Jurist
Pro-Palästina-Demos: Wann erlaubt, wann nicht?
OVG Nordrhein-Westfalen urteilt
Mit den inhaltlichen Grenzen dieser Freiheit hatten sich die Gerichte bisher insbesondere mit Bezug auf rechtsextreme und nationalsozialistische Anschauungen zu befassen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen hat insoweit mit beachtlichen Argumenten die Auffassung vertreten, dass Versammlungen, die sich zum Nationalsozialismus bekennen, schon aus diesem Grund verboten werden können. Demnach ist „die nachdrückliche Absage an jegliche Form von Totalitarismus, Rassenideologie und Willkür“ Teil des Kernbestandes der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (Beschluss vom 23. März 2001 – 5 B 395/01).
Bundesverfassungsgericht zu Meinungsfreiheit
Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Auffassung allerdings ausdrücklich nicht in dieser Breite gefolgt. In seiner Entscheidung zum Verbot einer Gedenkkundgebung für den „Führer-Stellvertreter“ Rudolf Heß im Jahr 2005 erläuterte das Gericht, dass das Grundgesetz im Allgemeinen „die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit“ gewährleistet.
Ein staatlicher „Zugriff auf die Gesinnung“ ist nicht erlaubt. Vielmehr sind staatliche Eingriffe grundsätzlich erst dann zulässig „wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen“. Das Bundesverfassungsgericht erläutert weiter: „Der Schutz vor einer Beeinträchtigung des "allgemeinen Friedensgefühls" oder der "Vergiftung des geistigen Klimas" sind ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.“ (BVerfGE 124, 300 – Wunsiedel). Ein berechtigter Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist nach diesen Grundsätzen etwa dann möglich, wenn durch Leugnung der Judenverfolgung im Nationalsozialismus die Menschenwürde der heute in Deutschland lebenden Juden angegriffen wird (BVerfGE 90, 241 – Auschwitzlüge).
Das behördliche Verbot der Gedenkkundgebung für Rudolf Heß 2005 wurde demgegenüber auf einen damals neu eingeführten Straftatbestand gestützt, der die Störung des öffentlichen Friedens durch Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe stellt, § 130 Absatz 4 Strafgesetzbuch (StGB). Diese Norm, die an eine bestimmte Meinung anknüpft, hat das Bundesverfassungsgericht nur mit Bezug auf die Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus gebilligt, als historisch begründete Ausnahme vom Verbot meinungsbezogener Gesetze (BVerfGE 124, 300).
Demonstrationen im Einzelfall beurteilen
Für die Beurteilung der aktuellen außenpolitisch motivierten Demonstrationen wird es also regelmäßig darauf ankommen, ob im Einzelfall Gefährdungslagen und vor allem Straftaten nach den allgemeinen Strafgesetzen drohen. So steht etwa die öffentliche Billigung von Straftaten unter Strafe, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören; zu denken ist hier mit Blick auf Russland auch an die Billigung des Angriffskrieges, also einer Straftat nach § 13 Völkerstrafgesetzbuch. Daneben kommt vor allem der Tatbestand der Volksverhetzung in Betracht, etwa bei drohenden antisemitischen Äußerungen. Relevant sind weiter die Aufforderung zu Straftaten und die Beleidigung. Das öffentliche Verbrennen von Staatsflaggen (auch im Eigentum des Täters) kann ebenfalls oft strafbar sein.

Mit Bezug auf den russischen Angriffskrieg hat beispielsweise das OVG Magdeburg entschieden, dass die Verwendung der „Z“-Symbolik versammlungsrechtlich untersagt werden kann (Beschluss vom 27.04.2022 – 3 M 45/22). Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat mit Bezug auf eine antiisraelische Demonstration darauf hingewiesen, dass bei drohenden Äußerungsdelikten von Versammlungsteilnehmern ein Versammlungsverbot jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn diesbezügliche Auflagen erteilt werden können und der Veranstalter zur Unterbindung antisemitischer Äußerungen willens ist (Beschluss vom 21.10.2023 – 3 S 1669/23). Das Verwaltungsgericht Berlin hat demgegenüber ein Versammlungsverbot gebilligt, das auch auf zu erwartende antisemitische Ausrufe und Transparente gestützt wurde. Der dortige Veranstalter hatte bei vorangehenden Demonstrationen entsprechende Auflagen nicht durchsetzen können (Beschluss vom 11.10.2023 – VG 1 L 428/23).
Im Ergebnis ist jeweils im Einzelfall abzuwägen, ob ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit gerechtfertigt ist. Das umfassende Verbot einer Versammlung kann nur das letzte Mittel sein, das ergriffen wird, um Rechtsgüter zu schützen und Gefahren abzuwehren. Oder wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert: „Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien“ (BVerfGE 124, 300).
Michael Below ist Rechtsanwalt und Salaried Partner bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek in Düsseldorf.