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  3. Neuer Stadtteil - altes Baumaterial
Patrick Henry Village
So soll das Patrick-Henry-Village einmal aussehen. Auf dem Weg dorthin soll Urban Mining eine wichtige Rolle spielen.
© Stadt Heidelberg

Nachhaltigkeit

Neuer Stadtteil - altes Baumaterial

von Dorothea Walchshäusl
Reporterin | KOMMUNAL
27. Januar 2025
Die Heidelberger Konversionsfläche ist mit knapp 100 Hektar so groß wie die Altstadt. Dort soll bei einem deutschlandweit einzigartigen Großprojekt Urban Mining durchgeführt werden: Ein neuer Stadtteil entsteht und es wird alten Baumaterial wiederverwendet.

35 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland entfallen auf den Bausektor und das Material. Wie die Baukosten sind in den vergangenen Jahren extrem gestiegen. Umso mehr stehen die Kommunen vor der Frage, welche Möglichkeiten es gibt, um hier andere Wege zu gehen und Nachhaltigkeit zu fördern. In Heidelberg läuft vor diesem Hintergrund ein bundesweites Vorzeigeprojekt, bei dem ein ganzer Stadtteil durch Urban Mining –  „Bergbau in der Stadt“ – nachhaltig zurückgebaut und neu aufgebaut werden soll. Die Heidelberger Konversionsfläche ist mit knapp 100 Hektar so groß wie die Altstadt.

Riesenaufgabe und Chance

„Was wir hier vor uns haben, ist eine Riesenaufgabe und es gibt in dieser Größenordnung kein vergleichbares Projekt“, sagt Jürgen Odszuck, erster Bürgermeister von Heidelberg. Gleichzeitig ist die Wiederverwendung von altem Baumaterial aus seiner Sicht ein wesentlicher Ansatz, um zukunftsgerecht zu bauen. „Wir brauchen dringend ein Umdenken in der Baubranche“, unterstreicht er. Schließlich tue man sich zunehmend schwer bei der Beschaffung von neuem Material und gäbe es beim Rückbau von alten Gebäuden und durch die Deponiekosten einen hohen CO₂-Verbrauch. Dieser könne dann gesenkt werden, wenn das Material der bereits vorhandenen Gebäude für Neu- und Umbauten genutzt werden würde. Beim Circular-City-Projekt in Heidelberg ist genau das der Plan. Dabei soll bei allem Ringen um mehr Nachhaltigkeit auch die Wirtschaftlichkeit des Vorgehens beachtet werden. „Unser Ziel ist es, mit einer schwarzen Null hier rauszugehen“, so Odszuck.

Odszuck
Jürgen Odszuck, erster Bürgermeister von Heidelberg

Patrick-Henry-Village: ein Stadtteil mit Geschichte

Im Zentrum des Projekts steht das sogenannte Patrick-Henry-Village, ein insgesamt rund 100 Hektar umfassendes altes Kasernengebiet und damit die größte Konversionsfläche in Heidelberg. Im Südwesten der Stadt gelegen, wurde dort in den 1950er Jahren eine US-Wohnsiedlung erbaut. Bis 2014 lebten etwa 5.500 US-Amerikaner dort, nach Abzug der US-Army standen die Wohnungen leer und wurde das Gebiet an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übertragen. Seit 2015 dient ein Gebäudetrakt auf dem Areal als Ankunftszentrum für Geflüchtete, das auch als fester Bestandteil bestehen bleiben soll.

Kaserne
Die alten Kasernenbauten im Patrick-Henry-Village

Umbau zu vielfältigem Quartier

Bei der Neuplanung des Patrick-Henry-Village war trotz des bereits vorhandenen Bestands an Wohneinheiten schnell klar, dass sich etwas ändern muss. „Wir haben hier ein Areal mit 1800 Wohnungen, die jeweils 90 bis 150 Quadratmeter groß sind“, sagt Odszuck. In Heidelberg würden heute allerdings mehr als 50 Prozent 1-Personen-Haushalte bestehen. „Da passt das nicht zusammen und wir brauchen deutlich kleinere und flexiblere Wohneinheiten“, so der Bürgermeister, etwa gemeinschaftliche Wohnprojekte, Studierendenwohnungen und Wohnungen in verschiedenen Größen.

Entstehen sollen nun Wohnungen für etwa 10.000 Bewohner und zudem bis zu 5.000 Arbeitsplätze, wobei von den ca. 5000 neuen Wohnungen 50 Prozent im unteren Preissegment angesiedelt sein sollen. Das Ziel: „Das Patrick-Henry-Village soll zu einem vielfältigen Stadtteil von Heidelberg werden, mit attraktiven Wohn-, Arbeits-, und Freizeitmöglichkeiten, inklusive Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport“, so der Bürgermeister.

