Sozialstaat
Kommt die Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger?
Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger kontrovers diskutiert
Doch Oberbürgermeister Rico Badenschier und die Verwaltung meldeten nach dem Beschluss Bedenken an. Denn die Umsetzung für Asylbewerber ist zwar relativ einfach mit geltenden Gesetzen machbar. Bei Bürgergeldempfängern hingegen wird es rechtlich schwierig, vor allem aber finanziell deutlich teurer. Ein Grund, warum die Debatte umgehend die Bundespolitik erreichte. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte nach Bekanntwerden des Beschlusses, die "Job-Pflicht für Stütze-Empfänger" müsse deutschlandweit kommen. „Jeder, der in Deutschland Bürgergeld bezieht und arbeiten kann, muss arbeiten gehen. Ansonsten darf es keine Sozialleistungen mehr geben“, so der Wahlkämpfer.
Auf kommunaler Ebene wünschen sich einige Landräte vom Bund vor allem mehr Sanktionsmöglichkeiten. Bisher dürfen Sozialleistungen für Arbeitspflicht-Verweigerer um maximal 10 Prozent gekürzt werden. Der Landrat im Saale-Orla-Kreis, Christian Hergott, hält das aus seiner Erfahrung für zu wenig. "Das bringt nichts, wenn ich nur von 550 auf 500 Euro falle und dafür weiter den ganzen Tag freihabe“, so der Landrat.
Schweriner Verwaltung soll Beschluss des Stadtrats umsetzen
Schwerin jedoch muss nun mit dem Auftrag des Stadtrats umgehen und im Rahmen der Gesetze eine Verordnung schaffen. Bislang gibt es in Schwerin nur sogenannte Arbeitsgelegenheiten, landläufig als „Ein-Euro-Jobs“ bekannt – und zwar deutlich weniger, als es Bürgergeldempfänger gibt. „Aktuell gibt es in Schwerin 31 Arbeitsgelegenheiten in insgesamt acht laufenden Maßnahmen bei sozialen Trägern“, sagt die Schweriner Sozialdezernentin Martina Trauth. „Den weitaus größeren Anteil nehmen andere Programme zur Arbeitsmarktintegration ein, wie etwa Fort- und Weiterbildungen zur Qualifizierung.“ Diese seien zudem auch deutlich wirksamer als reine Arbeitsgelegenheiten. Dies gelte erst recht, wenn die Menschen gegen ihren Willen zur Arbeit herangezogen werden sollen. „Auch angesichts von über 8.000 Leistungsberechtigten ist der Effekt insgesamt fraglich und bedarf einer weiteren Prüfung.“ Bis ein erstes Konzept zur Umsetzung des Beschlusses der Stadtverordneten vorliegt, kann es noch mehrere Monate dauern.
Essens Sozialdezernent für Arbeitspflicht
Anderswo indes gibt es Überlegungen wie in Schwerin schon länger. Der Essener Sozialdezernent Peter Renzel stellte vor dem Städtetag NRW kürzlich ein Papier vor, in dem er ebenfalls eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger forderte. „Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum und mit den im Bürgergeldgesetz einhergehenden gesetzlichen Regelungen machen wir es zu vielen Menschen viel zu leicht, sich dafür zu entscheiden, mit der Zahlung einer monatlichen Grundsicherung, die durch die Steuerzahler finanziert wird, zufrieden zu sein“, heißt es darin. „Dazu geben bei nicht sehr wenigen Leistungsempfängern sozialversicherungs- und einkommenssteuerfreie Nebenbeigeschäfte, wie zum Beispiel eine regelmäßige Schwarzarbeit, so manchem Leistungsempfänger inklusiv seiner Familie zusätzliche finanzielle Sicherheit.“ Nötig sei ein konsequentes „Fördern und Fordern“: Leistungen, die durch die Allgemeinheit finanziert werden, müssten mit der Aufnahme einer Arbeit für das Gemeinwohl durch die Leistungsempfänger verbunden werden.
