Recht aktuell
Zensus: Was tun, wenn Einwohner fehlen?
An die praktischen Konsequenzen der Einwohnerzahl werden Kommunen in diesen Tagen erinnert, denn in den Bundesländern werden derzeit die Mitteilungsbescheide über die amtliche Einwohnerfeststellung übermittelt. Sie führen in vielen Fällen zu Überraschungen. Die Einwohnerzahlen liegen oftmals deutlich unter den Zahlen, die etwa die Melderegister enthalten. Dies schafft vor allem bei den Kämmerern Unruhe. Mit Blick auf die Auswirkungen für den kommunalen Finanzausgleich wollen Gemeinden wissen, wie sie die Rechtmäßigkeit der Einwohnerfeststellung überprüfen lassen können.
Zensus: Wenn Kommunen widersprechen oder klagen wollen
Für diese Überprüfung sind Besonderheiten zu beachten. Die Anforderungen an das Verwaltungsverfahren und Verwaltungsakte sind modifiziert. Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung befragter Einwohner führen für den Rechtsschutz der Gemeinden zu Einschränkungen und haben zur Folge, dass für die Interessenwahrnehmung der betroffenen Kommunen Besonderheiten zu beachten sind. Zulässig bleiben Rechtsbehelfe – je nach Bundesland – wie der Widerspruch oder die Klage in jedem Fall. Da die festgestellte Einwohnerzahl nach dem Zensus eine wesentliche Grundlage für die Finanzausstattung der Gemeinden darstelle, kommt den Gemeinden in jedem Falle eine Klagebefugnis zu. Über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs ist damit noch nichts gesagt.
Akteneinsicht ist beschränkt
Die Prüfung der Erfolgsaussichten muss sich zunächst darauf einstellen, dass die übliche - und für eine professionelle Interessenwahrnehmung unabdingbare – Akteneinsicht von vornherein beschränkt ist. Der Datenschutz führt dazu, dass die kommunalen Empfänger der Feststellungsbescheide keine Einsicht in die vollständigen Datengrundlagen erhalten, ja den statistischen Landesämtern ist es verfassungsrechtlich verboten, den Gemeinden und den Verwaltungsgerichten die Daten zur Verfügung zu stellen. Erhebungsbögen, die bei Haushaltsbefragungen ausgefüllt worden sind, werden regelmäßig gelöscht. Diese Löschung ist aus den oben angesprochenen datenschutzrechtlichen Gründen von den Verwaltungsgerichten toleriert worden, die Vernichtung von Erhebungsbögen führt also nicht dazu, dass von einem fehlenden Nachweis für die Richtigkeit der ermittelten Einwohnerzahl auszugehen ist. Und die Liste der Einschränkungen setzt sich in verfahrensrechtlicher Hinsicht fort.
Für die Begründung des Verwaltungsaktes gelten Besonderheiten. Die Statistikbehörde ist nicht gehalten, Einzelangaben zu liefern, aus denen sich erkennen ließe, ob bei der Erhebung vor Ort Fehler gemacht worden sind, die Einfluss auf die festgestellte Einwohnerzahl haben könnten. Aufgrund der Komplexität der Datenerhebung reicht es aus, wenn sich aus dem Bescheid die Ausgestaltung des Verfahrens zur Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahl ergibt und die Datenblätter in einzelnen Schritten diese konkret ermittelten und der Berechnung zugrunde gelegten Zahlen nachvollziehen lassen.
Gemeinden haben keinen Anspruch auf richtige Einwohnerzahl
Für Gemeinden, die sich mit einer im Vergleich zum Melderegister niedrigeren Einwohnerzahl konfrontiert sehen, bedeutet dies, dass sie im Rechtsbehelfsverfahren einem nicht unerheblichen Begründungsaufwand ausgesetzt sind. Da sie keinen Anspruch auf die Feststellung der „richtigen“ Einwohnerzahl haben, führt es nicht zur Rechtswidrigkeit der Feststellungsbescheide, wenn die „Genauigkeitsvorgaben“ des Zensusgesetzes überschritten werden. Diese gesetzlichen Präzisionsziele stellen keine einklagbaren Grenzwerte dar, sie sind „anzustreben“, nicht aber einzuhalten. Aus einer Überschreitung dieser Zielvorgaben lässt sich also schon für sich genommen nicht ableiten, dass Ungenauigkeiten tatsächlich zu einer niedrigeren Einwohnerzahl geführt haben.
Die Gemeinde muss daher stets überprüfbare Anhaltspunkte dafür vorlegen, dass und inwieweit das jeweilige Landesamt bei seinen Berechnungsschritten normative Vorgaben missachtet hat. Dies schafft Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung. Gemeinden können nicht allein auf abweichende Zahlen in den Melderegistern verweisen, denn in den Zensus fließen die Daten aus verschiedenen Quellen, beispielsweise aus den Registern der Bundesagentur für Arbeit oder dem Ergebnis von Stichprobenbefragungen und Befragungen von Personen in Gemeinschaftsunterkünften, Wohnheimen oder ähnlichen Einrichtungen mit ein. Es reicht also nicht aus, pauschal die Richtigkeit der von den Statistikbehörden ermittelten Daten zu bestreiten. Stets ist zu ermitteln, gegen welchen Normen die Behörde bei der Feststellung des Ergebnisses verstoßen hat.

Möglichkeiten beim kommunalen Finanzausgleich
Und was heißt das für die kommunale Interessenwahrnehmung? Eine Prüfung des Feststellungsbescheides ist unabdingbar. Aber berücksichtigt werden muss auch, dass zensusbedingte Abweichungen bei den Einwohnerzahlen vom Landesgesetzgeber bei der nächsten Fortschreibung des kommunalen Finanzausgleichs nicht ohne weitere Prüfung übernommen werden können. Landesgesetzgeber schulden bei Bestimmung des Finanzausgleiches eine „realitätsgerechte“ Betrachtung. Das kann auch bedeuten, dass die letztendlich durch den Datenschutz erzwungenen Einschränkungen in Bezug auf die Einwohnerzahlen für den kommunalen Finanzausgleich nicht ohne weiteres gelten. Jedenfalls bei – von den Gemeinden nachzuweisenden – erheblichen Abweichungen kann der Gesetzgeber nicht ohne weiteres die Zensusfeststellungen ungeprüft übernehmen. Die Einschränkungen, die das ZensG 2022 Gemeinden zumutet, gelten bei der Bestimmung des kommunalen Finanzausgleiches nicht ohne weiteres. Einzelne Bundesländer geben bereits zu erkennen, dass sie auf diese Unterschiede Rücksicht nehmen wollen.

