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  1. Praxis
  2. Klimaschutz
  3. Erster umweltneutraler Stadtteil als Blaupause
Bahn Duisburg Klimaschutz
Duisburg will einen ganzen Stadtteil umweltneutral gestalten.
© Peter Jacques

Duisburg-Ruhrort

Erster umweltneutraler Stadtteil als Blaupause

von Annette Lübbers
Reporterin
15. Dezember 2024
Ein von Industrie geprägtes Viertel der Ruhrmetropole Duisburg soll bis 2029 das erste urbane Gebiet in Europa werden, das umweltneutral aufgestellt ist. Wie das ehrgeizige Projekt umgesetzt werden soll.

Ohne ihn wüssten wohl die wenigsten Deutschen im Süden und Osten der Republik, zu welcher Kommune der Stadtteil Ruhrort gehört: Horst „Schimmi“ Schimanski alias Götz George. Über viele Jahre prügelte sich der etwas andere Bulle in seiner schmuddeligen Outdoorjacke, mit dem wenig gepflegten Umgangston und dem großen Herzen durch die Straßen Duisburg-Ruhrorts, im Volksmund auch gerne das St. Pauli des Ruhrgebiets genannt.

Projekt Urban Zero in Duisburg-Ruhrort

Seit Beginn der Neuzeit war das kleine klevische Städtchen Ruhrort ein Schifffahrtsplatz. Im 18. Jahrhundert wurde daraus der größte Binnenhafen Europas. Im 2. Weltkrieg verlor Ruhrort alle seine Brücken und den größten Teil seiner Gebäude, der Wiederaufbau erfolgte schnell, pragmatisch und ohne Rücksicht auf Ästhetik am Bau. Schon in den 1950er-Jahren wurden hier wieder im großen Stil Eisenerze, Mineralöle, Kohle, Eisen, Stahl, Kies, Sand, Schrott und Getreide umgeschlagen. Nun soll aus dem von Binnenschifffahrt, Kohle und Eisen geprägten Gebiet bis 2029 etwas radikal Neues entstehen: der erste umweltneutrale urbane Stadtteil Europas. Ein Projekt, von dem der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link schon jetzt sagt: „Es ist toll, dass es so ein einzigartiges Projekt mitten in Duisburg gibt. Das Ziel: Im Ruhrort soll der Mensch ab 2029 die Umwelt nicht mehr negativ beeinträchtigen und die Transformation der Bevölkerung ein Plus an Lebensqualität und eine Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation bringen."

Blaupause für die ganze Welt

Knapp 6.000 Menschen leben im Duisburger Stadtteil Ruhrort auf etwa 5,4 Quadratkilometern. Diesen wenig glanzvollen Stadtteil mit seiner großen Vergangenheit haben sich die Macher des Projektes „Urban Zero“ für ihr ambitioniertes Unterfangen ausgesucht: den Unternehmer Dirk Gratzel. Seine Kinder brachten ihn zum Umdenken, wie er sagt. In einem wissenschaftlich begleiteten Selbstversuch seine persönliche Ökobilanz erstellen, die „erschreckend hoch ausfiel“.  Er will, dass der kleine Duisburger Stadtteil zur Blaupause nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt wird.

Die Kommune besitzt viele öffentliche Flächen, die sich neu gestalten lassen.“

Katrin Witthaus, Geschäftsführerin Urban Zero Ruhrort

Ein schon seit dem 18. Jahrhundert in Ruhrort ansässiges Industrieunternehmen ist ebenso Teil der Projektgesellschaft wie die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Gebag und die – über große Flächen verfügende – Hafengesellschaft „duisport“. Als wissenschaftliche Begleiter mit im Boot: die Technische Universität Berlin, die Universität Witten/Herdecke und die Technische Hochschule Dortmund. Peter Weidig, Vertreter von Haniel und Geschäftsführer der Projektgesellschaft Urban Zero Ruhrort mbH, unterstreicht: „Ruhrort haben wir uns bewusst ausgesucht. Wenn es gelingt, diesen ehemaligen Industriestandort enkelfähig zu transformieren, dann kann Urban Zero eine Blaupause für andere industriell geprägte, urbane Räume sein.“

Duisburg-Ruhrort soll ein umweltneutraler Stadtteil werden.“

Peter Weidig, Geschäftsführer der Projektgesellschaft Urban Zero Ruhrort

Katrin Witthaus und Dieter Weidig, die beiden Geschäftsführer der Projektgesellschaft Urban Zero Ruhror

