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Bahnstrecken
Züge sollen künftig wieder auf Strecken fahren, die nicht mehr genutzt wurden.
© AdobeStock

Bahnstrecken reakivieren

Bahnstrecken reaktivieren - so klappt es rechtlich

von Verena Rösner
Gastautorin | Rechtsanwältin
17. Februar 2023
Die Ampelkoalition von SPD, Grüne und FDP hat angekündigt, stillgelegte Bahnstrecken reaktivieren zu wollen. Dafür kämpfen viele Kommunen seit Jahren, die sich abgehängt fühlen. Doch unter rechtlichen Gesichtspunkten ist die Wiederinbetriebnahme von Streckenabschnitten nicht so einfach. Rechtsanwältin Verena Rösner erläutert die Voraussetzungen.

Die Bundesregierung will mit Blick auf die Herausforderungen des Klimawandels mehr Verkehr auf die Schiene verlagern. Nur: Wo kein Zug fährt, bringt auch das günstigste Ticket nicht weit. Im Koalitionsvertrag bekennt sich die Ampel klar zur Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken. Dass es damit nicht schneller vorangeht, liegt auch am Planungs- und Genehmigungsrecht für Schieneninfrastruktur.

Bahnstrecken reaktivieren, weniger Stilllegungen

Man wolle erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien. Im Rahmen der Auflage eines Programms „Schnelle Kapazitätserweiterung“ sollen unter anderem auch Strecken reaktiviert und Stilllegungen vermieden werden. Die „Beschleunigungskommission Schiene“ kam im Juni 2022 zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Vorschläge wollen die Experten bis Jahresende vorlegen.

Unter rechtlichen Gesichtspunkten ist die Wiederinbetriebnahme von Streckenabschnitten indessen nicht trivial. Zu klären ist zunächst die aktuelle Genehmigungssituation. Anschließend gilt es zu prüfen, inwieweit ein erneutes Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren erforderlich ist und wie sich dieses zu einem etwaigen Bestandsschutz verhält sowie zu natur-/artenschutz- und umweltrechtlichen Regeln wie beispielsweise zum Lärmschutz.

Planfeststellung ist bindend

Betriebsanlagen einer Eisenbahn bzw. einer Straßenbahn dürfen nur gebaut oder geändert werden, wenn ein entsprechender Planfeststellungsbeschluss nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) oder dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) besteht. Dass eine Strecke nach § 11 AEG stillgelegt wurde, hat allerdings keinen Einfluss auf die Gültigkeit der entsprechenden Widmung oder Planfeststellung. Es entfällt durch die Stilllegung allein die Betriebspflicht des bisherigen Streckenbetreibers.

Anders liegt der Fall bei der „Freistellung von Bahnbetriebszwecken“ nach § 23 AEG. Dadurch wird ein sogenanntes „Entwidmungsverfahren“ in Gang gesetzt, das darüber entscheidet, wann und unter welchen Voraussetzungen die Planfeststellung nicht mehr wirkt. Durch die Freistellung erledigt sich der Planfeststellungsbeschluss, die Widmung der Strecke entfällt und die Fläche unterliegt wieder voll der gemeindlichen Bauleitplanung.

Was aber gilt, wenn ein Streckenabschnitt völlig verfallen ist? Häufig hat sich der Schienenweg durch jahrzehntelanges Brachliegenlassen so renaturiert, dass das Gelände kaum noch funktionstüchtige Schienenwege erkennen lässt. Hier entfällt der Planfeststellungsbeschluss wegen Funktionslosigkeit, wenn der Zustand der Bahnanlage die Verwirklichung der bestehenden Planung auf unabsehbare Zeit ausschließt. Das kann eine dauerhafte anderweitige Nutzung des Geländes sein, nicht aber beispielsweise allein die Demontage der Gleise, ihre Überwucherung durch Vegetation oder die Unterbrechung der Trasse durch eine Straße, wenn diese Umstände rückgängig gemacht werden können.

Für Instandsetzungs- und Unterhaltungsmaßnahmen bedarf es nach der Rechtsprechung keines neuen Planfeststellungsbeschlusses, vielmehr dienen diese der Betriebsfähigkeit der Anlage. Selbst wenn die alten Gleise komplett abgetragen und erneuert werden müssen, kann eine solche Maßnahme ohne eine erneute Genehmigung zulässig sein.

