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  1. Panorama
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  3. Genossenschaften retten das Dorf
Menschen diskutieren in Genossenschaft (Symbolbild)
© Adobe Stock

Lebensqualität

Genossenschaften retten das Dorf

von Rebecca Piron
Stellvertretende Chefredakteurin | KOMMUNAL
19. Juni 2025
Ob Kinderbetreuung, ärztliche Versorgung oder Bereitstellung von Wohnraum – viele Beispiele zeigen, was in Genossenschaften alles geleistet wird. Besonders im ländlichen Raum sorgen sie für lebenswerte Kommunen.

Wirtschaftlich gesehen werten viele Unternehmen kleine Orte nicht als die attraktivsten Standorte. Deshalb fehlt es gerade in ländlichen Räumen vielerorts an wichtigen Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Die letzte Ärztin geht in Ruhestand und findet keinen Nachfolger, die ortsansässige Apotheke schließt und der nächste Supermarkt liegt 30 Kilometer entfernt in der nächsten größeren Stadt.

Genossenschaft statt Rückzug

Doch häufig finden sich vor Ort Menschen mit dem Ehrgeiz, die Daseinsvorsorge und damit auch die Lebensqualität in den Ort zurückzubringen. Nicht selten organisieren sie sich dafür in einer Genossenschaft. Ob Kita, Arztpraxis oder leerstehendes Fachwerkhaus –engagierte Bürgerinnen und Bürger zeigen, was möglich ist, wenn man sich zusammentut. So auch die Genossenschaft Kita NATURA.

Bei den Bauernhof-Kitas der Genossenschaft Kita NATURA helfen die Kinder bei der Versorgung der Tiere mit.
Bei den Bauernhof-Kitas der Genossenschaft Kita NATURA helfen die Kinder bei der Versorgung der Tiere mit.

Kita mit Konzept

„Die Kinder erleben bei uns früh eine Selbstwirksamkeit und fühlen sich wichtig. Sie entwickeln bei uns ganz schnell die Kompetenz, Entscheidungen zu treffen“, sagt Anne-Maria Muhs, Vorstandsmitglied der Kita NATURA eG. Das ist kein pädagogisches Marketing-Sprech, sondern wird tagtäglich auf 30 Bauernhofkindergärten in fünf Bundesländern gelebt. Muhs’ Rezept: Natur, Verantwortung und Miteinander statt städtischer Standardbetreuung. Ihre Genossenschaft betreibt Kindergärten, die eng mit landwirtschaftlichen Betrieben kooperieren – die Kinder werden auf Bauernhöfen betreut und verbringen den größten Teil der Zeit im Freien.

Bohnenernte im Bauernhof-Kindergarten
Bohnenernte im Bauernhof-Kindergarten

Warum Genossenschaft?

Die Idee begann auf Muhs’ eigenem Hof. Damals war der Träger noch ein Verein – doch schnell war klar: Die Anforderungen wachsen schneller als die Tiere auf den Weiden. „Die Aufgaben sind heute so komplex und mit so vielen Risiken verbunden, dass das in der Vereinsstruktur nicht mehr zu leisten ist“, so Muhs. Die Lösung? Die Genossenschaft als neue Rechtsform: „Wir wollten uns juristisch sicher und fachlich bestmöglich aufstellen.“

Was Muhs besonders an der Genossenschaft schätzt: „Alle können mitentscheiden. Wir wollen die Eltern und die Landwirtinnen und Landwirte ins Boot holen. Durch die Rechtsform der Genossenschaft werden alle aktiviert.“ Und das funktioniert: Über 130 Mitarbeitende – überwiegend pädagogisches Personal – sind genauso Teil des Projekts wie Eltern und Landwirte. Kita NATURA möchte zeigen, dass Mitbestimmung in der Kinderbetreuung möglich ist – und erwünscht.

Das unterstreicht auch Daniel Illerhaus, Pressesprecher des Genoverband: „Genossenschaften stärken den ländlichen Raum, weil sie Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Versorgung vor Ort sichern. Zudem bieten sie Bürgerinnen und Bürger auf einfache und demokratische Weise die Möglichkeit, sich für ihre Regionen zu engagieren und fördern so das gesellschaftliche Miteinander.“

Wochenmarkt

Wenn Anne-Marie Muhs und ihre Kolleginnen und Kollegen für eine neue Kita in eine neue Kommune kommen, müssen sie zunächst Überzeugungsarbeit leisten. „Viele kennen unser Konzept nicht und sind erstmal skeptisch“, sagt Muhs. „Aber sobald man sich geeinigt hat, läuft alles reibungslos und wir bekommen aus den Kommunen viel positive Rückmeldung.“ Schwierig wird es für die Genossenschaft vor allem bei der Ausweitung in neue Bundesländer, denn: „Die Gesetze und Förderstrukturen sind überall unterschiedlich.“ 

Länder fördern Gründungen

Die Förderlandschaft für Genossenschaften ist größtenteils bei den Ländern angesiedelt. So hat Hessen etwa gerade erst mit der neuen Fördermaßnahme „STARKES DORF+“ einen neuen Anreiz für die Gründung von Bürgergenossenschaften geschaffen. Niedersachsen hat eine „Förderung der Gründung von Sozialgenossenschaften“ und Bayern die Zukunftsinitiative Sozialgenossenschaften. Förderung für genossenschaftlichen Wohnungsbau gibt es in den meisten Bundesländern. 

