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  3. Tempo 30: Entscheidungsfreiheit für die Kommunen?
Tempo 30 in deutschen Städten? Eine Initiative will das faktisch zur Regel machen, bzw. die Städte sollen grundsätzlich selbst darüber entscheiden dürfen.
Tempo 30 in deutschen Städten? Eine Initiative will das faktisch zur Regel machen, bzw. die Städte sollen grundsätzlich selbst darüber entscheiden dürfen.
© 123rf.com/profile_nataliia2910

Verkehr

Tempo 30: Entscheidungsfreiheit für die Kommunen?

von Annette Lübbers
Reporterin
17. März 2023
Tempolimits gehören in die Hände der Kommunen. Und zwar für alle Straßen. Das fordert eine Initiative, der sich gut 500 Kommunen angeschlossen haben. Es geht vor allem um die Hoheit über die Bundesstraßen. Wir zeigen Ihnen die Forderungen der Initiative und die Argumente der Gegner auf.

Aktuell sieht die Verkehrsordnung vor, dass Tempo 30 nur bei konkreten Gefährdungen oder vor sozialen Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen angeordnet werden kann. Das will die Initiative „Lebenswerte Städte“ ändern. Die Gegner hingegen sagen: Durch das Einführen von Tempo 30 in vielen Wohngebieten habe man es geschafft, den Verkehr umzuleiten und Hauptverkehrsrouten zu bündeln. Falle der Vorteil der schnelleren Fahrt auf den Hauptstraßen weg, würden viele Autofahrer wieder den kürzesten Weg nutzen – und auch wieder Wohnsiedlungen durchqueren. Außerdem müsste man in allen Städten die Ampelanlagen komplett anpassen - wofür weder Zeit noch Geld vorhanden sei, heißt es auch aus Kommunen, die sich der Initiative nicht angeschlossen haben.

Die Initiative "Pro Eigenentscheidung" hat Thomas Dienburg gegründet, er ist auch der Sprecher der Organisation mit dem Namen „Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angepasste Geschwindigkeiten“. Neben dem Aachener waren auch Freiburg, Ulm, Münster, Hannover und Augsburg von Anfang an mit am Start. 

Tempo 30: Das sind die Forderungen

Tempo 30-Zonen können laut §45 der Straßenverkehrsordnung bereits heute insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrraddichte sowie bei konkreten Gefährdungen - etwa vor sozialen Einrichtungen wie Kitas und Schulen - angeordnet werden. Von dieser Möglichkeit haben Leipzig und andere Kommunen in Deutschland schon flächendeckend Gebrauch gemacht. Aus diesem Grund hat die Initiative einen anderen Fokus gewählt. Thomas Dienberg erläutert: "Derzeit dürfen Tempo-30-Zonen-Anordnungen sich nicht auf Straßen des überörtlichen Verkehrs, also auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen erstrecken, noch auf weitere Vorfahrtsstraßen. Hier hat der zuständige Gesetzgeber für Beschränkungen des fließenden Verkehrs besonders hohe Anforderungen gestellt. Wir fordern den Bund deshalb auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, damit Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig halten."

Tempo 30: Das sagen die Bürger

Grundsätzlich befürworten viele Deutsche Tempolimits und stellenweise Tempo 30 Zonen. Allerdings finden sich in Umfragen große Mehrheiten gegen ein pauschales Tempolimit von 30 Stundenkilometern in Städten. Thomas Dienberg unterstreicht, ein pauschales Tempolimit, also auch auf Stadtautobahnen, Zubringern oder in Gewerbegebieten, sei auch gar nicht das Ziel der Initiative. "Wo Menschen jedoch wohnen, leben und ihre Freizeit verbringen, das bekommen wir jeden Tag bestätigt, wünschen sie sich weniger Lärm, weniger Abgase und vor allem eine sichere Umgebung für sich und die Familie. Und die Menschen in den Kommunen leben nicht nur in abgelegenen Wohngebieten, sondern auch im Herzen der Städte und Gemeinden, an den Hauptstraßen und großen Plätzen." Dass der Gesetzgeber eine lebenswerte Gestaltung von urbanen Räumen verhindere, passe einfach nicht mehr in die Zeit.

