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  4. Neues Urteil: Durfte Stadt den Markt privatisieren?
Markt: Bunte Tassen
Auf einem Markt gibt es vieles zu entdecken - doch wer richtet ihn aus?
© Adobe Stock

Bundesverwaltungsgericht

Neues Urteil: Durfte Stadt den Markt privatisieren?

von Tobias Schröter
"Gastautor, Rechtsanwalt
26. April 2024
Mit einem aktuellen Urteil vom 24. April 2024 hat das Bundesverwaltungsgericht ein altes Urteil – richtigerweise – korrigiert. 2009 hatte die Entscheidung zum Offenbacher Weihnachtsmarkt für Unsicherheit bei Kommunen und manches Erstaunen bei dem Kommunalrecht zugewandten Praktikern gesorgt.

Hintergrund des damaligen Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht war ein Marktbeschicker mit einem Grillstand, der sich gegen die Privatisierung des Weihnachtsmarktes wandte. Bereits 1997 hatte die Stadt Offenbach die Ausrichtung und Veranstaltung des Weihnachtsmarktes, die sie zuvor viele Jahrzehnte lang selbst vorgenommen hatte, durch Vertrag an einen Privaten übertragen. Weil der damalige Kläger mehrfach nicht zum Weihnachtsmarkt zugelassen worden war, ging er dagegen vor den Verwaltungsgerichten vor.

Markt wurde von der Kommune privatisiert

Juristischer Kern der Verfahren über mehrere Instanzen war am Ende die Frage, ob denn ein so privatisierter Weihnachtsmarkt noch eine öffentliche Einrichtung im Sinne des Kommunalrechts sei – was Märkte üblicherweise und grundsätzlich sind.  Dabei schwang die Frage mit, ob und inwieweit die Stadt Offenbach den Weihnachtsmarkt, den sie jahrzehntelang selbst als öffentliche Einrichtung betrieben hatte, derart privatisieren durfte.

Bundesverfassungsgericht verbot Privatisierung

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2009 (Az. 8 C 10/08) kam dann zu einem für die Fachwelt überraschenden Ergebnis: Der Senat leitete aus dem in Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) niedergelegten Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht etwa ab, dass die Stadt Offenbach im Rahmen ihrer Selbstverwaltung mit dem Weihnachtsmarkt nach Belieben umgehen durfte, sondern umgekehrt, dass gerade die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (!) es verbietet, derart institutionalisierte öffentliche Einrichtungen zu privatisieren, wodurch sie den Status als öffentliche Einrichtung verlören. Es stehe nicht in der freien Entscheidungsbefugnis der Gemeinde, sich zu jeder Zeit freiwilliger Aufgaben wieder zu entledigen. Je länger eine Gemeinde eine Aufgabe wahrnehme, also eine öffentliche Einrichtung betreibe, desto weniger dürfe sie die Aufgabe abstoßen. Vielmehr sei im Konkreten die Stadt Offenbach gar verpflichtet, den traditionellen Weihnachtsmarkt selbst fortzuführen.

Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung

Dieses Urteil widersprach dem allgemeinen Verständnis des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung. Gemäß Art. 28 Absatz 2 Satz 1 GG haben Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Ihnen ist damit ein grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassender Aufgabenbereich zugesichert und damit auch die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Aufgaben in diesem Bereich – Selbstverwaltung eben.

Gemeinden können Einrichtungen privatisieren

Nach geradezu herrschender Auffassung umfasst das Recht auf kommunale Selbstverwaltung grundlegend auch die Errichtung, Übernahme, Veränderung, aber auch Schließung kommunaler Einrichtungen, soweit keine gesetzlich geregelte Pflicht für die Gemeinde besteht, eine Einrichtung zu errichten und zu betreiben (etwa Kindertagesstätten oder Schulen). Bei den sogenannten freiwilligen Aufgaben, zu deren Wahrnehmung öffentliche Einrichtungen errichtet werden können (z. B. Spielplätze, Schwimmbäder, Dorfgemeinschaftshäuser und eben auch Märkte aller Art), wozu Gemeinden aber gesetzlich nicht verpflichtet sind, war insoweit anerkannt, dass die Gemeinde solche Einrichtung, etwa aus haushaltsrechtlichen Notwendigkeiten, auch wieder schließen oder privatisieren kann. Denn gänzlich privatisierte Einrichtungen, sind mangels Einflusses der Gemeinde keine öffentlichen Einrichtungen im Sinne des Kommunalrechts mehr.

Weihnachtsmarkt als freiwillige Aufgabe

Diese Befugnis zur Privatisierung oder Schließung (freiwilliger) öffentlicher Einrichtungen, wozu ein Weihnachtsmarkt zu zählen ist, folgt aus dem Recht auf Selbstverwaltung. Das Kommunalrecht der Flächenländer kennt außerhalb einiger weniger, speziell geregelter Fälle keinen Anspruch auf die Schaffung und Errichtung einer öffentlichen Einrichtung. Das wäre bei freiwilligen Aufgaben offenkundig widersprüchlich, weil doch der Gemeinde so die Wahrnehmung einer freiwilligen (!) Aufgabe aufgezwungen würde. Im Falle des Weihnachtsmarktes in Offenbach war die Stadt nach dem Urteil aus 2009 also verpflichtet, zu ihren finanziellen Lasten einen Weihnachtsmarkt weiterzuführen.

