
Keinen Wunschzettel formulieren
Die Politik will jetzt also herausfinden, was die Menschen unter einem guten Leben verstehen. Früher war das einfach, da bestand das gute Leben aus Wohlstand und Gesundheit. Ist das heute nicht mehr so?
Das gehört natürlich heute auch mit dazu und Bildung und Sicherheit. Was wir in einem kleinen Projekt in Frankfurt herausgefunden haben, ist, dass den Menschen das Zusammenleben auch enorm wichtig ist, das Zusammenleben zwischen Weiß und Bunt und zwischen Jung und Alt und mit Kindern und ohne Kinder. Da drückt ein bisschen der Schuh. Das ist etwas, was wir herausgefunden haben, was in dieser Bedeutung so bis dato nicht sichtbar war...
Haben Sie schon eine Vorstellung davon, was der gemeinsame Nenner von 80 Millionen Deutschen bei der Frage nach einem guten Leben sein könnte?
Nicht nur von 80 Millionen Deutschen, sondern auch weltweit sind immer wieder ähnliche Themen wichtig, einfach das Zusammenleben, das Miteinander in der kleinen Einheit Familie, in der Nachbarschaft, in der direkten Umgebung, mit anderen Menschen ganz allgemein. Das ist wichtig, eine gute Bildung zu haben, gesund zu sein, etwas zu tun zu haben, eine sinnvolle Tätigkeit, die auch noch solide bezahlt wird. All das ist Menschen rund um den Globus wichtig.
Ist das dann schon ein gemeinsamer Nenner für einen Arbeitsauftrag an eine Regierung?
Das ist natürlich noch zu klein und viel zu wenig konkret. Dann geht es wirklich darum, tiefer zu bohren und zu gucken: Ja was ist es denn zum Beispiel im Bereich Bildung? Worum geht es denn eigentlich? Wir haben in Frankfurt mit vielen Migranten gesprochen, festgestellt, dass denen Bildung wahnsinnig wichtig ist, Deutsch zu lernen oberste Priorität hat für sie, dass sie aber sehr wenige Angebote haben.
Insbesondere dann, wenn sie mal einen Job haben, wenn sie Geld verdienen können, was sie natürlich wollen, dann sich zusätzlich weiterzubilden im Bereich Deutsch ist sehr, sehr schwierig. Und wir wissen auch, dass wir in Deutschland 15 Prozent der Bevölkerung haben, die funktionale Analphabeten sind. Das ist etwas, was bei uns herauskam...
So eine Befragung, führt die nicht dazu, dass man auch ein wenig die Vollkasko-Mentalität der Bürger fördert, wenn die sich nun nach so einer Veranstaltung hinsetzen und sagen: Das war jetzt unser Wunschzettel und jetzt macht mal bitte?
Darum geht es natürlich nicht, hier einen Wunschzettel zu formulieren, die da oben sollten mal etwas tun, und dann bitte enttäuscht zu sein, wenn das nicht passiert. Es geht auch darum, neu zu verhandeln, wer ist denn wofür zuständig, was können Menschen selber in die Hand nehmen, was können Menschen gemeinsam auch in die Hand nehmen, was ich gerade erwähnt hatte, Thema Bildung, Analphabetismus.
Da sehe ich eine große Rolle für Bürgerengagement, für zivilgesellschaftliches Engagement, für Engagement der Wirtschaft auch, für Unternehmen, dass die dort aktiv werden, und natürlich auch für staatliche Einrichtungen. Da muss man einfach drüber reden, wer spielt jetzt welche Rolle, damit wir gemeinsam zu einem positiven Ergebnis, zu einem besseren Leben kommen.
Und die Akteure, die Sie gerade angesprochen haben, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, die haben auch ein Interesse daran, dass die Rollen neu verteilt werden?
Die meisten, die sich dort engagieren, die wollen doch einen sinnvollen Beitrag zur Zukunft dieser Gesellschaft leisten. Stiftungen überlegen sich, wir haben Geld, wofür sollen wir es denn einsetzen, im Idealfall dafür, die Lebensqualität zu steigern... Da ist natürlich so ein Zukunftsdialog über Lebensqualität sehr, sehr hilfreich.
Vor einiger Zeit schon, da hat sich eine Enquete-Kommission des Bundestages mit der Frage beschäftigt, wie man Wohlstand messen soll, und kam zu dem Ergebnis, das solle man nicht nur noch am Bruttoinlandsprodukt messen. Dieser Dialog ..., liegt der auf derselben Linie, dass man einfach nach anderen ... Orientierungspunkten als nur dem Kontostand sucht?
Der liegt auf jeden Fall auf der gleichen Linie ...: Was gibt es noch jenseits des Bruttoinlandsprodukts rechts und links? Aber es geht ja hier nicht nur um das Messen alleine, sondern es geht auch darum, diesen Dialog zwischen Politik und Bevölkerung zu fördern. Und es geht auch darum, wirklich konkrete Handlungen abzuleiten ... über die verschiedenen Sektoren hinweg.
Nun haftet ja ausgerechnet Angela Merkel das Image an, sich gerade nicht mit Visionen und Wünschen zu befassen, sondern immer nur auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren, sozusagen auf Sicht zu fahren politisch. Was trauen Sie denn vor diesem Hintergrund dieser Initiative zu?
Ich traue der sehr viel zu. Natürlich ist auch Frau Merkel sehr daran interessiert, dieses Land zu gestalten, dieses Land zukunftsfähig zu machen, und die Kollegen aus den verschiedenen Ministerien natürlich auch. Es wird einen ... ressortübergreifenden Aktionsplan "gut leben" geben. Da werden natürlich auch einige Dinge drinstehen, die mit aktuellen Ereignissen zu tun haben...
Das ist auf jeden Fall meine Hoffnung und darauf werde ich auch dringen als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats, dass es auch neue Initiativen gibt, dass es ressortübergreifende Initiativen möglicherweise auch gibt und eben diese Zusammenarbeit mit den anderen Sektoren vorangebracht wird. Da werde ich ein waches Auge drauf haben und ich hoffe, die Bevölkerung, die sich jetzt beteiligt, in den nächsten Monaten und die Presse natürlich auch.
So eine Veranstaltungsreihe, die steht auch immer ein wenig unter dem Generalverdacht, die Menschen einlullen zu wollen oder schon Wahlkampf machen zu wollen. Wie geht man damit um?
Der Verdacht ist natürlich immer da. Aber ich gehe nicht davon aus, dass es den Beteiligten wirklich darum geht. Es geht nicht darum, den Leuten irgendetwas schönzureden... Sondern es geht wirklich um ein genuines Interesse daran, was ist den Menschen wichtig ..., und sich dann zu überlegen, was kann man tun. Natürlich auch da wieder die Wunschliste. Nicht alles, was die Menschen artikulieren, wird auch umgesetzt werden können. Das ist natürlich völlig klar.
So viel muss man auch der Politik zugestehen. Das wird durch die etablierten Prozesse der repräsentativen Demokratie natürlich durchgehen müssen, insbesondere dann, wenn es Geld kostet. Das ist völlig akzeptabel, so muss das auch sein. Aber es wird auch etwas passieren hinten raus.