Kommunale Finanzen
Wie Fördermittel richtig verteilt werden sollten

Das Geld fließt viel zu oft nicht dorthin, wo es wirklich gebraucht wird, etwa um Infrastrukturen zu stärken oder Zukunftstechnologien zu befördern."
Was bedeutet diese schiere Zahl ganz konkret für Kommunen hierzulande?
Zunächst einmal eine totale Unübersichtlichkeit. Dafür sorgen die schiere Zahl, aber auch die Unterschiedlichkeit der Programme mit Blick auf Anforderungen, Details und Abrechnungsmodi. Meinen Beobachtungen zufolge gewinnen in diesem Wettlauf um Fördermittel nicht unbedingt die bedürftigsten Kommunen, sondern eher die cleveren, die sich mit den entsprechenden personellen Kapazitäten im Förderdschungel zurechtfinden.
Die einen bezeichnen die Fördermittelpolitik auf allen politischen Ebenen als Dilemma, andere sprechen sogar von einer Katastrophe. Welche Worte finden Sie?
Da darf man gerne eine Floskel zitieren: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass 30 Prozent der kommunalen Investitionen an Fördermitteln hängen. In den ostdeutschen Kommunen sind es durchschnittlich sogar 60 Prozent. Entsprechend groß ist die Abhängigkeit und entsprechend klein der Gestaltungsspielraum der Kommunen. Der ganze Fördermittelbereich ist gekennzeichnet von einem großen Misstrauen gegenüber den Städten, Gemeinden und Landkreisen, die im Regelfall doch eigentlich ganz gut wissen, in welche Bereiche ihre Investitionen prioritär fließen sollten.
Ihr Vorwurf ist, dass die Fördermittelpolitik falsche Anreize für Kommunen setzt. Welche sind das und in welchen Bereichen sind sie besonders häufig zu beobachten?
Die Anreize werden tatsächlich zum Teil erstaunlich falsch gesetzt. Das Geld fließt viel zu oft nicht dorthin, wo es wirklich gebraucht wird, etwa um Infrastrukturen zu stärken oder Zukunftstechnologien zu befördern. Kein Wunder, dass in Kommunen vieles nur deshalb gemacht wird, weil es gerade dafür Fördermittel gibt. Die wirklich vor Ort benötigten Projekte bleiben da mitunter liegen. Manchmal schieben Kommunen dringende benötigte Investitionen auch einfach auf die lange Bank, weil es in absehbarer Zeit ja vielleicht wieder Fördermittel dafür gibt. Eine solch schlechte Konditionierung kann gar nicht kritisch genug betrachtet werden.
Was sind die Gründe dafür, dass sich die Fördermittelpolitik in diese Richtung entwickelt hat?
Unsere staatliche Verfasstheit besagt, dass die Länder letztendlich für die Kommunen haften. Wenn die Kommunen finanziell nicht mehr klarkommen, müssen die Länder einspringen. Die Länder fühlen sich demzufolge quasi verpflichtet, die Kommunen umfänglich zu kontrollieren. Auch weil sie misstrauisch gegenüber einer kommunalen Politik sind, die ja vielfach von Ehrenamtlichen geleistet wird, die zwar viel Gestaltungswillen haben, aber angeblich nur wenig professionelle Verwaltungskompetenz. Ich bin davon überzeugt, dass diese Sichtweise nur sehr bedingt richtig ist. Noch viel wesentlicher finde ich allerdings die Beobachtung, dass die geldgebenden Ebenen – seien es die Länder, der Bund oder die EU – die Förderprogramme häufig nach ihrem eigenen politischen Nutzen ausrichten. Förderprogramme bedeuten ja häufig auch eine sehr positive Presse und goldene Plaketten für die Geldgeber. Jemand hat das mal sehr treffend als eine Politik des Bänderdurchschneidens bezeichnet.
Was wäre Ihr erster Schritt, um aus dem Fördermitteldschungel ein leicht begehbares Wegenetz zu machen?