Korrektur der Rechtsprechung durch neues Urteil

Mit Urteil vom 24.04.2024 (Az. 8 CN 1/23) hat das Bundesverwaltungsgericht seine diesbezügliche Rechtsprechung – richtigerweise – korrigiert und hält an seinem alten Urteil ausdrücklich nicht mehr fest. Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung verpflichtet die Gemeinde danach nicht, eine öffentliche Einrichtung – in diesem Falle einen Großmarkt – für alle Zeit weiterzubetreiben, selbst wenn die Einrichtung seit vielen Jahrzehnten besteht.

Markt Weihnachtsmarkt

Gemeinden müssen nicht freiwillige Aufgaben wahrnehmen

Kernbestandteil des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung ist es, freiwillige Aufgaben wahrzunehmen, sich ihrer aber auch wieder zu entledigen, öffentliche Einrichtungen zu schaffen und diese auch wieder zu schließen; Ausnahme: bestimmte pflichtige Aufgaben und Einrichtungen zu deren Erfüllung. Damit schließt sich der Senat in Leipzig wieder der herrschenden Auffassung zum Verständnis der Selbstverwaltungsgarantie an. Für Gemeinden bedeutet dies, dass sie vor allem in Zeiten klammer Kassen, Haushaltssicherung oder unter Schuldenlast nicht noch verpflichtet sind, freiwillige Aufgaben wahrzunehmen oder öffentliche Einrichtungen zu betreiben, die sie sich etwa nicht mehr leisten können oder die sie aus anderen Gründen nicht mehr fortführen wollen.

Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung

Hier kommt vielmehr der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung ins Spiel. Hierbei geht es um die Frage, ob und inwieweit eine Gemeinde auch bei klammer Kasse, Schulden usw. ein Recht auf ein Mindestmaß an Selbstverwaltung hat. Es sind vor allem die Länder in der Pflicht, „ihre“ Kommunen vor allem über den kommunalen Finanzausgleich so ausreichend auszustatten, dass sie alle ihre pflichtigen Aufgaben, aber auch ein Mindestmaß an freiwilligen Aufgaben wahrnehmen können. Andernfalls kann man nicht mehr ernsthaft von kommunaler Selbstverwaltung sprechen, die ausgehöhlt würde, wenn die Gemeinde zum Ausführungsorgan landesgesetzlicher Aufgaben verkommt. Gerade die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben machen das gemeindliche Leben aus.

Im Rahmen des Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung steht es der Gemeinde dann aber frei, ob und was sie für öffentliche Einrichtungen schafft, wie sie also die (geringe) Summe einsetzt. Das ist Kern des Selbstverwaltungsrechts. Mit anderen Worten: Pflicht zum Sparen ja, aber es gibt eine absolute Grenze, nach der die Gemeinde wenigstens in sehr kleinem Umfang Freiwilliges Tun können muss. Kann sie das nicht, muss sie den Anspruch gegen das Land und/oder den Landkreis richten, weil die finanzielle Mindestausstattung auch durch die Höhe der Kreisumlage nicht verletzt werden darf. Vor allem aber das Land muss freiwillige Selbstverwaltung ermöglichen. 

Und die „Privatisierung“ des Weihnachtsmarktes?

Die Osterfeiertage liegen noch nicht allzu lang zurück, Weihnachten scheint in weiter Ferne. Allerdings beginnen schon langsam die ersten Planungen für kommunale, vor allem traditionelle Weihnachtsmärkte zu laufen. Gute Vorbereitung ist schließlich (fast) alles. Das Recht auf Selbstverwaltung überlässt es den Gemeinden dabei, ob sie überhaupt einen Weihnachtsmarkt durchführen und wenn ja, ob sie dies selbst, durch und mithilfe eines privaten Dritten tun oder den Weihnachtsmarkt praktisch komplett ohne Einflussmöglichkeiten in die Hände Privater legen (Privatisierung).

Öffentlicher Dienstleistungsauftrag

Wenn es darum geht, dass Private für die Gemeinde den Weihnachtsmarkt planen und durchführen, handelt es sich um einen (entgeltlichen) öffentlichen Dienstleistungsauftrag. Sinn und Zweck des Vergaberechts verlangen deshalb grundsätzlich eine Ausschreibung dieses Auftrags. Dasselbe gilt, wenn die Gemeinde den Privaten nicht nur mit der Planung und Durchführung beauftragt, sondern wenn er den Markt auch auf eigenes Risiko betreiben soll. Dann handelt es sich regelmäßig um eine Konzession. Auch dies ist grundsätzlich ausschreibungspflichtig. Wenn eine Gemeinde gar ihre öffentliche Einrichtung verkaufen sollte, dürfte wenigstens ein sogenanntes Interessenbekundungsverfahren angezeigt sein.

Fazit: Was bleibt, sind zwei Feststellungen:

  1. Gemeinden können im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts grundsätzlich beliebig freiwillige Aufgaben wahrnehmen und wieder aufgeben, öffentliche Einrichtungen schaffen und wieder schließen.
  2. Ein gewisses Mindestmaß an finanziellen Mitteln, um solche freiwilligen Aufgaben wahrzunehmen, müssen die Länder gewährleisten. Geschieht dies nicht (ausreichend), können sich die Gemeinde dagegen vor den Landesverfassungsgerichten zur Wehr setzen.

Der nächste Weihnachtsmarkt kann also kommen – oder eben auch nicht, wenn die Gemeinde dies nicht kann oder will…

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