Hann.Münden: Bürgergenossenschaft rettet Fachwerkhäuser

Und die Förderungen sind wichtig. Denn was unter anderem in Hann, Münden, Freyung oder Detmold passiert, zeigt: Genossenschaften können bei Engpässen in den Kommunen häufig als Lösung herangezogen werden. Im niedersächsischen Hann. Münden hat die Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt eG schon vier historische Fachwerkhäuser vor dem Verfall gerettet – mit viel ehrenamtlicher und handwerklicher Hilfe und dem Willen, aus Leerstand Lebensraum zu machen. Im bayerischen Freyung investierten Bürgerinnen und Bürger kurzerhand selbst in eine Sauna – samt Ruhebereich und Dampfbad. Und im nordrhein-westfälischen Detmold wurde eine neue Baugenossenschaft gegründet, um leerstehende Kasernenwohnungen in bezahlbaren Wohnraum zu verwandeln.

Die Vorteile einer Genossenschaft liegen für Daniel Illerhaus vom Genoverband im Bereich bezahlbarer Wohnraum auf der Hand: „Eine Wohnungsgenossenschaft hat den Vorteil, dass sie dauerhaft bezahlbaren Wohnraum schafft, da sie mitglieder- und nicht renditeorientiert ist. In der Genossenschaft sind die Mitglieder Eigentümer und Nutzer zugleich und berücksichtigen beispielsweise bei wirtschaftlichen Entscheidungen sowohl die Kapitalgeber- als auch die Bewohnerperspektive. Außerdem führen Mitbestimmungsmöglichkeiten zu einer hohen Identifikation mit dem eigenen Wohnumfeld.“

Dass Genossenschaften auch in der medizinischen Versorgung eine tragende Rolle übernehmen können, beweisen die Gemeinden Wolfegg und Kißlegg in Oberschwaben. Gemeinsam mit dem Arzt Boris Del Bagno gründeten sie Die Praxis eG – eine genossenschaftlich getragene Struktur, die ab 2026 zwei Medizinische Versorgungszentren betreiben wird. Ziel ist es, die hausärztliche Versorgung vor Ort dauerhaft zu sichern – unabhängig von einzelnen Köpfen. Die Gemeinden beteiligen sich nicht nur finanziell, sondern erhalten auch Mitsprache – etwa bei Investitionen. 

"Bei einem genossenschaftlichen MVZ schafft die Orientierung an den Mitgliederinteressen gleichzeitig eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung und gute Arbeitsbedingungen für Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Personal. So lässt sich über eine Genossenschaft mit allen Beteiligten eine an den konkreten Bedürfnissen vor Ort orientierte Struktur finden, die die Versorgung langfristig sichert und flexibel für neue Mitglieder bleibt", sagt Daniel Illerhaus.

Energiewende mit Bürgerinnen und Bürgern

Für die Akzeptanz von erneuerbaren Energien sind Bürgerenergiegenossenschaften echte Gamechanger: Sie machen aus Zaungästen der Energiewende aktive Mitgestalter. In Römerberg in Rheinland-Pfalz etwa hat die Bürgerenergiegenossenschaft einem Ehepaar eine 30.000-Euro-Solaranlage aufs Dach gesetzt. 20 Jahre Miete, dann geht die Anlage für einen symbolischen Euro in den eigenen Besitz über.

Auch Römerbergs Ortsbürgermeister Matthias Hoffmann setzt auf die Kraft der Gemeinschaft: Die Sporthalle soll bald mit Sonnenstrom beheizt werden, weil die Verwaltung das Projekt allein personell nicht stemmen kann. Über 1.100 solcher Bürgerenergiegenossenschaften gibt es bundesweit, rund 60 Prozent davon im ländlichen Raum. 

Um der drohenden Verödung ihres Dorfes entgegenzuwirken, gründeten engagierte Bürgerinnen und Bürger von Ottfingen – Ortsteil der Gemeinde Wenden im Kreis Olpe – die „Zukunfts-Werkstatt“. Aus dieser entstand 2020 die Einkaufs- und Versorgungsgenossenschaft Ottfingen eG. Ihr Motto: „Unser Dorf – Der Laden für alle!“ Mit Unterstützung des Genossenschaftsverbands und viel ehrenamtlichem Einsatz entstand ein Dorfladen mit Bistro, Regionalregal, Schreibwaren und sogar Bargeldausgabe. 

Kinder

Gemeinsam stark vor Ort

Ob es eine Kita ist, ein Dorfladen, schnelles Internet oder ein Ärztehaus: Genossenschaften setzen genau dort an, wo vor Ort spürbarer Bedarf ist. Peter Götz vom Genossenschaftsverband sagt: „Der Vorteil für die Kommunen liegt klar auf der Hand. Dank genossenschaftlicher Lösungen werden sie nicht weiter belastet, im Gegenteil – sie werden oft administrativ und auch finanziell entlastet.“ 

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