Einsatzorte für
Menschen, die eine
Arbeitsgelegenheit wahrnehmen wollen, gibt es in Essen.
Renzel schlägt dabei sehr konkret Änderungen in der Sozialgesetzgebung vor. „Wir haben hier Reformbedarf“, sagt er im Gespräch mit „KOMMUNAL“. Denn mit der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung könne man Arbeitslose zwar in Arbeitsgelegenheiten vermitteln. „Aber wir kommen an vielen Stellen nicht weiter.“ Die nächste Bundesregierung sollte deswegen stärker zwischen Menschen, die arbeitsfähig sind, und Menschen, die aufgrund von Krankheiten oder Behinderungen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, unterscheiden. Der Essener Sozialdezernent schlägt den Kommunen vor, in möglichen Debatten nach der Bundestagswahl die Wiedereinführung einer Arbeitslosenhilfe zu fordern, die an eine Pflicht zur gemeinnützigen Arbeit gekoppelt sei. „Durch die „Arbeitslosenhilfe“ werden ausschließlich erwerbsfähige langzeitarbeitslose Bürger mit ihren Familien „durch Steuergelder“ finanziell abgesichert“, heißt es in seinem Papier.
Bundesgesetzgeber soll Gesetz ändern
Was Renzel auch fordert: Eine regelmäßige, einmal im Jahr stattfindende ärztliche Untersuchung beim öffentlichen Gesundheitsdienst, die feststellen soll, ob jemand erwerbsfähig ist. Denn Unternehmen hätten nur wenig Interesse an Mitarbeitern, die gegebenenfalls nur drei Stunden am Tag arbeiten können. Keine Schwierigkeiten sieht Renzel, anders als seine Kollegin in Schwerin, in der Verfügbarkeit von gemeinnütziger Arbeit. „Ein-Euro-Jobs kennen wir jetzt seit 20 Jahren“. In Essen gebe es derzeit rund 4.500 Einsatzorte für Menschen, die eine Arbeitsgelegenheit wahrnehmen wollen. Doch selbst als die Nachfrage danach noch hoch war, wurden sie von gerade einmal 2.000 Menschen genutzt. „Unsere Schwerter sind im Moment stumpf“, meint der Sozialdezernent. „Wir können Menschen nur die Leistungen streichen, wenn sie nicht mitarbeiten.“ Aber das führe nicht dazu, dass mehr Menschen eine Arbeitsgelegenheit wahrnehmen würden.
Wir haben in der Sozialgesetzgebung Reformbedarf.“
„Der Bundesgesetzgeber muss das Gesetz ändern“, fordert Renzel. Wenn die Jobcenter sich nicht mehr um die „nicht erwerbsfähigen“ Leistungsbezieher kümmern müssen, können sie sich konsequenter um ihre Kernaufgabe der Integration erwerbsfähiger Leistungsbezieher kümmern.“ Letztere sollten stattdessen eine „Sozialhilfe für nicht erwerbsfähige Personen unter 65“ beziehen und von den Sozialämtern betreut werden. Sollte der öffentliche Gesundheitsdienst feststellen, dass eine Person wieder erwerbsfähig ist, sollte sie wieder in die Betreuung des Jobcenters übergehen.
Was ist mit Aufstockern?
Ob diese Überlegungen in den anstehenden Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen werden? Die Bundesebene jedenfalls haben die Debatten aus den Kommunen bereits erreicht. Bei Bürgergeldempfängern muss dringend etwas passieren“, sagte etwa CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. „Für die Arbeitslosen, die eigentlich arbeiten könnten, sollten wir eine Jobpflicht einführen“, verweist er auf die Vorbilder Dänemark und die Niederlande.
Kritiker verweisen derweil darauf, dass es auch sogenannte „Aufstocker“ gibt, die Leistungen beziehen, weil die Einnahmen aus ihrem regulären Job nicht zum Leben reichen. Sie müssten weiterhin mehr haben als Bürgergeldempfänger, die zur Arbeit verpflichtet werden.


