Kommunen
Beispiele: Familie und Politik besser vereinbaren
Familie und Politik: Digitalisierung unterstützt Vereinbarkeit
Was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie anbelangt, erlebt der zweifache Vater die digitalen Möglichkeiten als eine enorme Erleichterung. „Homeoffice mit Kinderbetreuung nebenbei geht nur mit der Digitalisierung", so Mertens. „Als Politiker ist man abends normalerweise oft erst sehr spät zu Hause. Wenn die Sitzungen digital stattfinden und ich nirgendwo hinfahren muss, kann ich oft noch beim Abendessen dabei sein und meinen Sohn ins Bett bringen, bevor ich dann vorm Bildschirm bin. Würde die Sitzung in Präsenz stattfinden, käme ich erst heim, wenn die Kinder längst schlafen.“
Rommerskirchen: Tablet für alle Ratsmitglieder
Zeitgewinn und leichtere Logistik – die Vorteile digitaler Tools sind laut Mertens auch Aspekte, mit denen Menschen mit Familie für politische Ämter gewonnen werden können. „Die Digitalisierung ist eine riesige Chance für die Vereinbarkeit. Sie ermöglicht, dass Leute, die Kinder erziehen, an der Politik partizipieren können“, so Mertens. Bereits 2015 und 2016 wurde in Rommerskirchen die komplette Abwicklung der Verwaltungsvorgänge digital umgestellt. Alle Ratsmitglieder erhielten ein Tablet und eine intensive Schulung.

Wenn digital getagt wird, kann ich oft meinen Sohn noch ins Bett bringen.“
Darmstadt: Gleichberechtigungsgesetz hilft
„Auch in Darmstadt ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon lange ein wichtiges Thema“, sagt Barbara Akdeniz, Bürgermeisterin und Frauendezernentin. Gerade im Hinblick auf die Pflege von Angehörigen habe das Thema nochmal eine neue Dimension erhalten. Geht es um Vereinbarkeit, geht es nach Erfahrung von Akdeniz häufig auch um Gleichberechtigung und so war das 2004 verabschiedete Hessische Gleichberechtigungsgesetz aus ihrer Sicht „ein Meilenstein“ für die öffentliche Verwaltung.
In der Darmstädter Stadtverwaltung wird Teilzeitarbeit auch in Führungspositionen grundsätzlich ermöglicht und Führungskräfte werden dazu angehalten, den Zeitpunkt von Dienstbesprechungen, Sitzungen und Veranstaltungen so zu wählen, dass er eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie zulässt. Zudem gibt es eine enge Zusammenarbeit der Kommune mit externen Trägern wie femkom, dem Frauenkompetenzzentrum, oder dem Verein FRIDA für Integration geflüchteter Frauen, die Frauen nach Eltern - und Familienzeit einen qualifizierten Wiedereinstieg ins Erwerbsleben ermöglichen.
Nach der Erfahrung von Akdeniz braucht es eine gute Informationspolitik, denn „oft wissen die Betroffenen gar nicht, welche Ansprüche sie haben“. Deshalb wurde in Darmstadt vom Frauenbüro der Infoflyer „Väter vereinbaren Beruf und Familie“ herausgegeben, der Informationen zu den gesetzlichen Ansprüchen und Rechten enthält sowie Möglichkeiten der partnerschaftlichen Gestaltung der Kinderbetreuung aufzeigt.
Erleichterungen für Eltern aus der Praxis entstanden
Auf der politischen Ebene ist Vereinbarkeit gleichwohl wesentlich schwerer umzusetzen, wie Bürgermeisterin Akdeniz erlebt. Konkrete Erleichterungen seien nicht selten aus der Praxis heraus entstanden. So gibt es etwa in der Stadtverordnetenversammlung viele junge Mütter, die ihre Kinder mitnehmen. Die Folge: Findet eine Sitzung statt, werden eine Kinderspielecke und ein Raum zum Stillen eingerichtet, außerdem gibt es finanzielle Ausgleiche für die Betreuungskosten von Kindern. „Vom Fall in die Struktur“ – dieser Ansatz hat sich laut Akdeniz in Darmstadt bewährt.

Konkrete Erleichterungen sind nicht selten aus der Praxis heraus entstanden."
Oranienburg: Lange Sitzungen beschränken
Auch in Oranienburg sind es neben offiziellen Regelungen oft die kleinen Veränderungen in der Praxis sind, die zu besserer Vereinbarkeit beitragen. Deutlich zu beobachten ist das im Kreistag Oberhavel. Auslöser der Entwicklungen dort war eine 2022 durchgeführte Demokratiewerkstatt in der Stadt Oranienburg und im Landkreis Oberhavel im Rahmen des Projektes „Aktionsprogramm Kommune – Frauen in die Politik!“
Als es um bessere Vereinbarkeit ging, stand neben den Sitzungszeiten schnell auch die Sitzungskultur im Fokus, wie Christiane Bonk, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oranienburg und Koordinatorin des Aktionsprogramms in der Region Oberhavel erzählt. So litten vor allem Eltern unter den häufig überlangen abendlichen Sitzungen. Die Lösung war denkbar simpel und wirkungsvoll: Die Redezeiten wurden begrenzt, die Uhr wurde neu positioniert und seit bald zwei Jahren sehen nun auch die Redner und Rednerinnen selbst, wie lange sie schon sprechen. „Die Wirkung ist wirklich erstaunlich“, erzählt Bonk. Die Sitzungen verliefen insgesamt straffer, Entscheidungen kämen zügiger zustande.
Auch anderswo wird in die Richtung diskutiert. So hatten die Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung Oranienburg darüber diskutiert, die Sitzungszeiten vorzuverlegen. Viele wollten bereits um 15 Uhr starten statt bisher um 18 Uhr. Der Abend sollte für die Familie frei werden. Dafür fand sich aber keine Mehrheit, denn die wenigsten waren in der Lage, die frühe Uhrzeit mit ihrer Arbeit zu vereinbaren. So einigte man sich auf 17 Uhr statt bisher 18 Uhr als Kompromiss.
Außerdem sollen die Sitzungsleiter geschult und ein Verhaltungskodex erarbeitet werden, der gewährleisten soll, dass die „Verrohung in der Kommunikation und die Vermischung von Sach- und Beziehungsebene“ in den Sitzungen weniger wird, wie Bonk sagt. Klar ist aus ihrer Sicht aber auch. „Das eine sind die Strukturen, das andere die individuellen Aushandlungsprozesse“. So sei die häufige Dreifachbelastung durch Beruf, Ehrenamt und Familie letztlich nur dann zu bewältigen, wenn das Engagement auch vom Partner oder der Partnerin intensiv unterstützt wird.

