Stadtentwicklung
Regionale Entwicklung: Gewinner oder Verlierer?
Regionale Entwicklung - Prognosen
Wie reagieren die Kommunen auf diese Befunde? Wie bereiten sie sich darauf vor, was unternehmen sie? Zum Beispiel Görlitz. Die Stadt an der Neiße ist auf den Karten der Bertelsmann Stiftung dunkelrot eingefärbt. Hier wird ein besonders großer Bevölkerungsverlust erwartet. Doch Oberbürgermeister Octavian Ursu bleibt gelassen. „Alle Prognosen der letzten Jahre haben nicht gestimmt“, sagt er über seine Stadt. „Sie zeigten alle immer nach unten.“ Stattdessen aber sei die Bevölkerungszahl in Görlitz stabil geblieben. Was mit Einflüssen zu tun hatte, die von Statistikern nicht berechnet werden können: „Zum Beispiel haben wir über 5.000 polnische Bürger, die mittlerweile auf der deutschen Seite der Oder-Neiße-Grenze wohnen und arbeiten“, sagt Ursu. Viele ihrer Kinder gingen mittlerweile auf Görlitzer Schulen. Dazu habe sich die Stadt erfolgreich um Attraktivität bemüht: „Wir haben die Ansiedelung von Forschungseinrichtungen angeschoben“, sagt Ursu. Dadurch kämen immer mehr neue Mitarbeiter in die Stadt. Und oft seien es junge Familien. „Die hohen Sterbezahlen, die wir durch die ältere Bevölkerung in Görlitz unzweifelhaft haben, haben wir damit kompensieren können.“
Görlitz: Hochschulen zieht junge Menschen in die Stadt
Obwohl es in der Stadt weiterhin nicht genügend Geburten gibt, sind die Oberschulen voll. Auf den Schulhöfen stehen Container. „Bei den Kitas reichen die Kapazitäten dagegen aus“, sagt Ursu. „Und in den ländlichen Gebieten rund um Görlitz herum ist es auch tatsächlich so, dass die Bevölkerung schrumpft.“ Tatsächlich hat auch Görlitz in den letzten zwanzig Jahren Wohnblöcke abgerissen. Im Stadtteil Königshufen sind die Plattenbauten heute zwei Etagen niedriger als zur Wendezeit. Aber statt Infrastrukturen immer weiter zurückzubauen und sich mit dem Schrumpfen abzufinden, hat die Stadt eine Vision für die Zukunft entwickelt. „Wir wollen uns etablieren als Cluster für Forschung, Wissenschaft und neue Technologien“, sagt Ursu. „Und durch die Hochschule werden wir als Stadt wirklich attraktiver für junge Menschen, die mitten im Leben stehen und gutes Geld verdienen können.“ Aber nicht jedes kleine Dorf hat eine Hochschule. Und nicht jedes Mittelzentrum kann zu einem Wissenschaftscluster werden. Lassen sich die Görlitzer Erfahrungen also auch auf andere Kommunen übertragen? „Jeder hat seine eigenen Rahmenbedingungen“, sagt Octavian Ursu. „Es ist sehr unterschiedlich, was man machen kann.“

Alle Prognosen nach unten haben nicht gestimmt.“
Görlitz bietet freie Grundstücke
Gefragt, was er anderen Kommunen rät, wird der Görlitzer Oberbürgermeister nachdenklich. Denn das wirkliche Patentrezept gibt es nicht. „Wichtig ist, dass man sich in der Gemeinde überlegt, wie man für jüngere Menschen attraktiv sein kann“, sagt Ursu. „Was haben wir, was die Großstädte und Ballungsgebiete nicht haben?“ Oft gebe es im ländlichen Raum eine viel entspanntere Situation beim Wohnraum. Grundstücke stünden noch zur Verfügung, Häuser könnten eventuell relativ preiswert gekauft werden. Vielleicht gebe es eine bessere Kinderbetreuung als in den Großstädten. „Wesentlich ist immer die Frage, was an Arbeitsplätzen zur Verfügung steht und wie eine Region verkehrstechnisch angebunden ist“, sagt Ursu. Denn selbst, wenn ein Ehepartner einen Job findet, muss der andere vielleicht pendeln. „In Görlitz profitieren wir davon, dass wir eine größere Stadt sind“, sagt Ursu. „Für viele ist es attraktiv, was wir an multikultureller Infrastruktur anbieten.“
