Energiewende
Ist Windenergie reines Wunschdenken?
Immer noch dauern die Genehmigungsverfahren lang. Im Bundesschnitt zieht sich das Verfahren rund 25 Monate hin. Der kleine Flecken Steyerberg im Landkreis Nienburg/Weser (Niedersachsen), beherbergt etwas mehr als 5.000 Einwohner auf einer Fläche von 101,99 Quadratkilometern. Gemessen an der geringen Fläche hat die Gemeinde eine geradezu erstaunliche Zahl an Windparks, nämlich gleich drei. Aber damit nicht genug: Ein vierter Windpark ist in Planung, ein fünfter für den Rat immerhin denkbar.
Windkraft: kleine Bürgerschaft, große Windparks
Das Erfolgsgeheimnis Marc Meyer, Bürgermeister von Steyerberg, unterstreicht: "Die Windkraft ist bei uns unter Anderem von so hoher Akzeptanz geprägt, weil wir die Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben. Dazu kommt durch die vielfältigen Aktivitäten im Bereich der Nachhaltigkeit mittlerweile eine hohe Kompetenz auch aus unserer Bürgerschaft. Ab 2.000 Euro bis zu 30.000 Euro konnten sich Anwohner bei der Erweiterung des letzten Windparks beteiligen und die Zinsen waren besser als bei vergleichbaren Anlagen. Also eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten." Neben den Windparks liefern Wasserkraft, Biogas und Photovoltaik Strom. Das Ergebnis: Eine nahezu hundertprozentige Eigenversorgung.
Wärmeversorgung? Auf gutem Weg
Unabhängigkeit in Sachen Stromversorgung? In diesem Bereich sind schon viele Kommunen auf einem guten Weg. Anders sieht es zumeist in der Wärmeversorgung aus. Über einen langen Zeitraum günstige fossile Energieträger wie Gas und Erdöl beheizen noch immer viele Wohnungen der Republik. Steyerberg ist da schon einige Schritte weiter: Zwei Wärmenetzwerke, gespeist mit der Abwärme von Biogasanlagen und einem lokalen Chemieunternehmen, sind bereits in Betrieb. Zudem entsteht hier aktuell das größte Fernwärmenetz im ländlichen Raum. Der Bürgermeister unterstreicht: "Bis Ende 2023, spätestens Mitte 2024, wollen wir damit auch in Sachen Wärme einen großen Schritt in Richtung unabhängiger Energieversorgung machen. Auf dem Weg dahin zählt für uns jedes Haus, das keine fossilen Energien mehr verbraucht und entsprechend der neuesten Standards saniert ist. Dafür haben wir als Kommune auch starke Anreize geschaffen."

Aufbruchstimmung statt Zahlen
Maßnahmen, die es braucht, wenn die Kommune ihre Ziele erreichen will: Bis 2050 ganze 95 Prozent der Treibhausgase einsparen und den Energieverbrauch um 50 Prozent senken - verglichen mit dem Jahr 1990. Wie weit Steyerberg in 32 Jahren gekommen ist? Darüber redet der Bürgermeister ungern. Eigentlich befasst er sich mit den konkreten Zahlen nicht einmal. "Natürlich haben wir keinen Durchgriff auf alle privaten Maßnahmen, was eine exakte Datenerhebung erschwert. Aber das interessiert uns auch nicht wirklich. Wichtiger als Zahlen zu erheben, ist es für uns, eine Aufbruchstimmung zu schaffen, die sich nicht am bereits Geleisteten, sondern am Machbaren orientiert. Zum Zurücklehnen ist es definitiv noch viel zu früh."
Maßnahmen aus der Trickkiste
Um die großen Ziele zu erreichen, geht die Kommune auch schon mal unkonventionelle Wege. Wer in Steyerberg neu bauen will, muss das neue Gebäude als Passivhaus oder als Haus nach KfW-Standards planen. Zwar darf man in Deutschland als Kommune die Farbe der Dachziegel vorschreiben und mittlerweile auch Schottergärten verbieten, ökologische Vorgaben in der Größenordnung darf eine Kommune eigentlich nicht machen. Marc Meier hält das für unsinnig, weiß aber auch, in wie vielen Kommunen Unsicherheit herrscht bezüglich des Machbaren. Sein Motto: Einfach mal neu denken.
Neubaugebiete? Ein Ja mit Einschränkung
Ein Neubaugebiet? Derartige werden in manchen Kommunen gerade gestrichen, um weitere Flächenversiegelungen zu vermeiden. Marc Meyer nickt: "Das ist auch richtig so. Wir in Steyerberg haben uns für ein bilanzielles Nullsummenspiel entschieden: Wenn irgendwo Flächen neu versiegelt werden, dann muss anderswo Bebauung beendet und das Gebiet der Natur zurückgegeben werden. Gleichzeitig fördern wir mit bis zu 15.000 Euro den Erwerb von Altbauten und damit deren Nachnutzung. Junges Leben in Altbauten heißt das gut angenommene Programm."
Ob Windkraft oder Solar: Forderungen an die Politik
Soweit man in der eigenen Kommune auch ist - für die Klimaschutzziele der Bundesregierung sieht der Bürgermeister von Steyerberg Deutschland noch längst nicht auf einem erfolgversprechenden Weg. Sein Appell an die politische Landes- und Bundesebene:
- „Klimaschutz sollte kommunale Pflichtaufgabe werden. Eine angemessene finanzielle Grundausstattung anhand von Einwohnerzahlen und vorhandener Fläche spart Aufwand im Vergleich zur Umsetzung förderabhängiger (Einzel-)Projekte. Bitte gebt den Kommunen das Vertrauen in die sinnvolle Verwendung entsprechender Gelder ohne Förderkulisse, denn die gesellschaftliche Transformation muss von den Kommunen getrieben werden.“
- "Ein Abbau der Bürokratie ist dringend erforderlich, damit beispielsweise ein Antrag für einen Windpark nicht vor dem ersten Spatenstich schon 30 Aktenordner füllt."
- "Die Genehmigungsverfahren müssen verkürzt werden. Von der ersten Idee zu einer geplanten Windanlage bis zur Fertigstellung vergehen in Deutschland durchschnittlich sieben Jahre. Hier müssen wir für eine erfolgreiche Energiewende schneller werden."