Das Projekt ist in drei Phasen unterteilt: Analyse, Reduktion und Kompensation. Katrin Witthaus von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ist ebenfalls Geschäftsführerin der Projektgesellschaft. Sie hat bereits erste Erkenntnisse gesammelt: „Unsere 90 Seiten starke Analyse hat ergeben, dass die größten Treiber der Emissionen die Energie, die Gebäude und der Verkehr sind. Dicht gefolgt vom Konsum, was uns dann doch ein wenig überrascht hat.“ Peter Weidig betont: „Gerade im letzten Bereich wird entscheidend sein, ob und wie wir die Bevölkerung mit ins Boot bekommen. Wir werden sicherlich viele kleine Lösungen ausprobieren und anhand der Ergebnisse und Reaktionen weiter lernen. Die eine Maßnahme kann es in keinem der Bereiche geben.“

Konzepte für Mobilitätswende

Genau darum geht es in Schritt Nummer zwei: herauszufinden, welche Maßnahmen in welchen Bereichen die größte Aussicht auf Erfolg – also auf Reduzierung der Emissionen – haben könnten. Besonders im Blickpunkt: die Loslösung der Energieversorgung von Gas und Öl. Ebenso wichtig: eine Wende in der Mobilität. Peter Weidig erläutert: „Veränderungen in diesem Bereich greifen natürlich stark in die Gestaltung der Stadt ein. Ausgeschlossen ist nichts, aber die Konzepte müssen Akzeptanz der Menschen vor Ort finden.“

Suche nach Investoren

Die Transformation eines ganzen Stadtteils – das klingt nicht nur nach einem ambitionierten Projekt. Das klingt auch nach Millionen, wenn nicht sogar nach Milliardenbeträgen an Investitionen. Allein die Konzeptionierung des Projektes mit Kommunikations- und Aktivierungsmaßnahmen, die erste Ökobilanzierung eines Stadtteils sowie die laufende Realisierungsplanung – verschlingen eine mittlere, einstellige Millionensumme. Den Initiatoren ist klar, dass die Kommune – lange Jahre in der Haushaltssicherung – keine Millionen und schon gar keine Milliarden zu verteilen hat.

„Keine Frage, wir brauchen Investoren, private Kapitalgeber und Fördergelder. Daran arbeiten wir aktuell“, sagt Peter Weiding. Und Katrin Witthaus verweist auf das Engagement der Stadt, sich wo immer möglich einzubringen: „Unser Oberbürgermeister steht voll hinter dem Projekt, entsprechende Personalstellen wurden dafür eingerichtet.

Ruhrorter Unternehmen als Unterstützer

Auch darüber hinaus kann die Stadt im Bereich Kompensation von Emissionen auch ohne Finanzhilfen einiges beitragen: Die Kommune hat viele, öffentliche Flächen in ihrem Besitz, die sich im Sinne des Projektes neu gestalten lassen.“ Als Vertreter eines alteingesessenen Industrieunternehmens will Weidig aber auch die Ruhrorter Unternehmen in die Pflicht nehmen, zum Transformationsprozess beizutragen. „Das geschieht auch schon. Gerade traditionsreiche Familienunternehmen wollen einen Beitrag leisten. Mehr Engagement geht immer, aber wir sind in guten Gesprächen.“

Bürgerschaft - die Reaktionen auf das Projekt

Bleibt die Bürgerschaft, die ja im Sinne einer erhöhten Lebens- und Aufenthaltsqualität profitieren soll, sich aber häufig auch mit allzu großen Veränderungen schwertut. Katrin Witthaus weiß, dass es auf allen Ebenen – auch auf dieser – einen Bewusstseinswandel braucht: „Wir wollen der Bevölkerung neue Möglichkeiten der Teilhabe eröffnen und vielleicht sogar Änderungen im Lebensstil bewirken. Etwa mit der Entwicklung einer App, die helfen soll, ganz individuelle Ökobilanzen zu erstellen. Manche Bürger stehen schon jetzt hinter dem Projekt, andere begegnen uns mit einer Art neugieriger Skepsis. Aber wir sind voller Hoffnung, dass schon die ersten Initiativen der Bevölkerung den Mehrwert von weniger Verkehr und mehr entsiegelten Flächen aufzeigen werden.“

Schon in den kommenden Jahren soll Ruhrort zu einer großen, grünen Baustelle werden. Peter Weidig zeigt sich zuversichtlich: „Wenn uns das in den kommenden Jahren in einem immer größeren Ausmaß gelingt, dann ist der Weg hin zu Urban Zero nicht mehr weit.“

Der Unterschied
Umweltneutral

bedeutet: keine

negativen Auswirkungen auf die Umwelt
Klimaneutral

bedeutet: keine

negativen Auswirkungen auf das Klima

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