Umnutzungsideen
Tschüss Brachflächen, hallo Vielfalt!
Die neue Welt in Neu-Isenburg
Ursprünglich handelt es sich um ein Industriegebiet. Seit 1900 waren dort verschiedene Betriebe ansässig, um 2000 herum wurden diese nach und nach eingestellt und die Gebäude abgetragen. Aus Sicht der Kommune bot die brach liegende Fläche inmitten der Stadt großes Gestaltungspotential, zumal ein Teil davon in Bundesbesitz war und die Gemeinde hier das Vorkaufsrecht hatte. „Das war eine große Chance für unsere Kommune und wir konnten selbstbewusst in die Gespräche gehen", sagt der Bürgermeister.Zwischen 2018 und 2023 hat die städtische Gewobau ein Drittel der Fläche erworben: „Wir haben so die Möglichkeit, mitzugestalten und eine zentrale Fläche in der Stadt zu prägen. Als Eigentümer können wir ganz anders Einfluss nehmen“, so Hagelstein. Der große Vorteil: Während private Eigentümer Rendite machen müssten, habe die Stadt diesen Druck nicht und könne so ganz im Sinne der Bürger entscheiden.

Die Voraussetzung dafür, ein derartiges Projekt mit einer Gesamtinvestition von 250 Millionen Euro zu stemmen, war laut Hagelstein die jahrzehntelange kommunale Expertise. „Bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ist die notwendige Erfahrung, Power und Größe vorhanden, um ein solches Mammutprojekt umzusetzen“, so der Bürgermeister. Derzeit sind 382 Wohnungen im Bau, ab 2024 werden die ersten Mieter einziehen. Rund 2.000 Menschen werden später einmal im neuen Quartier leben und 1.700 dort arbeiten.
Augsburg: Industriebrache wird zum Kulturort
Was tun mit der Industriebrache mitten in der Stadt? Auch in Augsburg hat man sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Im Zentrum der Debatte stand ein ehemaliges Gaswerk im Stadtteil Oberhausen, das von 1915 bis 2001 erst für die Gasproduktion, dann für die Gasspeicherung von den Stadtwerken als Eigenbetrieb geführt wurde. Nach der Stilllegung stand die Neunutzung von sieben Hektar Industriebrache zur Diskussion. „Wir haben lange überlegt, was dort entstehen könnte und es wurden verschiedene Modelle diskutiert und Konzepte erstellt“, erzählt Nihat Anac, der Geschäftsbereichsleiter der swa KreativWerk GmbH der Stadtwerke Augsburg.
Zudem musste geprüft werden, was baurechtlich möglich ist auf dem belasteten Gelände. „Klar war, wir wollten dort ein Kreativareal“, sagt er. Den entscheidenden Impuls gaben zwei andere Entwicklungen: Ab 2015 musste das Augsburger Staatstheater saniert werden und es wurden Interimsspielstätten gesucht. Zum anderen suchte die Stadt Räume für Künstler und Musiker. Das Schauspiel konnte im Ofenhaus des Gaswerks eingerichtet werden, die Künstler fanden Räume in anderen Gebäuden. Schrittweise wurden alte Gebäudeteile saniert und umgestaltet, ein Parkhaus errichtet und Büroräume geschaffen. Heute ist das Gelände Heimat von Agenturen und Architekturbüros, zudem befindet sich dort ein Restaurant.

Potenzielle Mieter früh miteinbezogen
Rund 4.000 Quadratmeter Fläche sind über das Kulturreferat an Künstler vermietet. 60 Millionen Euro wurden von den Stadtwerken Augsburg bislang investiert. Für Anac ist das Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. „Als Stadt haben wir Verantwortung für das Gaswerksgelände. Wir haben von dort 100 Jahre lang die Stadt mit Wärme versorgt. Jetzt wollen wir den Bürgern kulturelle Vielfalt bieten.“ Dass dies so gut angenommen wird, liege vor allem daran, dass die möglichen zukünftigen Nutzer schon sehr früh in den Planungsprozess miteinbezogen wurden. „Was muss das Gebäude haben, damit ihr kommt und dort arbeiten wollt?“ – das war die zentrale Frage, die die Stadt an die potenziellen Mieter gerichtet hat. 2023 fanden an über 90 Tagen Veranstaltungen mit über 150.000 Besuchern statt. „Es läuft wirklich gut. Das Gelände ist voll ausgebucht und hat eine besondere Aura. Die Bürger verbinden das Gaswerk mit schönen Erfahrungen“, bilanziert Anac.
Wildnis in der Stadt in Frankfurt am Main
Manchmal kann auch die Natur selbst die Lösung sein für alte Industriebrachen. Im Rahmen des Bundesprojekts „Städte wagen Wildnis“ zur Förderung der biologischen Vielfalt haben von 2016 bis 2021 mehrere Kommunen erprobt, wie mitten in der Stadt mehr Wildnis einziehen kann. „Wildnis heißt einerseits, Flächen sich selbst zu überlassen“, sagt Thomas Hartmanshenn, der das Projekt in Frankfurt am Main als Abteilungsleiter am Umweltamt begleitet hat. Gleichzeitig bedürfe Wildnis einer besonderen Pflege und Kenntnis der Flächen, damit sich dort auch tatsächlich Vielfalt entwickeln kann. Neben dem frei zugänglichen Nordpark war es in der Großstadt der „Monte Scherbelino“, der als wilde Fläche definiert wurde. Dabei handelt es sich um ein Gelände am Fuße einer ehemaligen Mülldeponie und saniert werden musste. Dafür musste auch gerodet werden.

Dessau-Roßlau: Blühende Wiesen
„Eigentlich sollte das Gebiet danach wieder zu Wald werden. Aber es ist ein entscheidender Unterschied, ob klassisch aufgeforstet wird oder eine strukturreiche Fläche entsteht“, sagt Hartmanshenn. In Frankfurt hat man sich für Zweiteres entschieden und Kleinstlebensräume unterstützt. Die Folgen seien beeindruckend: „Wenn Sie die Fläche heute besuchen, erleben Sie dort einen Hotspot der Artenvielfalt“, so der Abteilungsleiter. Auch im Nordpark seien mittlerweile Biber und Eisvogel wieder angekommen.
Ganz anders war die Ausgangslage beim weiteren Projektteilnehmer Dessau-Roßlau. „Die Roßlauer waren bereits total übersättigt von wilden Freiflächen“, so Hartmanshenn, schließlich prägten seit der Bevölkerungswanderung nach der Wende riesige Industriebrachen das Stadtbild. Um dennoch etwas für die Artenvielfalt zu tun, habe man sich dort dazu entschieden, „Verwilderung rausholen und Blühwiesen anzusäen“. Stadtwildnis bedeutet in Dessau-Roßlau heute „der Blick auf blühende Wiesen und Stauden“, wie Hartmanshenn sagt. Die Folgen: „Es gibt wieder deutlich mehr Artenvielfalt, das Auge kann sich das ganze Jahr über erfreuen und die Bürger sind davon begeistert“.

