Fachkräftemangel
Ukraine-Flüchtlinge fit für den deutschen Arbeitsmarkt machen
Ukraine-Flüchtlinge und Berufliche Anerkennung
„Frau Strokan bereitet sie auf ihre Sprachprüfung zum Erreichen der für den Einsatz im medizinischen Bereich notwendigen Sprachqualifikation B2 vor“, sagt Personaldirektor Christoph Sander. „Insofern ist sie ein absoluter Glücksgriff für uns.“ Zudem ist Natalya Strokan gemeinsam mit dem Recruiting-Team der Klinik Ansprechpartnerin für ukrainische Jobsuchende. Durchgeführt werden soll etwa ein monatliches Sprechcafé, in dem sie ukrainische Geflüchtete zusammenführt, die eine berufliche Perspektive im medizinischen Bereich suchen. „Bislang konnten wir außer Frau Strokan leider noch keinem geflüchteten Menschen aus der Ukraine ein Jobangebot unterbreiten“, sagt Sander. Meist fehle die berufliche Anerkennung – die Klinik sei aber dabei, die nötigen Verfahren beim Landesamt für Soziales zu begleiten.

Die Arbeitsstelle am CTK war eine neue Erfahrung und eine Herausforderung für mich, besonders anfangs. Aber dank der netten Unterstützung und Hilfsbereitschaft der Kollegen und Kolleginnen fühle ich mich gut aufgehoben."
Die oft noch größere Hürde sei aber die sprachliche Qualifikation. „Denn für nahezu alle Jobs am Patienten ist das Sprachlevel B2 Voraussetzung“, sagt Sander. Ab Oktober 2023 plant das Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum eine bilinguale Ausbildung zur Pflegefachkraft speziell für ukrainische Geflüchtete. Ähnliches passiert an anderen Pflege- und Hebammenschulen. Es ist ein Beispiel dafür, dass die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer für die unter Fachkräftemangel ächzende Bundesrepublik zum Segen werden könnten: Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) macht jedenfalls deutlich, dass das Qualifikationsniveau der Bevölkerung der Ukraine aufgrund des dortigen Bildungssystems recht hoch sei. Von den vor Beginn des russischen Angriffs auf das Land nach Deutschland gekommenen Ukrainerinnen und Ukrainer verfügten 73 Prozent über gute oder sehr gute Deutschkenntnisse. Vor ihrem Zuzug galt das nur für neun Prozent. „Ähnlich wie bei anderen Migrantinnen und Migranten ist das Niveau der Deutschsprachkenntnisse. se in der Vergangenheit mit der Aufenthaltsdauer recht schnell angestiegen“, heißt es in der Studie.
Ukrainische Geflüchtete als Chance für den Arbeitsmarkt
Auch der von der Bundesagentur für Arbeit herausgegebene Arbeitsmarktbericht für November sieht große Chancen in den ukrainischen Geflüchteten. Seit Februar seien in Deutschland mehr als 627.000 ukrainische Staatsangehörige im für den Arbeitsmarkt relevanten Alter von 15 bis unter 65 Jahren registriert worden. Und anders als die Staatsangehörigen anderer Länder haben sie mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unmittelbaren Zugang zum Arbeitsmarkt. Bei Asylbewerbern aus anderen Herkunftsländern ist die Aufnahme einer Beschäftigung in aller Regel erst nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland möglich. Wer aus einem als sicher eingestuften Herkunftsland stammt, hat dagegen gar keine Arbeitsmöglichkeiten.
