Neues Gesetz
Bau-Turbo: Chance oder Nebelkerze?
Was sieht der Bau-Turbo konkret vor?
Ein zentrales Element des Bau-Turbos ist, dass Befreiungen von Bebauungsplänen zugunsten des Wohnungsbaus nicht mehr nur in Einzelfällen möglich sind. Hierdurch werden insbesondere ältere Bebauungspläne mit geringerer Dichte ins Visier genommen, bei denen Befreiungen in der Vergangenheit oft an den Grundzügen des bestehenden Plans gescheitert sind. Im unbeplanten Innenbereich kann künftig zudem der Neubau von Wohnungen unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden, selbst wenn sich das Vorhaben nicht in die nähere Umgebung einfügt. Bislang war dies nur für (Nutzungs-)Änderungen möglich. Das Herzstück des Gesetzes bildet jedoch der neue § 246e BauGB-E, der bis zum 31.12.2030 in Innen- und Außenbereichslagen Vorhaben ermöglicht, die ohne Einhaltung des bisherigen planungsrechtlichen Korsetts genehmigt werden können.

Mehr Handlungsspielräume für Kommunen
Das Gesetz verschafft den Kommunen und der Bauwirtschaft dringend benötigten Handlungsspielraum, da sie Wohnraum ohne langwierige Planaufstellungsverfahren schaffen können und so Zeit und Geld sparen. Da die neuen Instrumente stets die Zustimmung der Gemeinden voraussetzen, bleibt die Planungshoheit gewahrt. An die Zustimmung lassen sich zudem vertragliche Bedingungen knüpfen, etwa Sozialquoten oder Kostenbeteiligungen. Auch die Flexibilität bei der Nachverdichtung steigt: Bestehende Quartiere können schneller aufgestockt oder ergänzt werden, ohne dass der Bebauungsplan angepasst werden muss. Darüber hinaus kann die künftig rechtssichere Nutzung von Nachverdichtungspotentialen ein Beitrag zum Klimaschutz leisten, weil sie zusätzliche Versiegelung minimieren und auf bestehende Infrastruktur zurückgreifen kann.
Druck auf Städte und Gemeinden steigt
Mit dem erweiterten Handlungsspielraum steigt auch der politische Druck auf die Gemeinden. Investoren könnten die Zustimmung der Kommune als Selbstverständlichkeit ansehen, obwohl eine verweigerte Zustimmung rechtlich kaum angreifbar ist. Die im Gesetzgebungsverfahren beteiligten Fachverbände kritisieren bereits jetzt, dass das Zustimmungserfordernis die neuen Instrumente schwer kalkulierbar macht und erwarten daher von den Kommunen pragmatische Lösungen. Zugleich besteht die Gefahr, dass durch häufige Befreiungen bestehende Bebauungspläne verwässert werden. Dies führt langfristig zu Planungsunsicherheit. Bei der Entscheidung für die Anwendung des Bau-Turbos sollten daher stets auch Folgewirkungen in städtebaulicher und finanzieller Hinsicht betrachtet werden.
Mehr Wohnungen, mehr Verkehrsinfrastruktur
Denn: Mehr Wohnungen bedeuten einen erhöhten Bedarf an Kita-, Schul- und Verkehrsinfrastruktur. Ohne begleitende Fördermittel kann dies die kommunale Finanzlage zusätzlich belasten. Auch im Außenbereich birgt das Gesetz Konfliktpotenzial, selbst wenn § 246e Schutz- und Ausgleichsmechanismen vorsieht. Wie genau die nur überschlägige Prüfung der umweltrechtlichen Aspekte bei Bauturbo-Fällen aussehen soll, lässt das Gesetz offen. Hier wird es an den Ministerien sein, eine Konturierung für die Praxis bereitzustellen.
Handlungsempfehlungen für Kommunen
1. Ziele festlegen: Wo und unter welchen Bedingungen werden Abweichungen befürwortet?
2. Leitfaden erstellen: Klare Prüfkriterien erhöhen Transparenz und schaffen Planungssicherheit.
3. Städtebauliche Verträge nutzen: Zustimmung nur nach vorheriger Vereinbarung erteilen.
Fazit: Der Bau-Turbo eröffnet Kommunen kurzfristig große Gestaltungschancen, lässt zugleich viele Fragen offen. Entscheidend wird sein, ob die Kommunen ihre neue Entscheidungsfreiheit mit eigenen Konzepten untermauern. Nur wenn kommunale Ziele klar definiert, transparent kommuniziert und konsequent durchgesetzt werden, kann der Bau-Turbo „zünden“ und zugleich lebenswerte und finanziell tragfähige Entwicklung sichern.
Kerstin von Staa ist Rechtsanwältin und Local Partnerin von GSK Stockmann.