Ganz klar: eine totale Vereinfachung der Strukturen. So braucht zum Beispiel jedes Bundesland eine entsprechende digitale Plattform, auf der alle Fördermittel, klar und einfach dargestellt, sofort und für alle Kommunen zugänglich überblickt werden können.
Und welche Maßnahmen sollten mittelfristig folgen?
Mario Hesse: Alle Doppelungen eliminieren und Förderziele und Förderzwecke aufeinander abstimmen. Stand heute gibt es zum Beispiel Fördermittel für Straßen, Fördermittel für Fußwege und Fördermittel für Radwege, aber bei der Kombination wird es schon unübersichtlich. Außerdem müssen die Abrechnungsmodi dringend entschlackt werden. Wir sollten nicht mehr akribisch alle Projekte in ihrer Umsetzung prüfen, sondern nur noch in Stichproben – dann aber in die Tiefe gehend. Mit diesem Schritt würden jede Menge Kapazitäten freigesetzt, die wir für umfassende Evaluierungen von Großprojekten in Sachen Kosten und Nutzen gewinnen würden. Der Königsschritt wäre dann das Auflösen von Förderprogrammen und die Überführung der Gelder aus diesen Töpfen in allgemeine Kommunalzuweisungen. Die kleinteilige antragsgebundene Förderung – abgesehen von speziellen Großprojekten – muss mittelfristig ad acta gelegt werden, weil eine allgemein auskömmlichere Finanzierung der Kommunen sehr viel sinnvoller ist.
Gibt es Anzeichen dafür, dass die Verantwortlichen sich in diesem Sinne bewegen und wenn ja, welche?
Die gibt es tatsächlich, allerdings aus einer Notlage heraus geboren. In Sachsen gab es im Bereich Straßenbau Förderprogramme für umfangreiche Spezialprojekte und Förderprogramme für das kommunale Alltagsgeschäft. Aber dann war es personaltechnisch zunehmend nicht mehr möglich, die Antragsflut abzuarbeiten. Also ist man dazu übergegangen, die Großprojekte weiterhin nur auf Antrag und nach genauer Prüfung zu fördern, aber die Fördermittel für das Alltagsgeschäft der Kommunen in den kommunalen Finanzausgleich zu überführen.
Mit welchen Resultaten?
Mit sehr positiven Ergebnissen. Plötzlich ging nicht nur alles viel schneller, die Kommunen bekamen auch einen Teil ihrer Entscheidungsgewalt in Form von Investitionspauschalen wieder zurück. Mittlerweile gibt es diese Überlegungen auch in Brandenburg. Letztendlich sollte sich die Politik fragen, ob sie nicht generell dazu übergehen will, den Entscheidungsprozessen in den Kommunen mehr Vertrauen zu schenken. Immerhin gibt es zur Kontrolle ja noch die Kommunalaufsicht. In diesem Zusammenhang würde ich dann aber auch dafür plädieren, dass harte Sanktionierungen und Rückzahlungen möglich werden, wenn Kommunen nachweislich Gelder in den berühmten Sand gesetzt haben.
Was raten Sie Kommunen, sich in der aktuellen Praxis der Fördermittelvergabe zurechtfinden müssen?
Solange die Fördermittelvergabe so geregelt ist wie derzeit, kann ich auch kleineren Kommunen nur raten: Kratzen Sie Gelder zusammen für mindestens eine anteilige Personalstelle, die sich in die Förderprogramme so einarbeitet, dass Sie als Kommune befähigt werden, Fördermittel erfolgreich zu beantragen. Was aus meiner Sicht allerdings nicht heißen kann: Quetschen Sie aus dem großen Kuchen raus, was raus zu quetschen ist. Sinnvolle Investitionen werden nämlich auch von den eigenen Bürgerinnen und Bürgern eher goutiert, als sinnlos verprasste Fördermillionen.