Die Vision: ein nachhaltiger Stadtteil

Wesentlich bei der Planung des neuen Stadtteils ist das Ziel der Nachhaltigkeit, das auf verschiedenen Ebenen umgesetzt werden soll. Neben der Wiederverwendung von Materialien aus alten Gebäuden im Rahmen des Urban Minings wurde ein klimaneutrales Energiekonzept mit wechselwarmem Netz erarbeitet, außerdem sollen zahlreiche Grünflächen und große Parks das Quartier als Frischluftschneisen und Erholungsgebiete durchziehen. Darüber hinaus sind begrünte Häuser und Photovoltaikanlagen geplant sowie ein eigenes Regenwassermanagement zur Anpassung an den Klimawandel. Auch was die Mobilität anbelangt, spiegelt sich der Nachhaltigkeits-Anspruch in den Planungen wider. Der Fokus liegt auf dem Rad- und Fußverkehr sowie Carsharing und weiteren umweltfreundlichen Mobilitätsangeboten, Parken ist in dem autoarmen Quartier in den Quartiersgaragen möglich.

Urban Mining

Der gewichtigste Faktor beim Circular City Projekt aber ist das Urban Mining, dessen Kernidee die Wiederverwendung von altem Baumaterial für neue Gebäude ist. Für das Projekt in Heidelberg bedeutet das konkret: Über 300 Bestandsgebäude, die nicht weiter genutzt werden können, sollen in Zukunft als Rohstofflager für die neuen Gebäude dienen. Die Grundlage hierfür ist die Erstellung eines digitalen Katasters, das Alter, Größe und Bauweise der Gebäude erfasst, um die verwertbaren Materialien zu analysieren. Schon vor dem Rückbau wird so der weitere Verwertungsweg festgelegt. Unter der Leitung von Kees Christiaanse und der IBA Heidelberg wurde laut Odszuck bereits ein detailliertes Konzept für jeden einzelnen Stoff entwickelt, wie dieser in Folge weiterverwendet werden kann.

Urban Mining
Urban Mining: ein Ansatz für mehr Nachhaltigkeit im Bau

Beispielhafte Voruntersuchung für Materialkataster

Bei der Erstellung des digitalen Materialkatasters geht es um die Erfassung von insgesamt 325 Bestandsgebäuden, die entweder saniert oder abgerissen werden müssen. Noch kann mit dem Umbau und der detaillierten Erfassung nicht begonnen werden, da das Areal noch nicht im Besitz der Stadt ist. Allerdings wurden beispielhaft bereits drei Gebäude auf Schadstoffe, Materialien sowie Wand-, Decken- und Bodenaufbauten hin untersucht inklusive der Einbauten wie Küchenzeilen, Toiletten und Steckdosen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden nun auf 22 Wohngebäude, 4 Doppelhäuser und 11 Sonderbauten im südlichen Baufeld A5 übertragen, um den Rückbau vorzubereiten. „Die technischen Möglichkeiten hier sind faszinierend. Man kann mittlerweile anhand von nur wenigen Informationen zu den Gebäudearten auf 5 bis 10 Prozent Genauigkeit sagen, welches Material man dort vorfinden wird“, stellt Odszuck fest.

Ansatz soll übertragbar sein

Bis in Heidelberg tatsächlich mit dem Rück- und Neubau im Patrick-Henry-Village begonnen werden kann, wird es noch etwas dauern. Der Grund: Aktuell ist das Areal noch in Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, wobei die Kaufverhandlungen schon seit fünf Jahren laufen. „Wir wollen dringend Eigentümer des Areals werden, damit wir endlich mit dem Bau starten können“, sagt Odszuck. Nach aktuellem Stand hat er die Hoffnung, dass in der zweiten Jahreshälfte von 2025 mit den Bauarbeiten begonnen werden kann. Läuft alles nach Plan, könnten Ende 2027, Anfang 2028 die ersten Bewohner einziehen in die neu errichteten Wohnungen. Im besten Fall sollen von den Erfahrungen in Heidelberg dann auch andere Kommunen profitieren. „Das Interesse über die Stadtgrenzen hinaus ist riesig und wir möchten hier ein Modell verwirklichen, das dann auch von anderen genutzt werden kann. Dabei rate ich sehr dazu, die Dinge pragmatisch und nicht ideologisch anzugehen. Letztlich soll es praktikabel sein und auch auf andere Bauprojekte übertragbar“, resümmiert der Bürgermeister.

Weitere Informationen zum geplanten Umbau des Patrick-Henry-Village hier

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