dem Fonds zu bekommen, müssen diese detailliert nachweisen, wie viel Aufwand sie mit der Beseitigung von Einwegkunststoffabfällen haben.
Leistungsmeldung für Fördermittel: Tagelange Arbeit für die Verwaltung
Dazu dient eine Leistungsmeldung – und das jedes Jahr aufs Neue. Die Verwaltung muss angeben, wie viele Kilometer Straßen, Geh- und Radwege oder Plätze gereinigt werden, wie viele Papierkörbe in der Gemeinde stehen, wie groß deren Volumen ist, wie oft sie geleert werden und wie viele Tonnen Abfall dabei anfallen. Selbst Regenwassereinläufe müssen einzeln erfasst und mit Leerungshäufigkeit gemeldet werden – getrennt für innerörtliche und außerörtliche Bereiche.
Für die Samtgemeinde Gellersen bedeutet das tagelange Arbeit. Bürgermeister Steffen Gärtner: „Ich kann mir kaum vorstellen, dass andere Behörden jährlich erneut das Volumen der örtlichen Mülleimer und deren Anzahl überprüfen.“
Die Gellersener Verwaltung hat für die erste Leistungsmeldung Papierkorbvolumen ermittelt, Rinnsteinlängen vermessen und Reinigungskilometer zusammengerechnet – alles für ein Förderverfahren, das auch einfacher ginge, ist sich Gärtner sicher: „Eine Verteilung über einen geeigneten Schlüssel – zum Beispiel Einwohner oder Gemeindefläche – wäre sicherlich zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen.“
Bürokratieabbau in Kommunen: Augenmaß statt Paragrafendschungel
Ob Fördergelder für Schulen oder Fonds für Müll – das Muster ist immer gleich: Jede Ebene sichert sich ab, jede Behörde kontrolliert noch einmal und am Ende versinkt die kommunale Praxis im Paragrafendschungel. „Die Bürokratie ist ein riesiges Hemmnis, sowohl für den öffentlichen Bereich als auch für die Wirtschaft", kritisiert Gärtner.
Was er fordert, ist Augenmaß – und Vertrauen in die, die vor Ort den Laden am Laufen halten. „Ein 95-prozentiges Ergebnis ist in den meisten Fällen gut genug. Aber bei uns geht das nicht. Man wird dahin erzogen, immer Angst zu haben, man könnte beschuldigt werden, irgendetwas nicht genug bedacht zu haben. Wir haben die falsche Fehlerkultur."