Bahnstrecke ohne Zug im Sonnenlicht

Bebauung im Gleisabschnitt im Zweifel unzulässig

Auch wenn eine Gemeinde Fakten geschaffen hat, indem sie einen Teil der viele Jahre nicht mehr genutzten Strecke mittels Bebauungsplan überplant hat und auf dieser Grundlage eine Bebauung erfolgt ist, hindert dies nicht die Reaktivierung der Bahnstrecke. Eine eisenbahnrechtliche Widmung genießt gegenüber einem späteren Bebauungsplan Vorrang. Der Gemeinde bleibt lediglich ein Restplanungsrecht. Festsetzungen in einem Bebauungsplan sind danach möglich und wirksam, soweit sie die Bahnanlagen nicht einschränken oder ihr zuwiderlaufen.

Eine Baugenehmigung, die im Widerspruch zur eisenbahnrechtlichen Widmung eine Bebauung im Bereich der Gleisanlagen zugelassen hat, ist rechtswidrig. Bei einem Konflikt mit der Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke kann die Baugenehmigung aufgehoben werden; dem Betroffenen steht dann aber unter Umständen ein Entschädigungsanspruch zu.

Natur- und Artenschutz beachten

Langjährige Betriebsunterbrechungen führen erfahrungsgemäß zu einer Überwucherung der Gleisanlagen mit Vegetation, was komplexe artenschutzrechtliche Konflikte in Bezug auf besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten mit sich bringt. Die Regelungen des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) sind auch bei bereits zugelassenen Vorhaben anwendbar, wenn nachträglich artenschutzrechtliche Konflikte auftreten. Höchstes Augenmerk gilt dabei besonders geschützten Fledermausarten in Tunnelanlagen.

Kommen im Streckenbereich geschützte Tier- und Pflanzenarten vor, müssen diese in artenschutzrechtlicher Hinsicht zeitintensiv erfasst werden und es ist die Frage zu bewerten, ob das Tötungs- und Verletzungsrisiko signifikant erhöht wird und ob Schutzmaßnahmen das Risiko unter die Signifikanzschwelle absenken können. Bisher fehlen bundeseinheitliche Maßstäbe und Standardisierungen für die Risikobeurteilung, was in der Praxis zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führt.

Lärmschutz - Konflikte mit Anwohnern

Werden stillgelegte Bahnstrecken wieder für den Betrieb ertüchtigt, führt dies vielfach zu Lärmkonflikten mit Anwohnern entlang der Strecke. Kernfrage ist dabei, ob Anwohner weitergehenden Lärmschutz verlangen können. Grundsätzlich kann die Nachbarschaft selbst aus einer über einen langen Zeitraum hinweg geringen tatsächlichen Streckenauslastung keinen Vertrauenstatbestand ableiten, dass die Lärmbelastung hierauf zu deckeln wäre. Entscheidend ist, ob die Wiederinbetriebnahme die zulässigen Immissionsgrenzwerte einhält und die grundrechtlich geschützte Zumutbarkeitsschwelle nicht überschritten wird.

Finanzierung

Zu guter Letzt stellt sich die wichtige Frage nach der Finanzierung. Um die Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden zu verbessern, bietet der Bund den Ländern die Möglichkeit, den schienengebundenen ÖPNV anteilig mit Bundeshilfen zu finanzieren. Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) aus dem Jahr 2020 gilt dies auch für die Reaktivierung von Schienenstrecken.

Dass auf diese Gelder noch nicht zurückgegriffen wurde, lag bislang an einer fehlenden Grundlage für die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Wiedertüchtigung alter Schienenwege. Seit Juli 2022 liegt nun aber ein neues, standardisiertes Bewertungsverfahren als Grundlage für dne Nachweis der Gesamtwirtschaftlichkeit eines Vorhabens vor. Damit steht nun auch der anteiligen finanziellen Förderung der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken nichts mehr entgegen.

Genehmigungshürden und Standards

Auch der Verkehrssektor muss seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die dringend erforderliche Mobilitätswende mit einem Umstieg auf den ÖPNV wiederum gelingt mit einer Reaktivierung stillgelegter Strecken schneller als mit Neubau- oder Ausbauvorhaben, da hier in der Regel langwierige Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren vermieden werden können. Lediglich ein Neubau oder eine wesentliche Änderung bedarf eines neuen Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens, insbesondere wenn der stillgelegte Schienenweg um ein oder mehrere durchgehende Gleise erweitert werden soll.

In allen anderen Fällen bedürfen bauliche Maßnahmen bei der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken selbst dann keines neuen Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens, wenn zahlreiche öffentliche Belange wie Natur- und Artenschutz betroffen sind. Aber auch hier stellen sich Genehmigungshürden. Insbesondere beim Artenschutz müssen bundesweit einheitliche Standards zur Beurteilung der Signifikanzschwelle geschaffen werden.

 Verena Rösner ist Partnerin, Rechtsanwältin und Mediatorin im Umwelt- und Planungsrecht bei der Kanzlei Menold Bezler in Stuttgart.

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