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  3. Versorgungssicherheit: Energieautarke Kommunen können zum Kollaps führen
Blick auf Cottbus
In Cottbus ist die Universität angesiedelt, an der Harald Schwarz Professor ist.
© AdobeStock

Interview zur Energiewende

Versorgungssicherheit: Energieautarke Kommunen können zum Kollaps führen

von Benjamin Lassiwe
Reporter | KOMMUNAL
27. September 2022
Ohne Atomkraftwerke oder alternativ Gaskraftwerke kann Deutschland keine Versorgungssicherheit sicherstellen. Energieautarke Gemeinden können derweil sogar zum Kollaps führen. Das sagt der Professor an der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, Harald Schwarz im KOMMUNAL-Interview.

KOMMUNAL: Herr Schwarz, wie schätzen Sie die energiepolitische Situation in Deutschland im Moment ein?

Für einen gelernten und überzeugten elektrischen Energietechniker ist es im Moment schwierig: Als Energietechniker habe ich ein anderes Grundverständnis in der Frage, wie man eine sichere Stromversorgung bekommt, als das, was im Moment von der Politik vorangetrieben wird. Wir müssen einfach sehen, dass es einen großen Unterschied zwischen der Strom- und der Gasversorgung gibt. Im Gasnetz habe ich Speicher, die reichen aus, um Deutschland für einige Monate zu versorgen. Da bestellt man mehr oder weniger gleichbleibend Gas. Im Sommer, wenn wir weniger Gas brauchen als geliefert wird, füllen wir die Speicher neu. Im Winter haben wir mehr Bedarf und bedienen uns an den Speichern. Das ist ein relativ simples System, das ich über Wochen und Monate vorher planen und betreiben kann. Im Stromnetz hingegen reichen alle meine Speicher nur, um Deutschland für 30 bis 60 Minuten zu versorgen. Und damit ist im Stromnetz die erste Priorität: Wir müssen zu jedem Zeitpunkt, Minute für Minute, Erzeugung und Verbrauch zueinander bringen.

Wie kann das funktionieren? Wie können wir die Versorgungssicherheit herstellen? 

Wir sind ja im Stromnetz europaweit vernetzt. Und wir brauchen eine Messgröße in ganz Europa, über die wir erkennen können: Stehen Verbrauch und Erzeugung im Gleichgewicht oder nicht? Diese Messgröße heißt im elektrischen System Frequenz. Sie entspricht der Drehzahl der Generatoren in den Kraftwerken: Wenn ich das Netz zu sehr belaste, weil ich mehr Abnehmer habe, als ich Strom erzeuge, geht die Frequenz nach unten. Habe ich zu viel Erzeugung geht die Frequenz nach oben. Über diese Messgröße Frequenz kann jedes Land in Europa unmittelbar Maßnahmen einleiten, wenn die Frequenz nach unten geht: Wenn mehr Verbraucher dran sind, muss zusätzlich Kraftwerksleistung dazu. Wenn weniger versorgt werden, muss ich halt weniger einspeisen. Nun haben wir das Problem, dass wir bei den regenerativen Energien mit Erzeugern arbeiten, die nicht planbar sind. Schwankungen der Windgeschwindigkeit führen natürlich zu erheblichen Schwankungen in der Einspeisung von Strom aus Windenergie. Genauso ist es bei der Photovoltaik. Diese Schwankungen muss ich ausgleichen. Aber dafür brauche ich Kraftwerke – Kohle-, Gas-, Atom- oder Wasserkraftwerke. Denn die kann ich steuern: Wenn ich mehr oder weniger Leistung brauche, mache ich mehr oder weniger Kohle rein. Das gleiche bei den Brennstäben im Kernkraftwerk, das gleiche bei Wasserkraftwerken mit dem aufgestauten Wasser. Und diese Kraftwerke wollen wir aus politischen Gründen überwiegend abschalten.

Können Kommunen etwas zum Thema Versorgungssicherheit unternehmen?

Das, worüber wir jetzt gesprochen haben, ist im Prinzip eine Aufgabe der nationalen Ebene. In ganz Deutschland haben wir vier Unternehmen, die sich um die Übertragungsnetzte kümmern und Maßnahmen ergreifen müssen, um die Frequenz einzuhalten. Manche Städte haben große Stadtwerke, aber im Sinn der Systemstabilität können die Kommunen hier gar nichts beeinflussen.