Die Flüchtlinge aus der Ukraine indes nutzen diese Möglichkeiten. Den Novemberdaten der Bundesagentur zufolge haben bislang 50.000 von ihnen eine Anstellung gefunden. Bestätigt wird das durch eine Studie des Ifo-Instituts, das 1.500 Geflüchtete befragte. Ein Fünftel von ihnen berichtete, in Deutschland mittlerweile einen Arbeitsplatz gefunden zu haben. Allerdings arbeite mehr als die Hälfte der Befragten auf Stellen, die nach eigener Aussage unter ihrer formalen Qualifikation liegen. „Die Arbeitsbereitschaft unter ukrainischen Geflüchteten ist sehr hoch“, sagt Ifo-Forscherin Tetyana Panchenko. „Nur sehr wenige sind nicht daran interessiert, eine Arbeit aufzunehmen.“
Mehrheit will zunächst in Deutschland bleiben
Die Mehrheit der Befragten will demnach in den nächsten zwei Jahren in Deutschland bleiben. Ihr Anteil hat sich gegenüber einer ersten Befragung unter ukrainischen Flüchtlingen vom Juni sogar erhöht. Gut ein Drittel der Befragten plant, in die Ukraine zurückkehren. In der Umfrage im Juni war es noch knapp die Hälfte. An den unterschiedlichsten Stellen gibt es deswegen auch gezielte Förderprogramme, um ukrainische Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Bereits im September beschloss etwa die niedersächsische Landesregierung, rund zwei Millionen Euro für insgesamt 21 Arbeitsmarktprojekte für geflüchtete Ukrainer zur Verfügung zu stellen. „Geflüchtete aus der Ukraine haben Zugang zu Arbeit und Ausbildung in Deutschland“, sagte der damalige Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU). „Sie sind in vielen Fällen gut ausgebildet und motiviert und können einen wertvollen Beitrag leisten, um den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel in Niedersachsen abzumildern.“ Auch die Wirtschaft engagiert sich, um möglichst viele ukrainische Fachkräfte zu beschäftigen. In der europaweiten Jobbörse "Uatalents" suchen zahlreiche namhafte Unternehmen qualifizierte Mitarbeitende. Anfang Dezember waren etwa Stellen für IT-Experten ebenso ausgeschrieben wie für Elektriker oder Physiotherapeuten.
"Unternehmen integrieren Flüchtlinge"
Zudem gibt es das Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag. 3.368 Unternehmen aus ganz Deutschland sind dort mittlerweile Mitglied: Das Netzwerk gibt Betrieben und öffentlichen Einrichtungen, die Flüchtlinge einstellen wollen, Praxistipps und informiert über Förder- und Unterstützungsangebote. Es dient dem Erfahrungsaustausch und der Rechtsberatung von Betrieben, die sich an dieser Stelle engagieren wollen. Manchmal indes findet die Integration von Flüchtlingen auch auf höchst ungewöhnliche Weise statt. Zum Beispiel durch einen neuen Job als Schwimmtrainer: Ein entsprechendes Projekt gab es in den vergangenen Monaten in Berlin.
Schwimmverband sucht Personal
Die für ihre Erfolge im Wasserball bekannten „Wasserfreunde Spandau 04“ und deren Abteilungsleiter Schwimmen, Sven Spannekrebs, führten zusammen mit dem Berliner Schwimmverband und dem Deutschen Olympischen Sportbund eine Ausbildung für lizensierte Schwimmtrainer durch. Denn in Berlin soll es künftig „Schulschwimmzentren“ geben, an denen der Schwimmverband zusammen mit den örtlichen Schulen einen intensiveren Schwimmunterricht als bisher durchführt. Entsprechend benötigt man zusätzliches Personal. Und von den 21 Teilnehmern, die die Grundlagen der Erteilung von Schwimmunterricht lernten, waren 17 Flüchtlinge. 13 von ihnen erhielten nach der Maßnahme eine Anstellung in den Schulschwimmzentren, die übrigen wurden an private Schwimmschulen und Sportvereine vermittelt. Eine deutsche Teilnehmerin des Kurses, Luzie Mülsch, bilanzierte am Ende, dass auch die vier Teilnehmer, die keine Geflüchteten waren, viel gelernt haben. „Am Anfang hat man gedacht, dass der Kurs für die Flüchtlinge eine große Chance ist, aber ich muss sagen, dass es vor allem für uns Deutsche eine große Chance war, weil wir so großartige Menschen kennengelernt haben"

