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Long-COVID: Mobile Versorgung auf dem Land
Mobile Long-COVID-Ambulanz für Versorgung im ländlichen Raum
„Unser Ziel ist es, insbesondere für Post-COVID-Patienten im ländlichen Raum, die nur schwer Zugang haben zu einer spezifischen medizinischen Begleitung, neue Versorgungsformen zu entwickeln“, sagt Dr. Philipp Reuken, der als Oberarzt im Klinikum Jena tätig ist und spezialisiert auf die Akut-Covid Versorgung und die Post-Covid-Behandlung. Als eine der ersten Kliniken bundesweit wurde im Sommer 2020 am Universitätsklinikum Jena eine Ambulanz für Post-COVID eingerichtet, mittlerweile ist daraus ein interdisziplinäres Zentrum entstanden. „Zu uns reisen Patienten aus ganz Thüringen und weit darüber hinaus an“, sagt Reuten, und die Fälle der Post-COVID-Patienten hätten seit Anbeginn der Pandemie deutlich zugenommen.
Großer Aufwand und kaum Ressourcen
Das Problem bei der zentralen Anlaufstelle in Jena liegt in der Praxis. So seien die weite Fahrt und lange Anreise zur Ambulanz in Jena für die ohnehin geschwächten Patienten oft ein „Riesenaufwand“ und mit „maximaler Belastung“ verbunden, wie Reuken sagt. „Post-COVID-Patienten haben oft kaum Kraft und kamen nach der Fahrt entsprechend oft ganz erschöpft bei uns an, noch bevor wir mit der Behandlung beginnen konnten“, so der Oberarzt. Gleichwohl sei es keine Alternative, die Tests und die weiterführende Betreuung auf die regionalen Hausarztpraxen zu verlagern. „Die Post-COVID-Diagnostik und Behandlung erfordern eine sehr zeitaufwändige Betreuung, die in einer normalen Arztpraxis kaum zu leisten ist“, sagt Reuken. Zudem würden für die Umsetzung der therapeutischen Maßnahmen, etwa Ergotherapie, oft die personellen Ressourcen fehlen und sei es für die Patienten schwer, hier an Termine zu kommen.
Post COVID – ein Syndrom mit vielen Gesichtern
Wie sich das Post-COVID-Syndrom konkret äußert, ist laut Reuken von Patient zu Patient unterschiedlich. „Es gibt hier ein buntes Bild an Symptomen, mittlerweile werden über 200 in der Literatur genannt“, so der Oberarzt. Am häufigsten zu beobachten seien extreme Müdigkeit, Belastungsintoleranz, Konzentrationsprobleme, Schmerzen und Luftnot, oft begleitet von Sorgen und Ängsten. Zwei Drittel der Patienten sind weiblich, das Durchschnittsalter liegt zwischen Ende 30 und Anfang 50, also in einer fordernden Lebensphase. Um eine deutliche Verbesserung der Symptomatik zu erreichen, muss man die Patienten meist über einen längeren Zeitraum intensiv begleiten, wie Reuken sagt. Im Rahmen der Hausarztversorgung sei dies oft kaum möglich.
Mobile Ambulanz als mögliche Lösung
„Wie können wir Post-COVID-Patienten insbesondere im ländlichen Raum besser versorgen?“ – das war laut Reuken die Ausgangsfrage, die zur Entwicklung des Busses geführt hat. So stand bald die Idee im Raum, „das System so umzudrehen, dass wir zu den Patienten kommen, sie weniger Aufwand haben und gleichzeitig eng begleitet werden bei der weiterführenden Behandlung“. Die Idee: Ein gleich einer Praxis ausgestatteter Bus fährt mit einem Expertenteam mehrfach verschiedene Orte an und versorgt und behandelt dort an Post-COVID erkrankte Patienten. In der Zeit zwischen den einzelnen Behandlungen erhalten diese eine telemedizinische Betreuung.

Unterwegs von Kommune zu Kommune in ganz Thüringen
Nachdem 2022 eine erste Testphase mit einer kleinen Gruppe von Patienten erfolgreich verlaufen war, wurde der Ansatz Ende vergangenen Jahres als Pilotprojekt aufgestellt. Seit November 2023 ist der Bus nun in ganz Thüringen unterwegs und steuert verschiedene Kommunen an, in denen er jeweils für eine Woche Station macht. Die Patienten vor Ort erhalten einen festen Termin und absolvieren umfassende Untersuchungen und Tests sowie eine Schulung für die telemedizinische Betreuung. Bei einem zweiten Bustermin erfolgt die Einweisung in das jeweilige Behandlungsprogramm, das die Teilnehmenden dann zum Großteil zu Haus absolvieren. Der Zeitraum der Behandlung erstreckt sich insgesamt über 12 Wochen, in denen die Patienten sowohl digital als auch analog betreut werden. Bei einem dritten Besuch im Bus findet schließlich die Abschlussuntersuchung statt.
