Steuerschätzung
Haushaltssperre oder Nachtragshaushalt?
Kommunale Einnahmen und Steuerschätzungen
Eine wesentliche Einnahmequelle der Kommunen sind ihre Anteile an der Lohnsteuer und der veranlagten Einkommenssteuer, die ihnen zugewiesen werden. Diese Steuereinnahmen müssen dann auch im Haushaltsplan abgebildet werden. Weil die Höhe der Steuereinnahmen naturgemäß in Zeitpunkt der Haushaltsaufstellung noch nicht feststeht und auch schwankt, wird auf die Steuerschätzungen des Arbeitskreises Steuerschätzung beim Bundesministerium der Finanzen zurückgegriffen. Der Arbeitskreis Steuerschätzung ist ein seit 1955 bestehender Beirat, dem neben dem federführenden Finanzministerium, das Bundeswirtschaftsministerium, fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, das Statistische Bundesamt, die Deutsche Bundesbank, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Länderfinanzministerien und die Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände angehören.
Steuerschätzungen zweimal pro Jahr
Der Arbeitskreis Steuerschätzung legt zwei Mal pro Jahr seine Steuerschätzungen vor, die Grundlage der Haushaltsplanung aller öffentlichen Haushalte in der Bundesrepublik werden. Rechtliche Grundlage der Schätzungen ist das jeweils geltende Steuerrecht.
Da die kommunalen Haushalte regelmäßig abschließend im letzten Quartal eines Jahres geplant und aufgestellt werden, ist für die derzeit bewirtschafteten Haushaltspläne die Steuerschätzung aus dem Oktober 2022 maßgeblich gewesen. Diese Steuerschätzung hat für das (aktuelle Haushaltsjahr) 2023 einen Anteil der kommunalen Ebene an der Lohnsteuer von 14,4 Prozent (2022 hingegen nur 3,4 Prozent) prognostiziert. Für das Jahr 2024 rechnete man mit einem Anteil von 9,0 Prozent. Im Bereich des Anteils an der veranlagten Einkommenssteuer wurde der Anteil der Kommunen für 2023 auf 5,0 Prozent, für 2024 auf 6,1 Prozent taxiert.
Prognose korrigiert
Mit der jüngsten Steuerschätzung aus dem Mai 2023 korrigierte der Arbeitskreis seine Prognose erheblich nach unten. Der kommunale Anteil an der Lohnsteuer sollte für das Jahr 2023 nun noch 6,1 Prozent, für 2024 7,0 Prozent betragen. Der Anteil an der veranlagten Einkommenssteuer wurde auf 0,8 Prozent für 2023 und 0,4 Prozent für 2024 geschätzt. Dies hat gravierende Folgen für die kommunalen Haushalte, weil die Zuweisungen der Steueranteile auf Basis der jüngsten Steuerschätzung erfolgen, die Haushaltsplanung aber auf die ungleich höheren Einnahmen der vorangegangenen Steuerschätzung abgestellt hat.
Haushaltsloch als Folge
In der Folge entsteht bei den Kommunen ein Haushaltsloch, weil die tatsächlichen Einnahmen nunmehr erheblich von den geplanten Einnahmen abweichen. Die geplanten Ausgaben und Investitionen stützen sich zugleich auf diese geplanten höheren Einnahmen.
Wie die Abweichungen der Steuerschätzungen zustande kommen
Das wirft die Frage nach dem Warum der Abweichungen der Steuerschätzungen auf. Der Arbeitskreis Steuerschätzung begründet seine Prognosen nicht, seine Sitzungen sind nicht öffentlich. Wesentliche Ursache für die Verschlechterung sind aber die Steuergesetze des Bundes. Mit dem Jahressteuergesetz vom 16.12.2022, dem Gesetz zum Ausgleich der Inflation vom 08.12.2022, der Verordnung zur Absenkung der Steuersätze vom 14.11.2022 und der Inflationsausgleichsprämie als Teil des dritten Einlastungspakets vom 25.10.2022 wurden erhebliche Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger eingeführt. Diese steuerlichen Entlastungen etwa durch Anhebung des Grundfreibetrages, einer höheren Freigrenze beim Soli, der Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrages usw. führen dazu, dass die Steuereinnahmen sinken und mit ihnen der Anteil der kommunalen Ebene. Diese Gesetzesänderungen konnten bei der angesprochenen Steuerschätzung aus dem Oktober 2022 noch keine Berücksichtigung finden, weil sie zu diesem Zeitpunkt kein geltendes Recht waren.
Kommunen finanzieren die Entlastungsprogramme des Bundes mit
Auch wenn die Prognose aus dem Herbst 2022 möglicherweise ohnehin zu hoch gegriffen war, führen die Steuerentlastungen durch den Bundesgesetzgeber im Ergebnis zu geringeren Einnahmen auf Seiten der Kommunen. Mit anderen Worten: die Kommunen finanzieren die Entlastungsprogramme des Bundes anteilig mit. Einen Ausgleich hierfür gibt es gleichwohl nicht.

Die Stunde des Kämmers: Zwei Handlungsoptionen
Wie mit dieser Situation in der Kommune umzugehen ist, liegt nun zunächst an den Kämmerern. Im Wesentlichen liegen zwei Handlungsoptionen auf dem Tisch:
- Weil sich die Entwicklung der Erträge und Einnahmen negativ darstellt, die Kommunen dennoch zum Haushaltsausgleich verpflichtet sind, sind zunächst (partielle) Haushaltssperren angezeigt. Diese bewirken, dass bestimmte Ansätze nicht (mehr) bewirtschaftet werden können, damit im Ergebnis die Ausgaben reduziert bzw. an die verringerte Einnahmensituation angepasst werden. Kommunalrechtlich kann dies zu Konflikten führen, weil die Gemeindevertretungen Haushaltssperren aufheben können.
- Die Kommune kann allerdings auch zum Erlass einer Nachtragshaushaltssatzung gezwungen sein, wenn sich etwa zeigt, dass ein erheblicher Fehlbetrag am Ende des Haushaltsjahres entsteht, sich ein geplanter Fehlbetrag erheblich erhöht oder eine in der Haushaltssatzung festgelegte Erheblichkeitsgrenze überschritten ist. Dies dürfte bei der Höhe der Abweichungen bei so mancher Kommune der Fall sein. Auch hier drohen kommunalpolitische Konflikte, weil der Nachtrag zum Erreichen des Haushaltsausgleich mit der „Streichung“ von Ansätzen, Vorhaben und Maßnahmen verbunden sein dürfte. Außerdem verlangt die Aufstellung einer Nachtragshaushaltssatzung den Verwaltungen binnen kurzer Zeit viel ab.
Meine Handlungsempfehlung:
Vor Aufstellung einer Nachtragshaushaltssatzung sind Einsparmöglichkeiten zu prüfen. In der Folge könnte erreicht werden, dass das Ergebnis unter den Erheblichkeitsschwellen bleibt und ein Nachtrag vermieden werden kann. Der Blick ist dabei auf nicht benötigte Haushaltsansätze zu richten, die etwa wegen unbesetzter Stellen, nicht umsetzbarer Baumaßnahmen im laufenden Haushaltsjahr nicht verausgabt werden. So könnten bestenfalls Haushaltsansätze ausfindig gemacht werden, ohne dass die kommunale Aufgabenerfüllung leidet. Diese Haushaltsansätze sind sodann durch den Kämmerer zu sperren.

