
Sicher durch die Nacht
Als er im Oktober 2003 anfing, das Projekt in Bremen bekanntzumachen, war die Skepsis groß. Erwachsene, zum Teil bereits im Rentenalter, die nachts in Gruppen von vier bis sechs Personen unterwegs sind, um alkoholisierte Jugendliche zu bändigen? Kann das gut gehen? Lasse Berger ließ sich nicht beirren. Er suchte Kooperationspartner. Nach und nach begeisterte er die Mitarbeiter der örtlichen Arbeiterwohlfahrt, der Jugendbildungsstätte Lidice Haus und des Präventionszentrum Bremen-Nord für seine Idee. Dann kam die Bremer Straßenbahn AG hinzu.
Als die Bremer Polizei ihre Unterstützung zusagte und die „Aktion Mensch“ eine Anschubfinanzierung von 5000 Euro gewährte, wusste Berger, dass er auf dem richtigen Weg ist. Er schaltete Anzeigen in der Lokalpresse, organisierte Informationsveranstaltungen und ging gezielt auf „Schlüsselpersonen“ aus Sportvereinen, Kirchengemeinden und Elternbeiräten zu.
Mit Erfolg: Spontan erklärten sich gut ein Dutzend Bremer bereit mitzumachen. Fast alle der „Nachtwanderer“ der ersten Stunde sind noch heute mit dabei. Aus Bergers Sicht hat das auch damit zu tun, dass die meisten Jugendlichen positiv auf die erwachsenen Nachtschwärmer reagieren. „Die jungen Leute sind in der Regel sehr offen. Sie merken schnell, dass wir sie nicht bevormunden, sondern ihnen helfen wollen.“
Beobachten Berger und die anderen Ehrenamtlichen, wie Jugendliche ihren Müll achtlos im Park entsorgen oder sich im Bus eine Zigarette anzünden, versuchen sie, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Wir machen das aber ganz ruhig und freundlich und auf Augenhöhe“, sagt Berger. Von oberlehrerhaften Ermahnungen und Belehrungen hält er nichts. „Ohne die Akzeptanz der Jugendlichen geht es nicht. Man muss sie ernst nehmen und ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Nöte haben. Viele haben Probleme, über die sie im Elternhaus nicht reden können. Die erzählen uns dann ihre ganze Lebensgeschichte.“
Läuft eine Situation doch einmal aus dem Ruder, spielen die „Nachtwanderer“ nicht den Hilfssheriff. In speziellen Kursen lernen die ehrenamtlichen Helfer, Konflikte zu deeskalieren. „Wenn wir merken, dass wir nicht weiterkommen, rufen wir natürlich die Polizei“, betont Berger.
Sein Engagement hat sich gelohnt. Inzwischen haben sich in Deutschland rund 40 weitere „Nachtwanderer“-Gruppen gebildet. Weitere sind in Vorbereitung. Berger und seine Mitstreiter haben mehrere Preise gewonnen und stehen unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister Jens Böhrnsen.
Wie viele Prügeleien die Bremer „Nachtwanderer“ verhindert oder wie viele Teenager sie sicher von der Disco nach Hause begleitet haben, wissen sie nicht. Prävention ist nur schwer messbar. Bergers größte Motivation sind ohnehin keine Statistiken, sondern die Überzeugung, dass es wichtig ist, für andere da zu sein und hinzuschauen. „Wir können und wollen Polizisten und Sozialarbeiter nicht ersetzen. Aber mit vergleichsweise wenig Geld sorgen wir für ein angenehmeres, friedlicheres Miteinander“, so Berger.