Mundart
Dialekte: Warum sie glücklich machen
Weg vom Ortsdialekt hin zum Regiodialekt
Nachdem ein Forschungsvertrag zwischen Gemeinde und Universität geschlossen worden war, führte die promovierte Wissenschaftlerin Anfang Oktober 2021 zahlreiche Gruppeninterviews. Insgesamt 15 Leute aus neun Gemeindeteilen wurden hierfür ausgewählt, die ebenso wie ihre Eltern in der Region geboren und aufgewachsen sind und mindestens 60 Jahre alt. Angelehnt an dem Vorgehen für den Bayerischen Sprachatlas, wurde ein Fragenkatalog verwendet. Noch läuft die Auswertung.
Das Ergebnis der Erhebung wird bald digital frei zugänglich sein und ist für die Kommune in vielfältiger Weise nutzbar, etwa für die Website oder ein Gemeinde-Wörterbuch. Die lokalen sprachlichen Feinheiten hätten heute Seltenheitswert, schließlich gebe es eine Tendenz weg vom Ortsdialekt hin zu einem „Regiolekt“, sagt die Forscherin. Was die allgemeine Bedeutung des Dialekts anbelangt, beobachtet Fritz-Scheuplein eine ambivalente Entwicklung. „Einerseits stirbt der Dialekt tatsächlich immer mehr aus und verliert an Präsenz. Andererseits gibt es eine Rückbesinnung auf den Dialekt als Kulturgut und es haben viele Leute Spaß daran.“
Mundartwege mit Dialekt-Schildern
Das zeigen auch die sogenannten Mundartwege, die vielerorts entstehen. Einer davon befindet sich im Odenwald, 2021 initiiert von Hans Slama, dem Vorsitzenden des Heimat- und Verkehrsvereins Mudau. Die Idee: Entlang eines bekannten Weges sollen verschiedene Tafeln die Mundart der angrenzenden Orte dokumentieren. Pro Ort gibt es eine oder auch mehrere Tafeln, auf denen jeweils ein besonderer Text im Dialekt geschrieben steht. Daneben ist ein QR-Code platziert, über den man diesen Text, eingesprochen von einem Einheimischen, auch anhören und in Schriftsprache übersetzt lesen kann. Im Odenwald wurde der Mundartweg als länderübergreifendes Projekt angelegt und mit dem Odenwalder Madonnenweg an einem qualifizierten Rad- und Wanderweg entlang verankert. Für die Umsetzung hat der Verein eine LEADER-Förderung für den ländlichen Raum erhalten. „Bei uns gibt es in fast jedem Ort eine andere Version der Mundart“, sagt der Heimatvereins-Vorsitzende Slama, „und diese sollten dokumentiert und erhalten werden.“

Hierfür hat der Verein eng mit den jeweiligen Bürgermeistern, Ämtern und Vereinen zusammengearbeitet und von jedem Ortsteil Texte, Gedichte oder Lieder im Dialekt zusammengetragen. Mittlerweile ist der Dialekt-Weg über 100 Kilometer lang und das Interesse daran laut Slama ungebrochen groß. „Ich bin sehr positiv überrascht von der großen Resonanz. Der Weg wird super angenommen und viele weitere Kommunen wollen daran teilnehmen“, so der Vorsitzende. Entscheidend für den Erfolg war laut Slama, dass man sich dafür entschieden hat, das Projekt digital zu begleiten. Dies sieht auch die Sprachhistorikerin Isabell Arnstein so, die an der Universität Tübingen wissenschaftlich daran mitarbeitete. Gerade jüngere Bürger könnten beim Mundartweg durch die QR-Codes besonders angesprochen werden. „Der Mundartweg ist ein klingendes Museum, sagt Arnstein „und dokumentiert den Dialekt als Teil der Ortsidentität.“ Als „gesprochene Tradition und Heimat im Kleinen und im Vertrauten“ kann die Mundart auf verschiedene Weise gepflegt werden. Oft seien Jubiläen gute Anlässe, um sich auf die sprachlichen Wurzeln zu besinnen – etwa bei speziellen Veranstaltungen zum Dialekt oder anlässlich des 21. Februars, dem Tag der Muttersprache.

Einer, der weiß, wie hilfreich der Dialekt bei der kommunalen Arbeit sein kann, ist Götz Konrad. Als Bürgermeister von Eschenburg und 1. Vorsitzender des Dialekt-Dachverbands in Hessen setzt sich Konrad ein für eine bewusste Pflege und Wertschätzung des Dialekts. „Mundart ist in Hessen lange Zeit regelrecht verpönt gewesen“, erzählt Konrad. Diese negative Prägung sei bis heute spürbar, gleichzeitig werde immer mehr erkannt, welchen Wert die reiche Sprachgeschichte für die Identität der Menschen habe. „Wir müssen anfangen, damit aufzuhören, uns dafür zu schämen, dass wir Dialekt sprechen“, sagt Konrad- Schließlich habe der Dialekt viel zu tun mit einem gesunden Selbstbewusstsein und klinge in der Sprache oft Geschichte mit, die einen Ort geprägt hat. 2018 gegründet, umfasst der Dialekt-Dachverband aktuell 24 Mitglieder, rund ein Fünftel davon sind Kommunen. Als Sprache im ständigen Wandel ist der Dialekt teilweise von Ortsteil zu Ortsteil unterschiedlich.

„Die Vielfalt ist das Hessische“ lautet der Leitspruch des Verbands, der die verschiedenen Initiativen und Institutionen in Hessen koordinieren will. Für den Schutz und die Förderung des Dialekts sei die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Kommunen und Ehrenamt sehr wichtig, betont Konrad. Um den Dialekt zu würdigen, gibt es bereits mehrere Aktionen. So wurden in Wiesbaden Bierdeckel mit Dialektwendungen bedruckt, es wurde ein Schatzsucher-Projekt zu besonderen Begriffen ins Leben gerufen und in verschiedenen Schulen entstand eine Mundart-Arbeitsgemeinschaft. „Dabei merken auch die Jüngeren, dass der Dialekt bei weitem nicht so uncool und verstaubt ist, wie man vielleicht glauben mag“, sagt Konrad. Und auch in seinem Amt als Bürgermeister hilft Konrad nicht selten der Dialekt. „Die Mundart ist eine Sprache aus dem Leben fürs Leben, nicht gekünstelt, nicht amtlich, sondern sehr persönlich und authentisch. Mir hilft der Dialekt dabei, einen ganz anderen Draht zu den Menschen zu finden“, sagt Konrad. Gerade ältere Bürger würden oft erleichtert reagieren, wenn sie merken, dass der Bürgermeister ihre Mundart sprechen kann. „Mundart macht glücklich“ - davon ist Götz Konrad überzeugt.

