Lebensqualität
Autofreies Wohnen: Eine Vision wird Realität
Stellwerk 60 – autofrei auf ehemaliger Industriefläche
„Unser Ziel war es schon früh, eine autofreie Siedlung in Köln zu errichten“, erzählt Hans-Georg Kleinmann. In den Anfangszeiten war er Mitglied einer Bürgerinitiative, die sich bereits ab Mitte der 1990er Jahre für das autofreie Wohnen eingesetzt hat, heute ist er einer von mehreren Vorständen des Vereins „Nachbarn60 e.V.“. „Wir wurden von der Politik damals lange nicht wirklich ernst genommen und als Nischenthema behandelt“, erzählt Kleinmann. Eine Veränderung sei erst eingetreten, als eine Umfrage unter den Kölner Bürgern gezeigt habe, dass mehrere tausend Menschen Interesse daran hatten, in einer autofreien Siedlung zu wohnen. „Die Umfrage hat bewiesen, dass es tatsächlich eine Nachfrage gibt nach einer solchen Siedlung – das war für uns der Durchbruch“, sagt Kleinmann.
Neue Wohnformen auf ehemaliger Industriebrache
Als Ort für die autofreie Siedlung wurde in Köln die Industriebrache eines ehemaligen Eisenbahnverbesserungswerks in Köln-Nippes ausgewählt, die von einem privaten Investor erworben wurde. 2007 wurde die Siedlung schließlich in enger Abstimmung mit dem Arbeitskreis errichtet, 80 Millionen Euro kostete der gesamte Bau.
Siedlung mit 450 Haushalten
Knapp 20 Jahre besteht die autofreie Siedlung mit dem Namen „Stellwerk 60“ mittlerweile und die Auslastung ist durchgehend gegeben, wie Kleinmann sagt. „Die Siedlung umfasst insgesamt rund 450 Haushalte, wobei es schon immer sehr leicht war, Mieter und Käufer zu finden für die Wohneinheiten“, so der Vorstand. Rund 80 Prozent der Wohneinheiten gehören Investoren, zudem ist die städtische Wohnungsbaugesellschaft beteiligt, außerdem liegen 17 Prozent der Wohnungen in Privatbesitz. Nur rund 2,5 Kilometer vom Kölner Dom entfernt und gut an den ÖPNV angebunden, ist die Siedlung ein attraktiver Lebensort besonders für junge Familien mit Kindern, wie Kleinmann sagt.
Fahrräder statt Autos
Statt Autos prägen Fahrräder das Bild auf den Straßen, die Verbindungswege zwischen den Wohneinheiten sind komplett autofrei. So gilt in der Siedlung ein striktes Fahr- und Parkverbot für private Kraftfahrzeuge und gibt es keine Pkw-Stellplätze im öffentlichen Raum. „Wir sind ganz klar eine Fahrradsiedlung“, sagt Kleinmann, und die Infrastruktur sei entsprechend stark aufgestellt. So befinden sich in der Siedlung mehrere Tiefgaragen für Fahrräder, zu denen dank flacher und breiter Rampen auch Kinder und ältere Menschen eine einfache Zufahrt haben. Zudem gibt es zahlreiche oberirdische Abstellmöglichkeiten. Auch die Einfamilienhäuser in der Siedlung haben jeweils eine Fahrradgarage, in der bis zu sechs Fahrräder Platz haben. Für größere Transporte können von einem externen Betreiber zudem mehrere Elektro-Lastenräder gemietet werden.
Quartiersgarage und Carsharing
Nicht alle Bewohner der Siedlung leben gleichwohl komplett ohne Auto. „20 Prozent der Haushalte dürfen ein Auto haben“, sagt Kleinmann, wobei die Stellplätze hierfür am Rande der Siedlung in einer Sammelgarage gebündelt sind. Dort befinden sich 80 Privatparkplätze, 30 Gästeparkplätze und 10 Carsharing-Stellplätze. Beim Carsharing-Anbieter genießen die Siedlungsbewohner Sonderkonditionen, zahlen keine Anmeldegebühr und haben geringe Fahrtkosten bzw. einen Sondertarif, zudem praktizieren einige Haushalte in der Siedlung privates Carsharing.
Bürgerinitiative bringt autofreies Wohnkonzept voran
Der ursprüngliche Arbeitskreis wurde seit Bau der Siedlung in einen Bewohnerverein transformiert, der das Leben in der Siedlung intensiv mitgestaltet. Die Mitgliedschaft im Verein ist freiwillig, aber sehr beliebt: „Es gibt hier rund 440 Haushalte und wir haben an die 300 Vereinsmitglieder, darunter auch Leute aus der Umgebung, die meisten Bewohner hier sind also Mitglied bei uns“, sagt Kleinmann. Dafür gibt es gute Gründe: Neben den verschiedenen Arbeitsgruppen, in denen die Vereinsmitglieder unter anderem Gartenprojekte verwirklichen, steht allen Mitgliedern die sogenannte Mobilitätsstation offen. Hier können neben Transportmitteln wie Bollerwagen, Paketkarren, Fahrradanhängern, Tandems, Fahrradluftpumpen und Einrädern auch Biertischgarnituren, Zelte und Spielzeuge ausgeliehen werden. Die Ausleihe funktioniert eigenständig via einen Transponder und Chip, um die Pflege und Reparaturen kümmert sich eine Arbeitsgruppe.
Stellwerk 60 als Vorbild für zukunftsfähige Stadtquartiere
„Die Siedlung hat eine besondere Geschichte hinter sich und erscheint heute wie eine große Fußgängerzone“, sagt Kleinmann. Durch die fehlenden Autos würde nicht nur weniger Fläche verbraucht und gäbe es weniger Emissionen, sondern entstehe auch eine ganz andere Aufenthaltsqualität. „Das Leben hier ist wesentlich kommunikativer als in einer normalen Siedlung“, sagt Kleinmann. „Die Leute kennen sich und es gibt viel Nachbarschaftskontakt“. Auch die Vereinsstruktur würde sich sehr bewähren und die Nachfrage nach den verschiedenen Leihangeboten sei enorm. Das zieht auch Leute außerhalb der Siedlung „Stellwerk 60“ an und Kleinmann kann aufgrund seiner Erfahrungen nur dazu raten, auch an anderen Orten über autofreie Wohngebiete nachzudenken. „Auch die Bürger drumherum nehmen wahr, wie hoch hier die Lebensqualität ist bei uns. Das hat definitiv eine Strahlkraft nach außen.“

