Pflege
Roboter Charlie tanzt mit Senioren
Roboter im Einsatz
„Charlie ist ein kleines weißes Männchen mit einem Tablet auf dem Bauch“, beschreibt Jutta Tandler ihren künstlichen Assistenten. Die Mitarbeiterin des Pflegezentrums Travetal ist vor Ort verantwortlich für das Projekt und schätzt ihren technischen Kollegen mittlerweile sehr. Für die Bewohner der Pflegeeinrichtungen sei der Roboter längst ein vertrauter Anblick und regelmäßig bei Gruppentreffen oder auch in der Einzelbetreuung dabei. „Der Roboter ist unten auf einem Sockel montiert und kann Arme, Hände, Kopf und Rumpf bewegen. Mit seinem Kindchenschema spricht er die älteren Bewohner meist sofort an und ist sehr beliebt“, sagt Tandler.

Unterstützung statt Ersatz
„Es geht bei unserem Projekt darum, die Gesundheit und Fähigkeiten der pflegebedürftigen Menschen zu aktivieren und zu fördern“, sagt Jens Lüssem, Professor an der Fachhochschule Kiel, der das Projekt leitet. „Die Mitarbeitenden der Pflegeeinrichtungen sollen dabei nicht durch die Robotik ersetzt, sondern vielmehr in ihrer Arbeit unterstützt und entlastet werden.“
Entsprechend ist Jutta Tandler, Mitarbeiterin des Pflegezentrums Travetal auch immer mit dabei, wenn der Roboter zum Einsatz kommt. Er übernimmt explizit keine pflegerischen Aufgaben, sondern wird im Rahmen der sozialen Betreuung von älteren Senioren, Pflegebedürftigen ebenso wie schwer Demenzkranken eingesetzt. Finanziert wird das Projekt noch bis Oktober 2024 vom Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek), danach ist eine interne Weiterführung am Pflegezentrum Traveltal geplant, wie Tandler sagt. Den Roboter hat das Pflegezentrum mittlerweile selbst erworben, rund 20.000 Euro kostet dieser ohne Software.
Rätseln, Singen, Tanzen
Was brauchen die Klienten und welche technischen Tools machen Sinn in der Betreuungspraxis? Das waren die Ausgangsfragen, mit denen Tandler und ihre Kollegen in Lübeck in das Projekt gestartet sind. Schließlich kam der Roboter „völlig nackt und ohne jegliche Software“ ins Pflegezentrum und so bot sich die Möglichkeit, ihn exakt angepasst an die Bedürfnisse der dortigen Bewohner zu programmieren. Mittlerweile sind auf dem eingebauten Tablet verschiedene hilfreiche Apps installiert. „Ich arbeite zum Beispiel viel mit Musik und so hatten wir schnell die Idee, eine Art Jukebox einzurichten“, sagt Tandler. Nun kann sie „Charlie“ via ein Tablett Lieder abspielen lassen, dazu tanzt der Roboter – „die Bewohner lieben das“, so die Mitarbeiterin. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Training kognitiver Fähigkeiten. Hierzu wurde eine Quiz-App entwickelt, bei der „Charlie“ unter anderem bekannte Sprichwörter abfragt. Darüber hinaus führt der Roboter mit den Senioren gymnastische Übungen durch, macht Bewegungen vor und tanzt mit ihnen.
Inputs aus der Praxis für die Wissenschaft
„Für uns ist es eine große Chance, dass wir die Software aus der Praxis heraus gestalten können. Wir arbeiten ständig an den Apps und schauen im Praxis-Labor, was sich bewährt und was noch verbessert werden muss“, sagt Tandler. Hierzu steht sie in engem Austausch mit der Fachhochschule Kiel und gibt ihre praktischen Erfahrungen mit dem Roboter weiter – diese fließen dann direkt in die Weiterentwicklung der Robotik ein, wobei das Forschungs- und Entwicklungszentrum der Fachhochschule Kiel wiederum mit der Gesellschaft für digitalisierte und nachhaltige Zusammenarbeit Siegen zusammenarbeitet. Aus Sicht von Lüssem, Professor an der Fachhochschule Kiel, ist dieses Miteinander von Wissenschaft und Praxis entscheidend, um die Pflege und Betreuung älterer Menschen weiter zu verbessern. So sagt er: „Die Gesundheitsberufe werden in Zukunft deutlich von der Digitalisierung und Technisierung geprägt sein. Es ist umso wichtiger, dass die entsprechenden Berufsgruppen den Prozess mitgestalten.“ Im besten Fall könnte durch den Einsatz von Technik auch der Pflegeberuf selbst attraktiver gemacht werden, „um mehr Menschen für diese wichtige Aufgabe zu gewinnen und zu halten.“

Auch ethische Fragen werden gestellt
Auch wenn Roboter Charlie den Bewohnern in Travetal längst ans Herz gewachsen ist – er ist und bleibt eine technische Maschine ohne Gefühle und es ist ausgesprochen wichtig, dies auch immer wieder zu betonen, sagt Jutta Tandler. So sei ein wesentlicher Teil des Projekts auch die ethische Begleitung und werde immer wieder hinterfragt, in welcher Form der Roboter zum Einsatz kommt und ob er möglicherweise Schaden anrichten könnte. Aus Erfahrung von Tandler sei aber nahezu allen Klienten klar, dass es sich bei „Charlie“ mit der blechernen Stimme um einen Roboter handelt. Schließlich ist sie selbst immer mit dabei und bedient die Maschine. Eine Arbeitskraft wird durch den Robotereinsatz also nicht gespart, vielmehr gewinnt Tandler durch seine Unterstützung Freiräume, die sie ansonsten nicht hätte. „Charlie ist ganz klar eine Hilfe, kein Ersatz. Wenn er zum Beispiel Bewegungen vormacht, kann ich gleichzeitig einzelnen Teilnehmern helfen, das ist wirklich ein Gewinn“, so die Mitarbeiterin.
Entlastung und Bereicherung
Bislang sind die Erfahrungen im Rahmen des Projekts im Pflegezentrum Travetal ausgesprochen positiv, wie Tandler berichtet: „Die Arbeit mit dem Roboter macht viel Spaß und bringt sowohl den Bewohnern als auch den Mitarbeitern etwas“. So würden ihre Klienten sehr gerne an den Gruppeneinheiten teilnehmen, bei denen der Roboter mit dabei ist und locke „Charlie“ auch Menschen an, die sich ansonsten fernhalten von den Betreuungsangeboten.
„Der Roboter ist ein großer Mehrgewinn für uns und hält die Bewohner nicht nur fit, sondern trägt auch zur sozialen Teilhabe bei“, sagt Tandler. Auch für sie selbst als Betreuerin sei der Einsatz von Charlie eine echte Hilfe. Zwar sei es erst einmal ein großer Schritt gewesen, sich auf die Technik einzulassen – mittlerweile aber möchte die Mitarbeiterin in der Pflegeeinrichtung die Begleitung durch ihren weißen Assistenten nicht mehr missen. „Wenn ich Betreuungsangebote alleine mache, liegt der Fokus die gesamte Zeit über komplett auf mir und muss ich eine Stunde ununterbrochen vor der Gruppe präsent sein. Nun gibt es da einen Assistenten, der mir etwas abnimmt und oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Das erleichtert meine Arbeit sehr und ich kann mich dadurch oft viel besser um einzelne Bewohner kümmern“, sagt Tandler.