Tempo 30: Es wird gestritten und das seit Jahrzehnten!

So argumentieren die Verkehrsnutzer und andere Kommunen: 

Der ADAC konstatiert: "Auf Hauptverkehrsstraßen ist Tempo 30 in der Regel nicht sinnvoll". Die Automobilexperten prognostizieren mit vermehrten Tempo-30-Zonen eine signifikante Zunahme der Verkehrsbelastung durch Erhöhung der Reisezeiten! Auch die Industrie- und Handelskammern laufen gegen den Vorschlag Sturm, bei der IHK Leipzig etwa heißt es: "Im Moment ist es so, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit im Leipziger Stadtgebiet bei 27,6 km/h liegt." Eine Absenkung der Spitzengeschwindigkeit würde den Durchschnitt signifikant senken. "Das heißt, unsere Handwerker sitzen länger im Auto und sind später beim Kunden. In einer derzeitigen Situation, in der die Kosten für Arbeitszeit und Material drastisch durch die Decke gehen, sind unsere Betriebe nicht mehr bereit, das hinzunehmen."

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert flexible Lösungen, lehnt generelles Tempo 30 ab. „Der Verkehr muss fließen. Wenn er stockt, gibt es auch mehr Umweltbelastung“, argumentierte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Hauptverkehrsstraßen sollten daher beim Tempo 50 bleiben. Auch das Argument, mit einer Tempodrosselung lasse sich der Lärm reduzieren und das Klima schonen, trage nicht auf Dauer, gibt Landsberg zu bedenken. „Die Bundesregierung hat ja als Ziel 15 Millionen Elektroautos. Dann ist das Emissionsthema im Prinzip durch und das Lärmthema auch", sagte er im Deutschlandfunk. 

Thomas Dienberg ist anderer Meinung: "Zunächst einmal wissen wir, dass die Reisezeiten weniger stark von der erlaubten Höchstgeschwindigkeit beeinflusst werden, als von vielen anderen Faktoren. Natürlich brauchen wir für eine Strecke x bei konstant Tempo 30 etwas länger als bei Tempo 50. Die Realität wird damit aber nur ungenau abgebildet." Kreuzende Verkehre, Ampelschaltungen, parkende Fahrzeuge, das Wetter, Unfälle und Baustellen und vor allem die Zahl der Fahrzeuge selbst und die Belastung der Verkehrswege seien die tatsächlichen Gründe für signifikant verlängerte Reisezeiten. 

Wer ist überhaupt zuständig?

Das Straßenverkehrsrecht ist in Deutschland nicht immer einheitlich. In Leipzig etwa, erläutert Thomas Dienberg, seien  die unteren Straßenverkehrsbehörden Teil der kommunalen Verwaltung. "Diese Behörden können zum Beispiel ohne Lärmgutachten kein Tempo 30 - etwa auf der Rückseite einer Kita anordnen - weil der Gesetzgeber das nicht versieht. Dasselbe gilt aber auch für die Oberen oder Höheren Straßenverkehrsbehörden, die im Regelfall bei Regierungspräsidien oder Regierungsbezirken angeordnet sind." Ergo: Allein der Gesetzgeber, heißt es von Seiten der Initiative, verhindere die kommunale Eigenverantwortung in diesem Bereich. Thomas Dienberg: "Es handelt sich also nicht um das Ausspielen der Kommunen gegen die Straßenverkehrsbehörden, sondern um den Kampf der beteiligten Kommunen und deren Verkehrsbehörden gegen das kategorische Nein des Gesetzgebers." Der Ball - Herr Verkehrsminister Volker Missing - liegt in ihrem Feld.


 

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