Ortsplanung
Sichere Wege für Kinder - Tipps für Kommunen
Unsicherheit, Angst und Vermeidungsstrategien
Wie nehmen Kinder den öffentlichen Raum überhaupt wahr? Wo fühlen sie sich unwohl, was macht ihnen Angst, wo werden sie verunsichert? Diese Fragen standen im Zentrum des Projekts Inersiki. Die Abkürzung steht für: Instrumentenentwicklung zur Erfassung der raumbezogenen Sicherheitsbelange von Kindern und Jugendlichen.
Dabei wurden zehn Methoden entwickelt, die den Kommunen konkret dabei helfen sollen, den Blick der Kinder und Jugendlichen zu berücksichtigen. Kinder sind „verletzlicher und weniger in der Lage, in beängstigenden Situationen zu reagieren als Erwachsene und nutzen daher häufiger Strategien der Vermeidung: Bestimmte Orte werden nicht mehr aufgesucht, Umwege in Kauf genommen, ganze Gebiete werden nicht mehr allein oder nicht mehr zu bestimmten Tageszeiten aufgesucht. Dabei sind Kinder weniger mobil als Erwachsene und sind umso stärker auf ihr Wohnumfeld bezogen. Die Folge: "Unsicherheitserfahrungen engen ihre Lebenswelt ein“, so die Autoren des kostenfreien Handbuchs mit Begleitmaterial. Entwickelt wurde es vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu).
Kinderbeteiligung als zentraler Ansatz
Das Wichtigste, damit sich Kinder in ihren Bedürfnissen überhaupt wahrgenommen fühlen, ist, sie zu beteiligen – das ist die Kernbotschaft des Handbuchs. Hierzu werden verschiedene konkrete Methoden vorgestellt. Zudem werden all jene Bereiche angesprochen, die beim Thema Sicherheit von Kindern betroffen sind, angefangen von der städtebaulichen Kriminalprävention, der quartiersbezogenen Polizeiarbeit über die Kinder- und Jugendhilfe, kommunale Präventionsgremien bis hin zur Stadt- und Freiraumplanung, Akteuren der Wohnungswirtschaft und zivilgesellschaftlichen Institutionen.
Safety Walk in Nordhausen
Wie eine solche Beteiligung der Kinder konkret aussehen kann, hat man vor kurzem in der Stadt Nordhausen erlebt. Anfang des Jahres als kinderfreundliche Kommune ausgezeichnet, steht die Sicherheit von Kindern hier ganz oben auf der Agenda, wie Projektkoordinatorin Steffi Pfeiffer sagt.
„Unser Ziel ist es, die Kinderrechte in den Mittelpunkt zu stellen und Angst- und Gefahrenräume für Kinder zu erkennen und zu beseitigen“, erläutert Pfeiffer. Oft gehe es dabei um Plätze oder Bereiche, die man als Kommune gar nicht so sehr im Blick habe und die für Erwachsene gar kein offensichtliches Problem darstellen würden. „Aus den Augen der Kinder nimmt man ganz andere Dinge wahr, als wenn man als Erwachsener durch die Stadt läuft“, hat auch Christoph Möllhoff vom Ordnungsamt Nordhausen festgestellt und umso wichtiger sei es, die Kinder aktiv einzubeziehen.
Spaziergang durch die Stadt
Um herauszufinden, welche Veränderungen die Kinder sich wünschen in der Innenstadt, wurde im thüringischen Nordhausen ein sogenannter „Safety Walk“ abgehalten, der ab jetzt mindestens einmal pro Jahr stattfinden soll. Zuvor hat die Kommune eng mit den Jugendstellen der Stadt, den Jugendclubs, Schulen und Verbänden zusammengearbeitet und eine breite Befragung von Kindern zu zentralen Stellen in der Stadt durchgeführt. Darauf aufbauend wurden zwei Routen von jeweils rund 2 Kilometern entwickelt. Fünf Gruppen waren auf den festgelegten Strecken unterwegs. Darunter zahlreiche Kinder vom Grundschulalter bis zur 8. Klasse in Begleitung von Aufsichtspersonen. „Die Kinder konnten auf dem Weg alle positiven wie negativen Dinge benennen“, erzählt die Projektkoordinatorin Pfeiffer. Die Anmerkungen wurden protokolliert und danach in einem Gespräch ausgewertet.
Graffiti, Müll, steile Treppen und gefährliche Übergänge
Was die Kinder bei diesem ersten organisierten Gang durch die Stadt angesprochen haben, waren ganz unterschiedliche Dinge. „Mal ging es um vermüllte Orte, mal um Graffiti an der Wand, um einen Kreisverkehr, der schwer zu überqueren ist oder auch um eine zu steile Treppe mit kaputten Stufen“, berichtet Pfeiffer. All diese Punkte wurden schließlich zusammengetragen und an die zuständigen Ämter weitergeleitet. „Uns ist es wichtig, alles, was geht, so schnell wie möglich auch umzusetzen“, sagt Pfeiffer und über alle längerfristigen Prozesse transparent zu informieren. Dabei sei klar: „Es gibt Maßnahmen, die sich kurzfristig umsetzen lassen, eine bessere Beschilderung etwa, kaputte Treppenstufen reparieren oder Graffiti entfernen.“ Es sei wichtig, den Kindern zu erklären, was realistisch ist und was nicht. Das Ziel: „Sie sollen sehen, dass sich durch ihren Beitrag etwas verändert hat und sich insgesamt wohler und sicherer fühlen“, so Pfeiffer.
