
Das Leben spielt sich in den Kommunen ab
Herr Buschkowsky, der Politikwissenschaftler Benjamin Barber stellt in seinem neuen Buch eine klare Forderung auf: „Bürgermeister an die Macht!“ Hat Barber Recht?
Man darf die kommunale Ebene nicht gleichsetzen mit den Vereinten Nationen – es gibt schon unterschiedliche Ebenen. Schwierig wird es dann, wenn man sich gegenseitig die Kompetenz abspricht. Das ist bei uns streckenweise der Fall – dass die da oben überhaupt nicht wissen, welche Probleme wir hier haben. Oft denken die: Die sollen gefälligst dafür sorgen, dass in der Kindertagesstätte hier vor Ort alle Glühlampen brennen. Die Kommunalpolitik hat ihre Funktion als Melder , als warnende Ebene, was sich tatsächlich vor Ort an praktischen Dingen passiert, verloren, wenn keiner mehr hinhört. Das Leben der menschen spielt sich in den Kommunen ab – und der Wohlfühlfaktor wird in den Städten und Gemeinden geprägt –nicht im bundestag und schon gar nicht in brüssel. Dafür müssen Politiker vor Ort viel viel fordernder auftreten und eine klarere Sprache sprechen.
Was meinen Sie damit? Viele Bürger wünschen sich ja, dass Politik sich eben nicht immer streitet.
Der Mensch an sich ist harmoniesüchtig. Sie wählen das Prinzip Hoffnung. Natürlich sehen die Menschen die Realität, die sind ja nicht bescheuert. Auch wenn viele Politiker ihre Bürger für bescheuert halten. Aber sie hoffen, dass sie es vielleicht eben doch schaffen. Darum ist das Prinzip Merkel auch so erfolgreich. Es kommt immer nur ins Wanken, wenn ein ganz konkreter Konflikt auftritt, wenn ein konkretes Problem vor Ort nicht mehr zu bewältigen ist. Wenn sich der soziale Frieden andere Ventile sucht. So etwas haben wir im Moment mit Pegida, das ist nichts weiter als der kanalisierte Unwillen von Menschen mit Teilen der Politik, der geschickt instrumentalisiert wurde. Die Politik reagiert darauf mit Beschimpfungen. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist, mit Emotionen der Bevölkerung umzugehen. Die Volksparteien müssen aufpassen, dass ihnen nicht das Volk abhanden kommt.
Wo sehen Sie die Gefahr?
Nehmen Sie das Beispiel mit dem Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“. Die Politik hat das als Schande bezeichnet. Die Reaktion der Bevölkerung waren 1,5 Millionen verkaufte Exemplare. Oder bei Pegida, wo der Justizminister die Bevölkerung auffordert, von ihrem Demonstrationsrecht keinen Gebrauch zu machen. Das halte ich für ziemlich unprofessionell und zu weit weg von den Bürgern.
Trotzdem: Bürger wünschen sich offenbar Konsens in der Politik und nicht den Politiker, der an allem herummäkelt. Sind Sie so betrachtet ein Auslaufmodell?
Nöö, ich bin eher so der Proll aus der Eckkneipe, mit dem sich die feinen Leute nicht so gern umgehen. Weil ich Dinge sage, die die Politiker nicht gerne hören. Weil ich es auch in einer Art sage, wie es die Menschen verstehen. Nur mal ein Beispiel: Da sagt Andrea Nahles wörtlich: Wir müssen die Menschen aktivieren und sie nicht durch Transfertlogiken sizidieren. Was glauben Sie, wer das versteht? Ich würde sagen: Wir dürfen den Menschen nicht einen Scheck in die Hand drücken, damit sie sich einen Sixpack kaufen, Mittags im Schlafanzug vor dem Fernseher sitzen und ihre Faulheit ausleben. Aber ein solcher Satz von mir gesprochen, das kommt in der Politik nicht gut an – aber die Menschen verstehen es. Das merke ich ja immer wieder. Als ich zum Beispiel sagte: Das Kindergeld kommt oft nicht bei den Kindern an sondern landet an der Tanke, weil sich die Eltern dort Bier kaufen. Das gab einen riesigen Aufschrei. Aber was glauben Sie, wie viel der Briefträger zu tun hatte, um mir die ganzen Briefe von Menschen zu bringen, die mir schrieben, wie recht ich habe.
Leben also viele Politiker zu sehr in ihrem eigenen Raumschiff?
Ich sage immer, es ist eine Politik des Elfenbeinturms. Diese Menschen verbringen unheimlich viel Zeit damit, dafür zu sorgen, dass dieser Elfenbeinturm nichti n Gefahr gerät. Das ist purer Selbsterhalt. Und da sind so Rustikaltypen wie ich nicht besonders beliebt – aber bei der Bevölkerung schon, bei den Menschen für die ich als Dorfschulze da bin.
In Ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich mit dem Thema Zuwanderung. Ist die Zuwanderungspolitik in Deutschland gescheitert?
Welche Zuwanderungspolitik? Es gibt da doch keine Politik. Wir haben überhaupt keinen Einfluss, wie sich Einwanderung in Deutschland vollzieht. Das ist eine Einwanderung des Zufalls, und das ist das Problem. Einwanderung muss endlich ein gesteuerter Prozess werden. Ich will ja schließlich mit Einwanderung etwas erreichen. Es soll der Gesellschaft ja nutzen, sie voranbringen. Einwanderung ist kein Testbetrieb für die Sozialsysteme. Aber so wird sie im Moment betrieben.
Müssen also aus Ihrer Sicht die Kommunen ausbaden, was andere falsch machen?
So ist das, schauen Sie nur auf die Asylpolitik. Diejenigen, die vor den Fernsehkameras die Verträge unterschreiben, müssen sie nicht einlösen. Eingelöst werden sie in der Sporthalle in der Gemeinde, in der plötzlich Menschen campieren und der örtliche Sportverein nicht mehr trainieren kann. Eingelöst werden sie in den Schulen mit Kindern, die nicht schulfähig sind, weil sie kein Wort Deutsch sprechen.
Was haben Sie vor Ort denn konkret bewegen können, um das Problem zu lösen?
Der Durchbruch in Neukölln war, als wir außerhalb der Politik an Ansehen gewannen. Man diskutiert in Deutschland heute Integrationspolitik nicht mehr ohne Bezug auf Neukölln. Wir sind schlechthin der Seizmograph der Integrationsfähigkeit der Gesellschaft. Das ist ein großer Erfolg. Erst als die Aufmerksamkeit da war, bekamen wir auch endlich Geld vom Land.
Wurde früher bei der Rütli-Schule weggeschaut, sonnen sich heute Politiker bei der Überreichung der Abiturzeugnisse. Ganz wichtig waren aber auch Initiativen wie Sozialarbeiter, ein Mitmachzirkus oder auch Stadtteilmütter.
Ergänzen Sie bitte folgende Sätze:
Wenn ich Bundeskanzler wäre, dann…hätte es Herr Erdogan sehr viel schwerer, türkische Innenpolitik in Deutschland zu machen
Wenn ich künftig mehr Zeit habe, dann…kann ich mir vieles vorstellen, nur nicht dass ich Mitglied im Angelverein werde