Barrierefreiheit
Stadt als Vorreiter: Innovatives Hilfssystem für Sehbehinderte
Bessere Orientierung im ÖPNV als Ziel
„Unser Ziel war es, eine Technik zu finden, die es Blinden erleichtert, sich im ÖPNV zu orientieren“, sagt Peter Kolbert, Projektmanager und damaliger BIOS Entwicklungsleiter bei der Halleschen Verkehrs AG, kurz Havag. Bis vor wenigen Jahren stellte sich die Situation in Halle dar wie in vielen anderen Kommunen auch: Die Ampeln waren mit den vorgeschriebenen Meldern ausgestattet, die nachts allerdings ausgeschaltet wurden und die Namen der einzelnen Haltestellen und die Namen und Fahrtrichtungen der Straßenbahnen und Busse waren ausschließlich schriftlich gekennzeichnet. Die Folge: Sehbehinderte hatten an der Haltestelle keinen Anhaltspunkt, welche Bahn gerade einfährt, abends fehlten zudem die Signale an den Ampeln als Orientierungshilfe.
Einbindung von Fahrgastbeirat und Blinden- und Sehbehinderten-Verbänden
Um hier eine deutliche Verbesserung zu erreichen, gab es zu Beginn des Projekts intensive Gespräche mit dem Fahrgastbeirat und den Blinden- und Sehbehinderten-Verbänden, wie Kolbert berichtet. Dieser Austausch sei sehr ergiebig gewesen. „Das war eine wichtige Perspektive, um wirklich etwas Hilfreiches zu entwickeln." So hätte er dabei beispielsweise realisiert, dass Ampeln für Sehbehinderte nicht nur der Überquerung der Straße dienen, sondern auch eine grundsätzliche Orientierungshilfe darstellen, an welchem Punkt eines Weges sie sich gerade befinden.
BOS: Möglichst praktisch und einfach
Verschiedene Ziele sollten mit BIOS erreicht werden. Mit das Wichtigste darunter: „Wenn eine Bahn bei der Haltestelle einfährt, soll der Blinde erfahren, welche diese ist und wohin sie fährt“. Allerdings sollte die Ansage nur dann ertönen, wenn auch jemand mit besonderem Bedarf an der Haltestelle steht. Ebenso sollte es mit den Signaltönen bei den Ampelanlagen sein. Ein weiterer Anspruch an das System war eine möglichst simple Bedienung. „BIOS sollte so einfach wie möglichst gestrickt sein, damit auch Menschen mit einer zusätzlichen kognitiven Störung das System nutzen können“, sagt Kolbert. Zehn Jahre hat es schließlich gedauert, bis das derart entwickelte System nach einer umfangreichen Entwicklungs- und Testphase tatsächlich in Betrieb genommen werden konnte. „BIOS war definitiv kein Selbstläufer und es hat viele Veränderungen und Anpassungen gebraucht, damit es nun wirklich funktioniert“, so der Projektmanager.
So funktioniert das System
Die Funktionsweise von BIOS ist denkbar einfach: Menschen mit Sehbehinderung können entweder eine entsprechende App auf ihrem Smartphone installieren und aktivieren oder aber sie benutzen einen Transponder. Dabei handelt es sich um einen kleinen weißen Sender, der am Arm fixiert wird und, einmal angestellt, mit anderen Geräten im öffentlichen Raum kommuniziert. Sobald sich blinde oder sehbehinderte Personen nun einer Ampelanlage oder einer Haltestelle nähern, wird eine akustische Orientierungshilfe an der Lichtsignalanlage ausgelöst oder bei Einfahrt von Bus und Bahn in die Haltestelle Linie und Ziel ansagt. So können Sehbehinderte ohne um fremde Hilfe bitten zu müssen, die Ampeln finden und die Straßenbahnen nutzen.
BIOS in Halle weit verbreitet
„Das System ist ein großer Schritt und trägt zu deutlich mehr Selbstbestimmtheit und Sicherheit für Menschen mit Sehbehinderung bei“, sagt Kolbert. In Halle ist BIOS bereits über das Stadtgebiet verbreitet. So sind seit Ende vergangenen Jahres sämtliche Fahrzeuge der HAVAG mit dem BIOS System ausgestattet, außerdem gibt es derzeit 14 mit BIOS ausgerüstete Ampel-Anlagen in Halle und werden alle neuerrichteten Ampeln mit dem System ausgestattet. Eine aktuelle Neuerung ist zudem die Ausstattung markanter Punkte am Markplatz mit Signalen, so dass Sehbehinderte sich auch dort leichter orientieren können.

Finanzierung
Finanziert wurde das ursprüngliche Entwicklungsprojekt vom Sozialministerium, wobei die Ausrüstung der Fahrzeuge durch die Stadt getragen wurde, wie Kolbert berichtet. Wie hoch die Kosten jeweils waren, sei je nach Fahrzeug sehr unterschiedlich gewesen, gleichwohl bewegt sich der Aufwand zur Installierung von BIOS im Rahmen. „Das Ganze ist definitiv finanzierbar“, so der Projektmanager:
System bewährt sich sehr
In Halle wird BIOS bereits gut angenommen und intensiv genutzt. Das liegt auch daran, dass es in der Stadt eine Blindenschule mit großem Einzugsbereich gibt und dadurch besonders viele Menschen von dem neuen Hilfssystem profitieren. „Mit BIOS ermöglichen wir mehr Teilhabe und bauen Barrieren im täglichen Leben konsequent ab. Das bekommen wir auch rückgemeldet: Die Nutzer sind sehr zufrieden und erleben BIOS als ganz konkrete Hilfe in ihrem Alltag“, sagt Kolbert. Das sei die beste Bestätigung für die lange Arbeit, wobei es noch viele weitere denkbare Anwendungsmöglichkeiten von BIOS gäbe. „Die Felder sind hier noch lange nicht ausgeschöpft und liegen nicht nur im Nahverkehr. Man könnte zum Beispiel darüber nachdenken, Orientierungshilfen an den Eingängen von öffentlichen Einrichtungen anzubringen“, so Kolbert.
Großes Interesse anderer Kommunen
Von Beginn der Entwicklung an war es dem Projektteam ein Anliegen, dass das System mittelfristig nicht nur in Halle, sondern auch weit über die städtischen Grenzen hinaus zum Einsatz kommen soll. „Die Übertragbarkeit des Systems war uns ausgesprochen wichtig“, so Kolbert, schließlich soll BIOS eine möglichst breite Anwendung finden. Dies scheint realistisch. So haben bereits etliche Kommunen ihr Interesse bekundet und reichen die Anfragen über die Grenzen Deutschlands hinaus.