Sicherer Schulweg durch autofreie Schulstraßen
Geht es um die Sicherheit der Kinder, ist ein großes Kernthema der Schulweg. Kindern sollen ihn möglichst selbstständig und möglichst sicher zurücklegen können. Eine Möglichkeit sind autofreie Schulstraßen. Dabei handelt es sich um Straßen, die permanent oder auch nur temporär für den Kfz-Durchgangsverkehr gesperrt ist - ein sehr wirksamer Ansatz, der für die verantwortliche Kommune und die lokale Verwaltung aber ausgesprochen arbeitsintensiv ist.
Leitfaden für Kommunen
Um den bürokratischen Aufwand zu verringern, hat das Kidical Mass Aktionsbündnis dazu einen Leitfaden veröffentlicht. Es handelt sich um eine weltweite Initiative, die es seit 2017 auch in Deutschland gibt und mit mehr als 700 lokalen Organisationen und Initiativen in den Kommunen vor Ort für mehr Sicherheit für Kinder im Verkehr eintritt. In dem Leitfaden werden die verschiedenen Schritte für die Umsetzung einer Schulstraße konkret aufgezeigt und verschiedene Szenarien durchgespielt, wie etwa die unterschiedliche Lage von Schulen, ob an Hauptstraßen oder Nebenstraßen.
Rechtliche Aspekte klären
Im Dezember 2023 hat das Aktionsbündnis zur Einrichtung von Schulstraßen ein Rechtsgutachten veröffentlicht, im Januar 2024 hat NRW als erstes Bundesland einen Erlass angeordnet, um die Einrichtung von Schulstraßen zu erleichtern. In Österreich ist man da schon weiter: Dort sind Schulstraßen bereits fest im Straßenverkehrsrecht (StVO) integriert. Aus Sicht des Bündnisses braucht es zusätzlich zu einzelnen sicheren Straßen aber immer ein Gesamtkonzept. So stellen die Vertreter fest: „Idealerweise werden Schulstraßen in ein umfassendes, kindgerechtes Mobilitätsmanagement der Kommune integriert. Andere wichtige Bausteine sind eine übergreifende Schulwegplanung, die breite, geschützte Fahrradwege, sichere Überquerungsmöglichkeiten sowie die Anordnung von Tempo 30 auf Schulwegen vorsieht.“
Ordnungspartnerschaft zur Reduzierung von Straftaten
Neben dem Verkehr, der baulichen Gestaltung und dem subjektiven Sicherheitsempfinden spielen auch die ganz konkreten und objektiven Zahlen der Kriminalstatistik eine wichtige Rolle, wenn es um die Sicherheit von Kindern geht. Um hier einzuwirken, hat man in der Stadt Beckum in Nordrhein-Westfalen eine Ordnungspartnerschaft zwischen Polizei und kommunalen Vertretern des Ordnungs- sowie des Sozial- und Jugendamtes gegründet. Mit Erfolg: durch den Einsatz der Ordnungskräfte an bestimmten Brennpunkten in der Stadt konnten Straftaten wie Einbruchsdiebstähle, Kfz-Diebstähle, Sachbeschädigungen und Straßenkriminalität deutlich reduziert werden.
Konkrete Maßnahmen mit Wirkung
Verschiedene Maßnahmen haben in Beckum dazu beigetragen, dass sich die Sicherheit in der Stadt nachweislich erhöht hat. So wurde die Präsenz der Polizei durch regelmäßige Fußstreifen und den Einsatz und die Besetzung mobiler Wachen bei größeren öffentlichen Veranstaltungen sichtbar erhöht. Außerdem wurden von den Ordnungs- und Polizeikräften regelmäßig gemeinsame Kontroll- und Überprüfungsaktionen in Gaststätten, Spielhallen und Videotheken durchgeführt und festgestellte Verstöße konsequent mit Bußgeldern geahndet. Um die Kinder und Jugendlichen direkt zu erreichen wurde zudem ein öffentliches Sicherheitsgespräch mit den Bürgern durchgeführt und werden Veranstaltungen im örtlichen Jugendtreff regelmäßig durch Polizeibeamte begleitet, mit denen die jungen Bürger direkt Kontakt aufnehmen können, wenn sie sich unsicher fühlen.
Hier findet sich das Handbuch des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu)
Hier findet sich der Leitfaden für die Umsetzung von autofreien Schulstraßen
