Energiewende
Wenn das Stadtwerk wankt – Handlungsoptionen für Kommunen
Stadtwerke Sigmaringen: blaues Auge und große Investitionen
Vor einem Jahr, als Falk-Wilhelm Schulz die Leitung der Stadtwerke übernahm, musste er eine "existenzbedrohende Krise" abwenden: Es fehlte eine achtstellige Summe, die man nicht mehr auf die Kunden abwälzen konnte. Seitdem haben sich die Stadtwerke einer Rosskur unterzogen. Abläufe wurden gestrafft, die Personaldecke verschlankt, der Energiehandel umgestellt. Auch die Stadt sprang in die Bresche: Im Rathaus verzichtete man auf 11,5 Millionen Euro, die als Darlehen gewährt worden waren. Erste Erfolge haben sich eingestellt. Mittlerweile sind die Stadtwerke Sigmaringen bei Banken wieder finanzierungsfähig.
Millionensummen an Investitionen werden benötigt
Die Herausforderungen sind aber immer noch groß. Im Zuge des Klimawandels muss die Wasserversorgung langfristig anders aufgestellt werden. Die Ertüchtigung der Stromnetze innerhalb der kommenden zehn Jahre wird 35 Millionen Euro an Investitionen benötigen. Noch weitaus mehr die Tatsache, dass bis 2040 sukzessive kein Erdgas mehr durch die Leitungen fließen soll. Falk-Wilhelm Schulz erläutert: "Unseren etwa 3.000 Gas-Kundinnen und -Kunden müssen wir also innerhalb der nächsten 15 Jahre ein neues Angebot machen. Wärmepumpen sind in der dicht bebauten Innenstadt aber ein Problem und Luftwärmepumpen zu laut. Wir rechnen derzeit mit einem Investitionsvolumen von etwa 85 Millionen Euro. Geld, das wir nicht haben. Natürlich wird es dafür Fördermittel geben, aber das alleine wird nicht reichen."

Wir können uns vorstellen, mit anderen Stadtwerken im Landkreis Kooperationen zu bilden.
In Sigmaringen wird stattdessen über andere Finanzierungsmöglichkeiten nachgedacht: etwa über Stadtwerke-Fonds oder Bürgergenossenschaftsmodelle. Vorstellen kann man sich hier auch, mit anderen Stadtwerken im Landkreis Kooperationen zu bilden. "Mit Blick auf den Fachkräftemangel wäre es sicherlich sinnvoll, auf diese Art zum Beispiel mehr Effizienz im Bereich Personal herzustellen", sagt Falk-Wilhelm Schulz.
Die Stadtwerke in Münster: Hier fühlt man sich für die Zukunft gewappnet
Als gut gerüstet für die Zukunft wähnen sich die Verantwortlichen bei den Stadtwerken in Münster. Nach Steuern erwirtschaftet man in der westfälischen Universitätsstadt jedes Jahr etwa 10 bis 12 Millionen Überschuss nach Steuern. Und da sind der verlustreiche Öffentliche Nahverkehr schon eingerechnet. Außerdem zahlen die Stadtwerke noch immer Dividenden an die Kommune. "Und darauf sind wir auch ein bisschen stolz", unterstreicht Geschäftsführer Sebastian Jurczyk. Und Thomas Haiber, kaufmännischer Leiter, ergänzt: "Wir pflegen hier in Münster eine gute Bilanzstruktur, haben die Liquidität immer im Auge und verfügen über einen ziemlich guten Ruf bei den Banken. Das hilft." Sebastian Jurczyk nickt: "Das Eigenkapital wird auch immer wichtiger. Bei einem Satz unter 30 Prozent werden Kredite teurer oder sogar unmöglich. Hilfreich sind auch sogenannte nachrangige Gesellschafter-Darlehen, die wie Eigenkapital gewertet werden, obwohl sie zurückgezahlt werden müssen."
Was sind die Erfolgsfaktoren?
Ein Erfolgsgeheimnis der Münsteraner besteht darin, dass die Verantwortlichen frühzeitig erkannt haben, dass sie nicht alle großen, finanziell aufwändigen Projekte alleine stemmen müssen. Den Glasfaserausbau zum Beispiel finanziert zu 30 Prozent ein privater Investor mit. Ein österreichisches Unternehmen mit einer Dependance in Deutschland beteiligte sich an der Investition in einen Großbatteriespeicher. Geteilte Chancen, geteiltes Risiko, geteiltes Know-how, nennt man solche Kooperationen bei den Stadtwerken. Ein anderes großes Thema ist die Energiewende: Münster hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2045 zu 100 Prozent auf Erneuerbare zu setzen. Schon bei seinem Antritt 2019 - noch vor der Energiekrise - hat sich Sebastian Jurczyk dafür entschieden, Gas als Auslaufmodell zu betrachten. "Stattdessen fokussieren wir uns auf große Wärmepumpen, Solar- und Geothermie."
Für das ehrgeizige Ziel stehen enorme Investitionen an, aber die beiden sind optimistisch. Der Geschäftsführer will auch in diesem Bereich auf Investoren aus der Privatwirtschaft setzen: "Für uns ist Kooperation der neue Wettbewerb." Das sieht sein Kollege Thomas Haiber ganz genauso: "Unsere Erfahrungen sind gut und wir sehen großes Interesse bei Investoren, weil solche Projekte als sichere Investitionen gelten."

