Recht aktuell
Enteignen für den Hochwasserschutz?
Hochwasser - Enteignung grundsätzlich möglich?
Das Grundgesetz sieht in seiner Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) Enteignungen zum Wohle der Allgemeinheit durchaus vor. Verbreitet sind Enteignungen allerdings bisher vor allem für den Bau von Straßen. § 19 Bundesfernstraßengesetz (FStrG) sieht dazu vor, dass für Straßenbauvorhaben des Bundes, die planfestgestellt oder genehmigt sind, soweit notwendig auch zum Mittel der Enteignung gegriffen werden darf. Dem Eigentümer ist dann eine Entschädigung in Geld zu leisten. Vergleichbare Regelungen bestehen in den Straßengesetzen der Länder.
Wann darf enteignet werden?
Die maßgebliche Hürde liegt in diesen Fällen regelmäßig in der Planfeststellung des Vorhabens: Bei der Planfeststellung sind gegenläufige öffentliche und private Interessen umfassend gegeneinander abzuwägen. Ist ein Eigentümer mit der Inanspruchnahme seines Grundstücks nicht einverstanden, sind die Alternativen zu prüfen. Die Interessen des Eigentümers sind mit besonderem Gewicht in die Abwägung einzubeziehen.
Selbst wenn durch die Enteignung die wirtschaftliche Existenz des Eigentümers bedroht ist, schließt das eine Enteignung jedoch nicht von vornherein aus. Entscheidend ist jeweils, ob die Belange, die für ein Vorhaben sprechen, so wichtig sind, dass sie gravierende Eingriffe in das private Eigentum rechtfertigen.
Bundesverwaltungsgericht stoppt Enteignung
Zum Bau der A7 bei Nesselwang hatte beispielsweise der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Jahr 1990 entschieden, dass ein möglicher Existenzverlust von 34 Landwirten hinzunehmen sei. Das Bundesverwaltungsgericht fand dies nicht überzeugend. Auch wenn angesichts katastrophaler Verkehrsverhältnisse in dem betroffenen Bereich ein erhebliches öffentliches Interesse an dem Straßenbau bestehe, fehle hier eine ausreichende Abwägung der Folgen (BVerwG Beschluss vom 31.10.1990 – 4 C 25/90, 4 ER 302/90). Im Ergebnis wurde der betreffende Abschnitt der A7 noch vor einer abschließenden Entscheidung des Gerichts umgeplant.
In der Rechtsprechung wurde danach eine Schwelle entwickelt, um die Existenzgefährdung von betroffenen Eigentümern mit den zugehörigen verschärften Begründungsanforderungen auszuschließen. Bei Inanspruchnahme von bis zu 5 Prozent der Flächen eines Landwirtes ist demnach regelmäßig nicht von einer Existenzgefährdung auszugehen (BVerwGE 136, 332).
Für Hochwasserschutz leichter enteignen
Auch im Hochwasserschutz gibt es mittlerweile entsprechende Regelungen. Seit 2018 sind die Anforderungen an Enteignungen, die zum Hochwasser- und Küstenschutz notwendig sind, in § 71 Abs. 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) mit dem Straßenrecht vergleichbar geregelt. Anders als früher ist nun keine ausdrückliche Festlegung in der Planungsentscheidung mehr erforderlich, damit enteignet werden kann. Die Vorschriften werden aber weiterhin insgesamt deutlich seltener angewandt als die straßenrechtlichen Enteignungsmöglichkeiten.
Beispiele für Enteignungen wegen Hochwasserschutz
Die Gerichte haben in den bislang wenigen Entscheidungen dazu die Position der Behörden im Hochwasserschutz regelmäßig bestätigt. So hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig zum Bau eines Hochwasserschutzpolders im Binnenland einerseits festgestellt, dass der Eigentümer, auf dessen ein Grundstück ein Deich geplant wird, sich als unmittelbar Betroffener gegen das Vorhaben wenden kann. Gleichzeitig hat das Gericht aber daran erinnert, dass der Hochwasserschutz dem Wohl der Allgemeinheit dient. Es hat sodann im Eilverfahren geurteilt, dass im konkreten Fall das Interesse des Vorhabenträgers an der Errichtung der Anlage überwog. Die Hochwasserschutzmaßnahme zum Schutz einer Ortslage sei vernünftigerweise geboten. Etwaige Rechtsfehler in der Planungsentscheidung seien nur insoweit voll zu überprüfen, als sie für die Inanspruchnahme des Eigentums erheblich sein könnten. Besondere Regelungen zur Enteignung seien in dem Planfeststellungsbeschluss nicht erforderlich gewesen (OVG Schleswig, NordÖR 2021, 87).
Wenn über eine Planung einmal entschieden ist, können die Behörden eine sogenannte vorzeitige Besitzeinweisung anordnen, noch bevor das förmliche Enteignungsverfahren abgeschlossen ist, sodass mit den Arbeiten bereits begonnen werden kann. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied hierzu, dass für den Besitzeinweisungsbeschluss der Zustand – und damit der Wert – des betroffenen Grundstücks nicht festgestellt sein muss; dies ist vielmehr Gegenstand des nachfolgenden Entschädigungsverfahrens. Auch auf Versuche, eine Vereinbarung über die Besitzüberlassung mit weiteren Themen zu verknüpfen, muss sich die Behörde nicht einlassen. Entscheidend ist, dass der sofortige Baubeginn aus Gründen eines wirksamen Hochwasserschutzes geboten ist (VGH München Urteil vom 09.02.2022 – 8 A 21.40032, BeckRS 2022, 2022).
Rechte der Eigentümer sorgfältig abwägen
Im Ergebnis stehen den zuständigen Behörden im Rahmen des Hochwasserschutzes bereits heute durchgreifende Maßnahmen zur Verfügung. Angesichts der erheblichen Schäden für die Allgemeinheit, die bei ausbleibendem Hochwasserschutz drohen können, werden sich in vielen Fällen auch Enteignungen rechtfertigen lassen. In jedem Fall sind aber auch die Rechte der betroffenen Eigentümer sorgfältig abzuwägen. Und falls es zur Enteignung kommt, ist es von Verfassung wegen geboten, eine angemessene Entschädigung sicherzustellen. Insoweit ist die korrekte Bewertung der betroffenen Grundstücke von besonderer Bedeutung.
Michael Below ist Salaried Partner der Kanzlei Heuking und spezialisiert auf das Öffentliche Wirtschaftsrecht.