Telemedizinische Betreuung
Um ein möglichst breites und effektives telemedizinisches Angebot zu erarbeiten, wurden im Vorfeld des Pilotprojekts die Erfahrungen der verschiedenen Disziplinen des Jenaer Post-COVID-Zentrums ausgewertet und verbunden. Das Ergebnis umfasst nun computerbasierte Trainingseinheiten für die geistige Fitness, ein digitales Sportrehabilitationsprogramm und verhaltenstherapeutische Übungen. Das gesamte Programm dauert zwölf Wochen; während dieser Zeit können die Patienten via Webinare und Videosprechstunden Rückfragen stellen und weitere Informationen erhalten.
Komplett eingerichtete Ambulanz auf Rädern
Der Bus selbst ist laut Reuken eingerichtet wie eine Arztpraxis und besteht aus vier mit Schiebetüren abtrennbaren Räumen, die jeweils wie ein Sprechstundenzimmer eingerichtet seien. „In den Behandlungsräumen im Bus befindet sich alles, was man auch beim normalen Arzt benötigt, eine Liege, ein PC, Sitzplätze, ein Schwestern-Arbeitsplatz – der einzige Unterschied ist, dass sich das Ganze in einem Bus befindet“, so der Mediziner. An Bord der rollenden Praxis ist ein vierköpfiges Team von der Uniklinik Jena, darunter eine medizinische Fachangestellte, ein Sportmediziner, ein Psychologe und eine studentische Hilfskraft. Internisten können jederzeit über digitale Kanäle zugeschaltet werden.

Finanzierung
Finanziert wird das auf drei Jahre angelegte Projekt durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss mit einer Förderung von 5,8 Millionen Euro. An der Umsetzung des Projekts sind neben den Forschungseinrichtungen, einer Patientenvertretung und den Krankenkassen insbesondere die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen beteiligt, die die Kommunikation mit den teilnehmenden hausärztlichen Praxen koordiniert.
Wichtige Rolle der Hausärzte
Die Anmeldung der Patienten bei der mobilen Post-COVID-Ambulanz läuft nicht individuell, sondern über die jeweiligen Hausarztpraxen in der Region. Hierzu wurde im Vorfeld des Pilotprojektes eine Weiterbildungs-Veranstaltung angeboten, zudem werden die Ärzte der jeweiligen Kommune einige Wochen vor dem Bus-Stopp dort noch einmal kontaktiert. Laut Reuken ist der Weg über die Ärzte wichtig zur Absicherung der Diagnose und zur Weiterführung der Behandlung in der Regelversorgung. „Die Hausärzte bleiben für die Patienten die wichtigsten Ansprechpartner und übernehmen auch längerfristig die individuelle Behandlung“, so der Oberarzt. Die detaillierte Begleitung während der Teilnahme am Projekt aber wird vom Team der Uniklinik übernommen.
Enge kommunale Anbindung
Seit mittlerweile einem halben Jahr fährt die mobile Ambulanz verschiedene thüringische Orte an; mal macht der Bus auf einem Schulhof Station, mal vorm Gesundheitsamt oder auf dem Dorfplatz. „Das Einzige, was wir brauchen, ist eine Steckdose, alles andere haben wir dabei“, sagt Reuken. Seitens der Kommunen wurde das Projektteam hierbei bislang immer unterstützt, wie Reuken sagt. „Wir haben wegen der Stellplätze im Vorfeld mit Landräten und Bürgermeistern Kontakt aufgenommen und durchgehend positive Rückmeldungen erhalten“, sagt der Mediziner. Alle hätten die Relevanz des Projekts erkannt und die Behandlungsmöglichkeit für die Betroffenen direkt vor Ort sehr begrüßt, so Reuken. Unterstützung erhält das Projektteam zudem auch von den örtlichen Gesundheitsämtern, wenn es um Patientenvermittlung geht.
Ansatz auch für andere Krankheitsbilder nutzbar
„Wir wollen herausfinden, ob diese Art der Versorgung akzeptiert wird, wie sie in der Praxis funktioniert und ob ein solcher Ansatz auch längerfristig Sinn machen kann“, sagt Reuken. Die bisherigen Erfahrungswerte sind vielversprechend, auch wenn die Logistik rund um die Termin- und Routenplanung fordernder sei als erwartet. Gleichwohl zeigen die Rückmeldungen der Patienten, dass sich der neue Versorgungsweg lohnt. „Der Ansatz macht viel Sinn“, so Reuken, und die Patienten würden es als große Erleichterung erfahren, nicht mehr so weite Anfahrtswege zu haben. Auch die telemedizinische Betreuung werde bislang gut angenommen und bewähre sich für die Therapie der Post-COVID-Symptome. Aus Sicht von Reuken ist der nun erprobte Weg durchaus auch auf andere Krankheitsbilder übertragbar und könne er zum Beispiel im Bereich der Rheumatologie ein Konzept für die Versorgung im ländlichen Raum darstellen. Die Voraussetzung dafür: „Sollte ein derartiger mobiler Versorgungsansatz längerfristig umgesetzt werden, ist es extrem wichtig, dass es lokale Ansprechpartner gibt, die eng mit dem Busteam zusammenarbeiten.“

