Medizinische Versorgung
Gemeindenotfallsanitäter statt Notarzt
Gemeindenotfallsanitäter sollen schneller retten
„Die Einhaltung der sogenannten Rettungsdienstfristen war in unserem Landkreis ein großes Problem“, sagt der Landrat des Kreises Wittenberg, Christian Tylsch. Der Landkreis Wittenberg war landesweit einer der Kreise gewesen, die den Anspruch von maximal 12 Minuten Anfahrtszeit nur in 75 Prozent der Fälle erreicht haben. „Wir sind ein Flächenlandkreis und eher dünn besiedelt“, erläutert Tylsch. Wurde der Notdienst gleichzeitig zu mehreren Orten gerufen, mussten Menschen länger als 12 Minuten auf Hilfe warten.
Hinzu kommt: Trotz sinkender Bevölkerungszahl ist die Zahl der Notarzteinsätze in den vergangenen Jahren gestiegen. „Ein Grund hierfür ist sicherlich der Hausarztmangel“, sagt der Landrat. Die Menschen rufen dann eben im Notfall eben den Rettungsdienst. „Deshalb haben wir uns überlegt, mit welchem Instrument wir das Rettungs-System noch dichter stricken können“, sagt Tylsch. Für das Modellprojekt wurde die Einsatzstelle Gräfenhainichen ausgewählt, wegen der zentralen Lage im südlichen Landkreis und der guten Personalausstattung.

Gemeindenotfallsanitäter – top ausgebildete Rettungskräfte
Eine bessere Versorgung der Patienten und eine Entlastung des Rettungsdienstes – das sind die Hauptziele, wenn es um den Einsatz der Gemeindenotfallsanitäter geht. Die zusätzlichen Kräfte sollen nun die Lücke im System schließen. Das Modellprojekt startete in der Gemeinde Gräfenhainichen. Laut Enrico Schilling, Bürgermeister von Gräfenhainichen, sind die Gemeindenotfallsanitäter „eine Schwelle unterhalb der großen Alarmierung angesiedelt und ein zusätzliches Leistungsangebot für die Patienten“.
Um als Gemeindenotfallsanitäter im Einsatz zu sein, haben die bereits erfahrenen Rettungssanitäter eine zusätzliche Schulung von 160 Stunden durchlaufen und sich dabei „von Methoden der Konfliktbewältigung bis hin zur Beratung, etwa bei komplizierter Medikamentierung,“ das erforderliche Wissen angeeignet.
Effizientere Rettungseinsätze
Bislang war der Ablauf so geregelt: Ging ein Notfallanruf in der Leitstelle ein, alarmierten die dortigen Mitarbeiter in Folge das Rettungsteam, bestehend aus einem Notarzt und den Rettungssanitätern, die dann zum Einsatzort fuhren. Dabei hat sich laut Schilling gezeigt, dass es immer wieder auch Fälle gibt, in denen ein Notarzt nicht zwingend benötigt wird und auch kein Krankentransport erforderlich ist, sondern der Patient vor Ort ausreichend behandelt werden kann. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn aus Versehen ein Blasenkatheder gezogen wurde oder Medikamente falsch eingenommen wurden. Künftig kommen in der Einsatzstelle Gräfenhainichen in so einem Fall nun die Gemeindenotfallsanitäter zum Einsatz. Sie fahren zum Einsatzort, damit der Notarzt weiter für noch schwerwiegendere Fälle zur Verfügung steht.

Gemeindenotfallsanitäter statt Notarzt
„Mit den Gemeindenotfallsanitätern wird eine genauso hochwertige Versorgung gewährleistet wie sonst auch“, betont Landrat Tylsch. So sind die hervorragend ausgebildeten Rettungskräfte mit Blaulicht und voll bestücktem Notfallauto zum Einsatzort unterwegs und könnten dort eine vollwertige Hilfe bieten.
Der einzige Unterschied zum bisherigen Ablauf: Es ist kein Notarzt vor Ort und kein Patiententransport möglich. Entsprechend groß ist die Verantwortung der Mitarbeiter in der Leitstelle, die sich sowohl medizinisch als auch örtlich gut auskennen müssten, wie Schilling sagt. Gleichzeitig sei für die erfahrenen Kräfte in den meisten Fällen sehr klar, welche Stufe der Alarmierung benötigt werde.
Erste Erfahrungen vielversprechend
Noch befindet sich das Projekt in der Modellphase und wird wissenschaftlich evaluiert. Seit April 2023 sind die Gemeindenotfallsanitäter unterwegs, im April 2025 wird sich entscheiden, ob das System breiter und langfristig eingeführt wird. Nach den bisherigen Erfahrungen spricht aus Sicht von Landrat Tylsch vieles dafür. „Das System ist so angelegt, dass es keinerlei Qualitätseinbußen gibt, es aber gleichzeitig viel wirtschaftlicher und effizienter funktioniert“, sagt Tylsch, und bislang habe sich die weitere Stufe im Einsatz klar bewährt. „Schon jetzt haben sich die Rettungsfristen deutlich verbessert und hat sich in der Praxis gezeigt, dass man nicht immer mit dem teuersten Instrument reagieren muss, um Notfälle bestmöglich zu versorgen.“

