Neulietzegöricke - Hauptstadt der Einbrecher

Neulietzegöricke - Die Diebe nahmen alles, was sie kriegen konnten
Die Diebe schlugen bevorzugt nachts zu, schlichen sich von hinten an Garagen, Nebengelasse und Schuppen heran. Gestohlen wurde alles, was nicht niet-und nagelfest war. Fahrräder, elektrische Heckenscheren, Gartengeräte , sogar Bohrmaschinen. Die materiellen Schäden beliefen sich pro Einbruch auf 300 bis 600 Euro. Der immaterielle Schaden? Unbezahlbar. Obwohl die entstandenen Kosten meist zu verkraften sind, sind es die psychischen Folgen, die die Opfer nach dem Einbruch belasten. Denn Täter brechen nicht nur in ein fremdes Grundstück ein, sondern dringen gewaltsam in das Leben ein. Angstzustände, Schlafstörungen oder Panikattacken sind nicht selten die Folge von Einbrüchen. Dem ist sich auch die Polizei bewusst: „Wir nehmen das Sicherheitsgefühl der Bürger sehr ernst und wissen um die Sorgen in den gering besiedelten Regionen, weshalb im Januar eine Einwohnerversammlung mit Beteiligung des Leiters Sachgebietes Prävention und des zuständigen Revierpolizisten stattfand.“ Trotzdem bleiben der Polizei die Hände gebunden: Von 47 Einbrüchen wurden nur 17 bei der Polizei angezeigt. Die Bürger, das bestätigt der ehrenamtliche Bürgermeister Horst Wilke bei unserem Besuch vor Ort, haben das Gefühl, dass selbst nach einer Anzeige nichts passiert, weshalb die Einbrüche nicht direkt gemeldet wurden. Wird ein Einbruch nicht zur Anzeige gebracht, erscheint er jedoch auch nicht in der Polizei-Statistik, die im konkreten Fall gegen einen Kriminalitätsschwerpunkt spricht.

Doch selbst wenn ein Einbruch gemeldet wird, können die Täter schwer ermittelt werden. Bei Einbrüchen gibt es kaum verwertbare Spuren, wie Fingerabdrücke oder DNA und selten Zeugen. Da die Täter besonders nachts agieren, werden sie von der Dunkelheit geschützt. Sie können ihre Autos mit Diebesgut beladen und es dann aus dem Ort fahren, häufig mit gefälschten Autokennzeichen. Die Polizeibeamten sind deshalb auch nachts im Einsatz. Dennoch bleiben die Urheber der Zerstörung unbekannt – zum Ärger der Bewohner.
Fremde Autos? Werden sofort beobachtet!
Die Bewohner von Neulietzegöricke versuchen sich selbst zu helfen. Whatsapp-Gruppen mit den Nachbarn werden gegründet. Den anderen Bescheid gegeben, falls man nicht Zuhause ist. Fremde Autokennzeichen werden notiert, und alles, was auffällig ist, wird genau beobachtet. Obwohl die Polizei in den umliegenden Gemeinden positive Erfahrungen mit Sicherheitspartnerschaften gesammelt hat, können diese in Neulietzegöricke schwer umgesetzt werden. Anstatt auf eigene Faust zu agieren, sichert eine Sicherheitspartnerschaft die Zusammenarbeit zwischen Ordnungsamt, Bürger und Polizei. Die Sicherheitspartner arbeiten ehrenamtlich, werden von den Kommunen gewählt und erhalten eine finanzielle Unterstützung vom Land Brandenburg in Höhe von 25 Euro im Monat pro Sicherheitspartner. Gemeinsam werden Vorfälle besprochen, Statistiken ausgewertet und nach Lösungen gesucht, die zum Ort passen. Was in der Theorie verlockend klingen mag, ist in der Praxis für die Gemeinde nicht umsetzbar: „Die meisten Einwohner arbeiten tagsüber und sind abends müde. Wer am nächsten Tag früh raus muss, kann es sich nicht leisten, nachts auf Streife zu gehen. Und diejenigen, die nicht arbeiten, sind hochbetagt und haben natürlich Angst, Nachtwächteraufgaben zu übernehmen,“ betont Horst Wilke.
Sie haben wieder zugeschlagen!
In den letzten Wochen wurde Neulietzegöricke verschont. Dass nichts passiert sei, liege aber nicht daran, dass die Diebe ihre Einbruchsserie gestoppt hätten, ist Horst Wilke sicher. Sondern daran, dass die Einbrecher ein neues Dorf gefunden hätten: das sechs Kilometer entfernte Güstebieser Loose. Dort wurden im März Fahrräder und Lichtmaschinen geklaut, die später auf einem Schrottplatz wiedergefunden wurden. Die Polizei kann eine neue Einbruchsserie in Güstebieser Loose nicht bestätigen, da bisher Vergleichszahlen aus dem Vorjahr fehlen. In Neulietzegöricke, dem ältesten Kolonistendorf nach der Trockenlegung des Oderbruchs wünschen sich die Einwohner nur, dass es wieder so wird, wie es einmal war: ruhig.