Klimaschutz
Für mehr Klimaschutz: Agroforsten und Blueing
Wasser als Grundlage der Landschaftsgestaltung?
Beim „Blueing“ dreht sich im Kern tatsächlich alles ums Wasser. Ohne Wasser würde die Sonnenenergie nicht in Lebensprozesse umgewandelt werden. Deshalb ist es so wichtig, Wasser oberflächennah und gleichmäßig in der Landschaft verteilt zu halten. Schon Ende der 90er Jahre lehrten Prof. Wilhelm Ripl und Dr. Christian Hildmann dieses Konzept an der Technischen Universität Berlin. Mittlerweile fragen sich immer mehr Forschende, ob Wasser nicht eine bisher möglicherweise stärker unterschätzte Komponente im Klimaschutz ist.
Welche Rolle spielt dabei das sogenannte Agroforsten?
Das Agroforsten ist ein wesentlicher Teil des „Blueing“. In einem Agroforst werden Gehölze auf unterschiedliche Art und Weise in die landwirtschaftliche Landnutzung integriert. Agroforst ist eine nachhaltige Landnutzungsart, die gesamtgesellschaftlich betrachtet einen sehr wertvollen klimatischen und darüberhinausgehenden ökologischen und in der Folge auch ökonomischen und sozialen Beitrag leisten kann.
Welche Vorteile haben „Blueing“ und Agroforst – verglichen mit derzeit üblichen Wirtschaftsformen?
Wir erhoffen uns, dass „Blueing“ – und Agroforst als ein Beispiel – unsere ökologische Lebens- und Wirtschaftsgrundlage auf lange Sicht deutlich besser erhalten und uns am Ende mehr Lebensqualität schenken wird. Ohne Maßnahmen wie diese werden die bekannten negativen Effekte des Klimawandels vermutlich spürbar zunehmen und unsere bisher noch so blühenden Landschaften in Gefahr bringen. Unser Landkreis hat sich deshalb zum Handeln entschlossen. Wir wollen „blau“ machen.

Dafür braucht es die Zusammenarbeit mit den Landwirten?
Ein klares Ja. Im Landkreis Wolfenbüttel werden etwa 68 Prozent der Flächen landwirtschaftlich genutzt. Bisher zeigen diese Flächen im Sommer relativ hohe Temperaturen, sind im Verhältnis wenig biodivers und tragen nicht so gut zum Gewässer-, Boden- und Hochwasserschutz bei, wie sie dies theoretisch könnten. Schon jetzt leistet die Landwirtschaft enorm viel für unsere Gesellschaft und diese Leistung will ich auch nicht kleinreden, aber gemeinsam könnten wir noch sehr viel mehr erreichen. „Blueing“ bedeutet in diesem Bereich zum Beispiel, bodenschonend und humusaufbauend zu wirtschaften, die Böden möglichst ganzjährig zu bepflanzen, bestenfalls viel mehr Gehölze wie Bäume oder Sträucher in die Landschaft zu bringen und Wasser nicht so schnell abfließen zu lassen. Hier können Hochwasserschutz und Landwirtschaft Hand in Hand arbeiten.
Wie wollen Sie die Landwirte überzeugen?
Gelingen kann das „neue Wirtschaften“ tatsächlich nur dann, wenn wir die Anreize fürs Blueing so setzen, dass die Landwirte Agroforstwirtschaft und auch andere Maßnahmen, die die Ökosystemleistungen stärken, gerne, ohne Verluste und bestenfalls sogar mit Profit umsetzen. Stimmen aus der Landwirtschaft sagen, dass die 60 Euro pro Hektar Gehölzfläche und selbst die erhöhten 200 Euro pro Hektar ab 2024, die hierfür in der neuen gemeinsamen Agrarpolitik vorgesehen sind, bei Weitem nicht ausreichen.
Welche konkreten Maßnahmen stehen auf der Agenda, um den Landkreis zu einer Modellregion für beides werden zu lassen?
Im Landkreis Wolfenbüttel sind wir zusammen mit verschiedenen Partnerinnen und Partnern am Anfang einer systematischen Blueing-Ausrichtung und am Aufbau eines entsprechenden Gesamtkonzeptes. In dieses Konzept können wir viele unserer bereits laufenden, aber auch abgeschlossen Projekte einbinden. Ein erstes Modellprojekt mit dem Arbeitstitel „Blaue Wabe“ soll im oberen Wassereinzugsgebiet der Wabe von der Quelle im Elm bis nach Neuerkerode entstehen. Zudem streben wir die Wiedervernässung im Niedermoor „Großes Bruch“ am Grünen Band an – auch das ein Beitrag zu unserer Blueing-Strategie. Ein neues Wasserversorgungs- und Managementkonzept für den Landkreis wird erarbeitet, ebenso ein Maßnahmenkatalog für die freie Natur sowie für Siedlungsbereiche, in denen noch viel getan werden kann – etwa die Anlage von Wasserrückhaltebecken oder Dachbegrünungen. Ebenso auf der Agenda: Der Aufbau von wenig bewirtschafteten, naturnahen Wäldern, die kühlend wirken und dabei helfen, Nährstoffe und Wasser in der Landschaft zu halten.
Welche Kommunen, Organisationen, Institute und Privatpersonen sind beteiligt?
Wir arbeiten hier gerade an einem breit aufgestellten Netzwerk. Aktuell sind bereits die Landwirtschaftskammer Niedersachsen, der UNESCO Geopark Harz - Braunschweiger Land - Ostfalen, der Naturpark Elm-Lappwald, die Flussgebietspartnerschaft Nördliches Harzvorland, die Stiftung Zukunftsfonds Asse, der BUND mit der Kreisgruppe Wolfenbüttel sowie der Landschaftspflegeverband Wolfenbüttel Partner und Unterstützer. Um nur einige zu nennen.
Welche Ziele hat sich der Landkreis in welchem Zeitraum konkret gesteckt?
Wir sind derzeit noch in der Konzeptionierungs- bzw. Planungsphase sowohl mit Blick auf das Gesamtkonzept als auch bezüglich unserer beiden Modellprojekte. Wir wollen die Rahmenplanung bis Mitte nächsten Jahres aufgestellt haben. Zielanpassungen sollen dann, wo immer nötig, flexibel erfolgen.
Was kostet den Landkreis das Modellprojekt?
Das können wir in der aktuellen Planungsphase noch nicht quantifizieren. Wir arbeiten parallel an Fördermöglichkeiten für Blueing-Maßnahmen, für die wir unter anderem mit der Landwirtschaftskammer angemessene Förderbeiträge ermitteln. Hierbei wollen wir auch – wo es möglich ist – Ersatzgelder aus Eingriffen in Natur und Landschaft berücksichtigten. Ganz konkret aus aktuellen Genehmigungen von Windenergieanlagen. Die Höhe dieser Ersatzgeldzahlungen liegt im siebenstelligen Bereich. Zudem schauen wir parallel, wo es vom Land, Bund oder anderen Einrichtungen Fördermöglichkeiten gibt, die wir für unsere Strategie bzw. konkrete Maßnahmen nutzen können. Generell gilt: Wir müssen gesamtgesellschaftlich noch engagierter werden und deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um die Stärkung und Erhaltung der essenziellen Ökosystemleistungen durch alle Beteiligten zu ermöglichen.