Dormagen wächst - Mieten steigen
Ein anderes Beispiel. Die Stadt Dormagen, zwischen Köln und Düsseldorf gelegen. In der Landkarte der Studie ist dieses Gebiet blau markiert. Das steht für Wachstum: Die alte Chemiestadt Dormagen soll perspektivisch größer werden. „Wir sind als Stadt schon seit vielen Jahren ein Satellit für zwei Speckgürtel, nämlich den von Köln und den von Düsseldorf“, sagt Bürgermeister Erik Lierenfeld. „Und wir spüren schon heute den Druck auf die Fläche.“ In den nächsten Jahren rechnet er mit noch mehr Menschen, die Interesse haben, in Dormagen zu wohnen. Die Mieten und die Grundstückskosten werden steigen, nicht jede Nachfrage werde die Stadt mehr bedienen können.
Die Arbeitsplätze sind es, die Dormagen wachsen ließe. Und die guten Verkehrsanbindungen: In kurzer Zeit ist man in den beiden Metropolen und kann deren Infrastruktur mitnutzen. Doch in Dormagen kann man auch immer noch im Grünen wohnen. Und für den Bürgermeister der Stadt im Rheinland ist klar: „Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen.“ Wenn ein neuer Stadtteil mit einer Kita, einer Schule und der entsprechenden Nahversorgung gebaut werden müsste, würde Lierenfeld passen. „Das kriegen wir so nicht gestemmt.“ Natürlich habe auch Dormagen Neubaugebiete geplant. Aber ein Stadtteil, in dem von Grund auf alles neu entwickelt werden muss, sei heute finanziell nicht mehr darstellbar. Wichtig ist dem Bürgermeister zudem, dass das Wachstum seiner Stadt nicht auf Kosten der Alteingesessenen passiert. „Wir schauen mit Hilfe eines Punkteverfahrens, dass wir Einheimische bei Grundstücksvergaben berücksichtigen, damit sie weiter preiswerten Wohnraum in unserer Stadt bekommen können“, sagt Lierenfeld. „Und wir sind vom klassischen Ein- und Zweifamilienhausbau weggekommen: Wir machen mehr Geschosswohnungsbau, um mehr Menschen bei uns unterzubringen.“

Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen.“
Erik Lierenfeld, Bürgermeister von Dormagen
Prognosen stimmten auch in Dormagen nicht
Doch wenn es um die Frage geht, welchen Rat er für andere Kommunen hat, ist sich der Rheinländer Lierenfeld fast mit seinem Kollegen aus Görlitz einig. Denn auch für Dormagen gab es noch vor einigen Jahren die Prognose, dass die Stadt deutlich an Bevölkerung verlieren werde. „Wir haben in der Stadt sehr konkret über die Aufgabe von sozialen Flächen, von Sportplätzen, von Feuerwehrgerätehäusern und Schulen gesprochen“, sagt Lierenfeld. „Heute sind wir sehr froh, dass wir das damals nicht gemacht haben.“ Wichtiger als statistische Prognosen sind aus seiner Sicht ohnehin die praktischen Erfahrungen der Stadt: „Wenn man merkt, dass die Einwohnerzahl schrumpft oder Menschen wegziehen, muss man tätig werden“, sagt Lierenfeld. „Mein Eindruck ist: Man darf nicht jeder Prognose glauben, die irgendwer in die Welt setzt – das beste Gespür für eine Situation haben am Ende eben doch die Menschen vor Ort.“
0,6 %
wächst die
Bevölkerung in Deutschland von
2020 bis 2040 laut Prognosen.



