Wirtshaussterben
Komm, wir kaufen unsere Kneipe
Kneipe in Nottuln-Darup gerettet
Dennoch stand der Landgasthof, hervorgegangen aus einer uralten Postkutschenstation und 40 Jahre von einem Ehepaar geleitet, vor fünf Jahren noch vor dem Aus. Ein Schicksal, das in den letzten Jahrzehnten von manch anderem Gasthof im ländlichen Raum geteilt wurde. Kaum ein Betreiber oder Pächter findet im fortgeschrittenen Alter noch einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Die Folge: zentrale Treffpunkte gehen verloren, Stammtische und Vereine können nirgendwo mehr tagen, für Familien gibt es keinen Ort für ihre Feste mehr. In Darup wollte man diesen Verlust nicht akzeptieren. Andreas Determann, Markus Lewerich, Dirk Teichmann und Sarah Heimann warben lautstark für ihr Projekt „Komm, wir kaufen unsere Dorfkneipe.“ Die Organisationsform: die „stillgelegte“ DaruperBürgergenossenschaft eG“. Das Ziel: 490.000 Euro sammeln und damit den Landgasthof kaufen. Finanzierungsgrundlage: ernst gemeinte Absichtserklärungen von vielen Bürgerinnen und Bürger: 50 Anteile von je 50 Euro konnten gezeichnet werden. Trotz des Engagements wurde das Projekt dann aber erst einmal von der Corona-Pandemie ausgebremst. Da waren die alten Besitzer des Hauses bereits weggezogen. Und dann ging es in Nottuln-Darup doch noch weiter.


Für letztendlich 335.00 Euro plus Nebenkosten kaufte die Dorfgemeinschaft das Haus. Markus Lewerich: „Erst zeichneten die Kneipennutzer, dann die Eltern der Jungen, dann die Enkel.“ Andreas Determann ergänzt: „Die frühen Zweifler haben irgendwann nachgezeichnet, als sie spürten, dass so viele Nachbarn mitmachen.“ Sarah Heimann lacht: „Das war eine tolle Zeit. Wir sind von Haus zu Haus gezogen und haben überall geklingelt.“ Der Bäcker im Ort backte ein spezielles Kneipenbrot und spendete pro Brot einen Euro für den Erhalt des Landgasthofs. Irgendwann saßen selbst Bewohner eines fünf Kilometer entfernten Nachbarortes mit im Boot, die Jahre zuvor ihre Kneipe auf dieselbe Art verloren hatten. Mit Hilfe eines Kredites über 150.000 Euro und eingeworbenen Fördergeldern wurde die Kneipe noch einmal renoviert: die sanitären Einrichtungen, die Küche, ein Teil des Daches, die Isolierung und die Stromversorgung. Zusätzlich erhielt der Landgasthof noch einen zünftigen Biergarten im Außenbereich.
weniger setzten die Gaststätten 2023 im Vergleich zum
Vor-Corona-Jahr
2019 um.
8000 Arbeitsstunden investiert in Kneipe
In Hochzeiten packten 120 Helferinnen und Helfer in Darup mit an. Rund 8.000 Arbeitsstunden kamen zusammen. Sonst wäre das Sanierungsprojekt auch gar nicht zu stemmen gewesen. Auf einer großen Tafel im Saal sind ihre Namen „verewigt“. Am linken Rand: der Name des heutigen Pächters. Josef Balz. Leider mit Buchstabendreher. Ein Malheur der kleineren Art. Zwischenzeitlich gab es gar nicht so viele Jobs wie Interessenten. Die Aufgaben wurden per WhatsApp-Gruppe verteilt und irgendwann liefen sogar „Beschwerden“ ein. Man sei anscheinend nicht schnell genug und die Jobs immer gleich weg. Also wurde kurzerhand auch noch die dazugehörige Pächterwohnung saniert.

Was nun noch fehlte? Ein geeigneter Pächter. Helfer in der Not: Der nicht weit entfernt wohnende Sternekoch Frank Rosin. Der veranstaltete im Landgasthof Nottuln-Darup eine Art Castingshow. Ein Pächter – aus Hamburg – wurde gefunden und der Gasthof am 29. März 2023 unter großem Hallo und im Beisein lokaler Prominenz aus Politik und Wirtschaft neu eröffnet. Die Presse gab sich seinerzeit im Landgasthof die Klinke in die Hand. Leider hielt der Pächter, aus gesundheitlichen Gründen, nicht sehr lange durch. Dabei lief die Gaststätte und die Dörfler halfen nun auch bereitwillig im Service mit. Von Oktober 2023 bis Januar schlug man sich deshalb mit einem fabelhaft engagierten Koch und großem Team, aber ohne Pächter, irgendwie durch. Dann fragten sie Josef Balz, der noch nicht lange in dem Ort wohnte. Sarah Heimann lacht: „Josef wusste erst gar nicht, dass er bei uns auf der Liste stand.“ Der Sauerländer stimmt in das Lachen seiner „Kollegin“ ein: „Dabei war mir auch zuvor als Pensionär gar nicht langweilig.“ Und er fügt an: „Braucht man auf dem Land manchmal 40 Jahre, um wirklich dazuzugehören, habe ich auf die Art nur vier Jahre gebraucht.“
Kneipenrettung schweißt zusammen
Mit ihm haben die Anteilseigner nun auch ein gängiges Problem weniger: Während normalerweise eine ganze Pächterfamilie vom Einkommen aus dem Gasthaus leben muss, kann der Landgasthaus-Pächter Josef Banz sich ganz entspannt zurücklehnen. Schließlich ist er im „Hauptberuf“ Pensionär, der Landgasthof nur ein Zubrot und mehr als ein Freibier Dividende erwarten auch die Anteilseigner von ihrem Landgasthaus nicht. Aus dem Orga-Team, angetreten zur „Landgasthaus-Rettung“, ist längst ein verschworener Haufen geworden und auch die anderen Dörfler sind enger zusammengewachsen. Die Helferinnen und Helfer haben sich in der Projektzeit besser kennen und erst so richtig schätzen gelernt. Sarah Heimann unterstreicht: „Durch dieses Projekt kenne ich, aufgewachsen in Bocholt, hier mehr Menschen als mein Mann, der hier geboren ist.“ Andreas Determann nickt: „Ich musste mir zu Hause manches Mal den Satz anhören: Wenn du dich zu Hause doch auch so engagieren würdest.“ Dirk Teichmann grinst: „Ich habe aber bisher von keiner am Landgasthaus-Projekt gescheiterten Ehe gehört.“
Anderswo auf dem Land geht das Sterben der Infrastruktur derweil weiter und auch deshalb rührt das Team um Andreas Determann fleißig weiter in der Öffentlichkeit die Werbetrommel. Denn was im beschaulichen Münsterland funktioniert hat, sollte doch aus anderswo eine Option sein.