Wir fokussieren uns auf große Wärmepumpen, Solar- und Geothermie."
Künstliche Intelligenz - ein Werkzeug für die Zukunft?
Stadtwerke können laut Handelsblatt mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) bis zum Jahr 2035 Einsparungen von 56 Prozent verbuchen. Das sei jedenfalls das Ergebnis einer Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK). Von solchen Zahlen hält Jurczyk wenig, eine "Scheingenauigkeit" nennt er solche Angaben. Aber Chancen und Potenziale sieht er in der KI schon. "Wir haben sogar eine eigene Abteilung gegründet, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Mit den Chancen, aber auch mit den ethisch-moralischen Komponenten. Vielleicht spüren wir in zehn Jahren den Fachkräftemangel weniger, weil die KI uns Arbeit abnimmt."
Co-Geschäftsführer Thomas Haiber unterstreicht: "Wir machen damit jetzt schon gute Erfahrungen. So haben wir einen Wissensassistenten auf der Basis einer unternehmensspezifischen ChatGPT eingerichtet, der unsere Regularien punktgenau nach dem richtigen Paragrafen heraussuchen kann." Zu diesem Spektrum erklärt Norbert Reuter aus Konstanz: "Die Anwendungsbereiche von KI in den Geschäftsfeldern von Stadtwerken sind enorm und werden zwischenzeitlich sehr konkret. Wir gehen deshalb davon aus, dass diese Erkenntnisse sukzessive die Branche erreichen werden."
Dabei verweist er auf eine bereits bestehende Brancheninitiative im Netzbetrieb. Auch Falk-Wilhelm Schulz hat die Entwicklungen in diesem Bereich im Blick: "Im Kundenservice etwa sehe ich Einsparmöglichkeiten durch den Einsatz von KI - den klassischen Stromableser wird es wohl bald nicht mehr geben. Auch im Rechnungswesen sehe ich Potenzial. Ob diese Möglichkeiten sich auf 56 Prozent Einsparvolumen addieren werden, kann ich faktisch natürlich nicht belegen."
Stadtwerke Konstanz: Neue Marktchancen
Norbert Reuter, Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz, zählt die Herausforderungen auf: die Klimaschutzziele der unterschiedlichen politischen Ebenen, die Dekarbonisierung der Wärme- und Energieversorgung sowie die Mobilitätswende - mit Auswirkungen auf die deutschen Stadtwerke. "In diesem Kontext wird sich der Verkauf und die Durchleitung von Erdgas in den Folgejahren sukzessiv reduzieren. Parallel dazu werden regenerative Wärmelösungen in Form von Nahwärmenetzen und individuellen Einzellösungen benötigt, womit jeweils die Erfordernis zum deutlichen Ausbau der Stromnetze einhergeht. Ferner ergeben diese neuen Lösungen in Verbindung mit dezentral erzeugter Energie insbesondere durch PV-Anlagen und Wärmenetze Marktchancen, die es mit marktfähigen und qualitativ hochwertigen Produkten und Dienstleistungen zu realisieren gilt.
Der Umsatz- und Erlösrückgang durch sinkende Erdgasumsätze kann so gegebenenfalls - teilweise - kompensiert werden", erklärt Norbert Reuter durchaus positiv gestimmt. Zusätzlich baue man auf den im Koalitionsvertrag vorgesehene Investitionsfonds. Für den Wärmebereich sei in Konstanz bereits ein Kooperationsmodell für einen ersten Wärmeverbund vereinbart. Hier in Konstanz glaubt man auch nicht, dass ein Szenario wie in Laage in Mecklenburg-Vorpommern für eher klassische Stadtwerke möglich sein könnte: "Die Eigentümerstruktur und auch die Geschäftstätigkeit der SW Laage unterscheidet sich deutlich von der Mehrzahl der Stadtwerke in Deutschland."

"Der Verkauf und die Durchleitung von Erdgas werden sich sukzessiv reduzieren."
Unsicherheiten bleiben - Kritik aus Konstanz:
- Der aktuelle NEST-Prozess (Nest steht für „Netze. Effizient. Sicher. Transformiert) der Bundesnetzagentur zur Regulierung der Stromnetze beinhalte keine adäquate Möglichkeit zur Refinanzierung der erforderlichen Investitionen.
- die Regierung plane laut Koalitionsvertrag eine technologieoffene, flexiblere und einfachere Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes GEG mit entsprechenden Unsicherheiten für die bereits genannten Investitionen;
- der künftige CO₂-Preisei nach einer Überführung in das European Union Emissions Trading (ETS)-System offen, beeinflusse jedoch die obigen Investitionen ebenso wesentlich.