Was Sie aber natürlich haben, sind viele Kommunen im ländlichen Raum, die stark in Windkraft oder Solarparks investieren. Ist das sinnvoll oder ist das Blödsinn? 

Es gibt ein paar Kommunen, die energieautarke Gemeinde werden wollen. Das ist natürlich aus Sicht des Netzbetriebs absolut kontraproduktiv. Denn dahinter steckt ja nur: Ich schaue mir über ein Jahr zusammengezählt an, wie viel Strom ich in einem Jahr verbrauche und wieviel ich erzeuge. Und wenn beide Werte dieselben sind, bin ich energieautark. Das Dumme ist nur: Gerade bei Wind und Photovoltaik wird an manchen Tagen viel mehr erzeugt, als ich verbrauchen kann. Da sagen diese Kommunen dann: Irgendwer wird es mir schon abnehmen. Und wenn ich zu wenig produziere, heißt es: Irgendwer wird mir schon was abgeben. Wenn das wenige Kommunen machen, kann alles gut gehen. Wenn es alle machen, kann es auch zum Kollaps führen.

Harald Schwarz von der TU Cottbus-Senftenberg

„Vor 20 Jahren waren wir weiter als heute. Damals war klar, dass Photovoltaik und Windenergie nicht zuverlässig sind.“

Harald Schwarz, Professor an der BTU Cottbus-Senftenberg

Ein Thema in dem Zusammenhang sind Speichertechnologien. Wo stehen wir da?

Da gibt es die Pumpspeicherkraftwerke. Da nehme ich Strom unmittelbar aus dem Netz und pumpe Wasser den Berg hoch. Wenn ich den Strom wieder brauche, lasse ich das Wasser den Berg wieder runter und habe den Strom mit einem Wirkungsgrad von 70 bis 80 Prozent zurück. Je nachdem, wieviel Strom entnommen wird, reichen unsere Pumpspeicher, um Deutschland für 30 bis 60 Minuten mit Strom zu versorgen. Der größte deutsche Pumpspeicher reicht für acht Gigawattstunden, die gesamte Speicherkapazität beträgt 40 GWh. Wenn wir einige windstarke Tage im Osten Deutschlands haben, reden wir von Überproduktionen von einigen hundert Gigawattstunden. Wenn wir über Batteriespeicher reden: Die größte Batterie Deutschlands in Schwarze Pumpe kann 0,05 Gigawattstunden speichern. Mein Bauchgefühl sagt deswegen: In den nächsten 20, 30 Jahren werden wir im Stromnetz definitiv nicht die Speicher haben, die wir schon heute für die regenerativen Energien bräuchten.

Das heißt, die Konsequenz ist ein Zurück zu Kohle und Atom?

Wir waren da schon mal weiter. Vor 20 Jahren hatten wir erkannt, dass Photovoltaik und Windenergie nicht zuverlässig sind. Damals hatten wir die Idee, die zu viel erzeugte elektrische Energie mittels Elektrolyse in Wasserstoff umzuwandeln. Doch das Projekt wurde gestoppt, weil man der Ansicht war, man kann fehlende Strommengen für Deutschland zu jedem Zeitpunkt in jeder Menge in unseren Nachbarländern kaufen. Heute, 15 Jahre später, haben wir gemerkt, der Schuss ging nach hinten los. Wir haben eine Wasserstoffstrategie geschrieben und jetzt bauen wir das auf, was wir vor 20 Jahren schon hatten. Und wir stehen immer noch vor dem Problem, was wir mit dem Wasserstoff machen. Wir müssen nun erst einmal die gesamte Infrastruktur zum Transport und zum Speichern von Wasserstoff entwickeln und aufbauen. Das kostet Zeit und Geld.

Und wo wird es in den nächsten zehn Jahren hingehen?

Wir werden einen verlässlichen Sockel für die Stromerzeugung brauchen. Entweder die Kernenergie – aber in Deutschland wird wohl niemand mehr ein neues Atomkraftwerk bauen. Oder die Braunkohleverstromung,  verbunden mit einer CO2-Abscheidung. Denn daraus kann man dann die Elektrolyse, die Wasserstoffproduktion, die Schaffung synthetischer Kraftstoffe und so weiter entwickeln. Aber bis wir soweit sind, werden noch Jahrzehnte vergehen.



 

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