Mobilität
ÖPNV: Nahverkehr am Wendepunkt - das rät ein Experte
ÖPNV: Es braucht politischen Willen
Der Öffentliche Nahverkehr krankt in Deutschland unter anderem daran, dass die politischen Prioritäten jahrzehntelang auf dem Auto ruhten. Aber das ist nur ein Grund dafür, warum die Neugestaltung des Öffentlichen Nahverkehrs hierzulande nicht wirklich aus den Puschen kommt. Schiefelbusch erläutert: "Der ÖPNV ist und bleibt ein Zuschussgeschäft und es braucht den politischen Willen, die Entwicklung hin zu mehr ÖPNV zu finanzieren und inhaltlich zu unterstützen. Beides ist nicht überall gegeben." Außerdem lege die aktuelle Verkehrsforschung den Schluss nahe, dass potenzielle Nutzerinnen und Nutzer ohne ÖPNV-Erfahrung nur schwierig zu gewinnen seien.
Ebenso wenig hilfreich sei die Kompliziertheit und Unübersichtlichkeit von Tarifangeboten und die vielen Verkehrsverbünde. "Das Deutschlandticket ist gerade deshalb eine Art Quantensprung, weil es extrem nutzerfreundlich ist. Eine immer neue Diskussion um das Ticket schadet allerdings der Akzeptanz, weil das nur dazu führt, dass die Menschen sich aufgrund der Unsicherheit nur selten dazu bringen lassen, sich vom Auto ab und dem ÖPNV hinzuwenden."
Und eine für Veränderungen offene Gesellschaft
Was aber wären aus seiner Sicht die Grundlagen für eine größere Akzeptanz des ÖPNV? "Das Angebot muss einfach besser werden. Es braucht eine umfassende Erreichbarkeit, höhere Taktungen zu jeder Uhrzeit, gute Verkehrsplanungen, mehr Kooperationen unter den Anbietern und - daran geht nichts vorbei - eine bessere finanzielle Ausstattung."
Eine sogenannte Mobilitätsgarantie – wie sie verschiedene Länder als Ziel formuliert haben – sei ansonsten nicht herstellbar. Die aber braucht es, um mehr und mehr Menschen von den Vorteilen öffentlicher Verkehre zu überzeugen."
In der langfristigen Perspektive müsse man ehrlich feststellen: Die Orientierung der Deutschen am Auto sei nicht von heute auf morgen zu ändern. Neben einem gut organisierten Nahverkehr brauche es aber die mentale Offenheit der Menschen für den Wandel. "Wenn es diese Offenheit nicht gibt, dann nützt auch das beste Angebot wenig.
ÖPNV - der soziale Faktor wird selten beachtet
Projekte, mit denen der ÖPNV sich in die Zukunft entwickeln soll, gibt es reichlich. Als spannendes Beispiel dafür nennt der Experte das Projekt "SMILE24: Mobil von der Schlei bis an die Ostseeküste - Das On-Demand-Verkehrsangebot in Kombination mit Bikesharing, Carsharin und Expressbussen. Allerdings überleben manche Projekte dieser Art die Testphase nicht oder sie sind derzeit noch nicht auf dem technischen Stand, um auf die öffentlichen Straßen transferiert zu werden. Dr. Schiefelbusch warnt davor, die Flinte bei solchen Projekten allzu früh ins berühmte Korn zu werfen. "Es braucht erfahrungsgemäß einige Jahre, damit den Menschen Zeit bleibt, neue Gewohnheiten zu entwickeln und neue Angebote auch wirklich anzunehmen."
Zudem müsse jedes Angebot auf drei Ebenen evaluiert werden: wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Wenig hilfreich sei es, ausschließlich auf Fahrgastzahlen und Kosten pro Fahrt zu schauen. "Die sozialen Auswirkungen - etwa die verbesserte Teilhabe wenig mobiler Menschen an der Gesellschaft - werden häufig - und zu Unrecht - gar nicht beachtet."

Umfragen und Datenanalysen sind wichtig
Woran manche dieser Projekte scheitern, lasse sich, so der Fachmann, kaum generalisieren. Manchmal sei die Akzeptanz auch über einen längeren Zeitraum nicht gegeben, manchmal die Angebote nicht ausgereift oder schlecht auf die Straße gebracht, manchmal seien die neuen Angebote auch zu wenig mit den bereits vorhandenen abgestimmt oder es werde am Bedarf vorbei geplant. Eine gute Evaluierung sei auf jeden Fall ein Muss. "Leider fehlt es häufig an finanziellen Mitteln, um detailliert herauszufinden, woran ein ÖPNV-Projekt gescheitert ist. Ohne Umfragen und eine umfassende Analyse der Daten kann das aber nicht gelingen."
ÖPNV: Individualverkehr oder Nachhaltigkeit in der Mobilität?
Martin Schiefelbusch spricht sich dafür aus, den ÖPNV von Seiten der Kommunen neu zu denken, aber dabei die jeweils höheren Ebenen nicht außer Acht zu lassen. Es gebe bereits einige Regionen, in denen der Öffentliche Nahverkehr gesamtheitlich - in der Zusammenarbeit mehrerer Landkreise - gedacht werde. In anderen Regionen - etwa in Bayern und Niedersachsen - sei der ÖPNV noch deutlich fragmentierter organisiert. In den ländlichen Kommunen seien ihm zusätzliche Grenzen gesetzt. Etwa durch Personalmangel, knappen Finanzen oder nicht vorhandene Planstellen für eine eigene Verkehrsplanung. "Perspektivisch könnte sich das Autonome Fahren gerade in ländlichen Gegenden durchsetzen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist allerdings noch völlig offen, welche Technik sich tatsächlich durchsetzen wird."
Entscheidend sei aber gerade im ländlichen Raum die Frage, wie die Politik hier die Weichenstellung setze. Individualverkehr oder Nachhaltigkeit? Wer Letzteres priorisiere, der müsse auch die entsprechenden Anreize dafür setzen, unterstreicht Schiefelbusch.


