DIgitalisierung
Telemedizin als Chance für das Landleben
Telemedizin: Helfer beraten zu Hause
Zudem ebnen die Helfer den Weg zum Einsatz der Telemedizin. Hierbei erhalten die Patienten Zugang zu einer Kommunikationsplattform sowie eine Telefonnummer für die erweiterte Erreichbarkeit im Notfall. Außerdem wird bei einem Teil der Patienten telemedizinisches Monitoring durchgeführt, das heißt, sie prüfen mit entsprechenden Geräten zu Hause ihre Vitalwerte und müssen dafür nicht extra zum Arzt. Die überprüften Werte, etwa der Blutdruck, Blutzucker, das Gewicht oder das EKG, werden automatisch in die Plattform übernommen und durch den Hausarzt und die Pflegekräfte kontrolliert. Seit 2022 läuft die praktische Testphase und laut Möltgen zeigt sich bereits jetzt, „was man mit einer Kombination von Datensammlung, Fallmanagern und Telemedizin erreichen kann“. So seien die Patienten sehr zufrieden und empfinden 6 von 7 Praxen die Telemedizin als Erleichterung im Praxisalltag.
Landkreis Forchheim: Ärzte entlasten
Ebenso vielversprechend sind die ersten Erfahrungswerte im Landkreis Forchheim. Dort leitet Katharina Denker das Projekt „FORuralHealth“. Dabei sollen telemedizinische Anwendungen im ländlichen Raum unter der Nutzung des Mobilfunknetzes 5G getestet werden, denn auch in der Fränkischen Schweiz drohen in absehbarer Zukunft Versorgungsengpässe, wie Denker sagt. Von Januar Dezember 2023 wird das Projekt mit 120.000 Euro durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und den Landkreis Forchheim unterstützt. Die Hauptziele auch hier: die Ärzte entlasten und durch digitales Monitoring Notfällen vorzubeugen. Außerdem soll die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten, Pflegediensten und Akutkrankenhäusern gestärkt werden. Konkret werden bei 30 ausgewählten Patienten mit der Diagnose Herzinsuffizienz zwei spezielle Apps getestet.
Bei der App "ProHerz" werden mittels mit Bluetooth verbundenen Geräten täglich die Vitalparameter der Patienten gemessen und an einen Care Center mit medizinischem Fachpersonal gesendet. Sind die Werte nicht in Ordnung, wird umgehend nachkontrolliert und gegebenenfalls Kontakt zum Arzt aufgenommen. Die Fehleranfälligkeit der analogen Messungen werden reduziert. Die zweite eingesetzte App „Meine hausärztliche Praxis“ ermöglicht eine sichere Videosprechstunde. „Die Technik ist so ausgereift, dass man das Gefühl hat, der Arzt sitzt hinter der Glasscheibe“, sagt Denker, und nach anfänglicher Einführung funktionieren die Apps ausgesprochen gut. Der Hauptvorteil: „Man spart sich Anfahrt und Wartezeit“. Gleichwohl seien die Apps freilich nicht für jeden geeignet und viele Arztpraxen hätten keine Kapazitäten für technische Neuerungen.
Wir brauchen die Telemedizin und gutes Internet,
denn bei der medizinischen Versorgung auf dem Land besteht dringend Handlungsbedarf."
Dr. Katharina Denker, Leiterin des Projekts „FORuralHealth“

„Es ist keine Frage, ob die Telenotfallmedizin kommt, es ist nur die Frage, wann und mit welchen Formaten.“ Davon ist Holger Schmalfuß überzeugt, der stellvertretende operative Leiter in der Rettungsleitstelle Ems-Vechte, wo gerade der zweite Telenotarztstandort in Niedersachsen aufgebaut wird. Zudem wird hier seit kurzem eine außergewöhnliche Kooperation mit dem Landkreis Goslar erprobt. In der Praxis gestaltet sich das folgendermaßen: Geht über die 112 ein Notruf in der Leitstelle ein, entscheiden die Mitarbeiter je nach Schilderung der Lage, welches Fahrzeug mit welchem Team zum Einsatzort geschickt wird. Hierbei gilt laut Schmalfuß: „Wenn ein Notarzt mit seinen beiden Händen gebraucht wird, wird ergänzend zu den Notfallsanitätern immer der fahrende Notarzt mitgeschickt“.
Notarzt muss nicht immer vor Ort sein
Doch es gibt häufig Fälle, in denen nicht zwingend ein Notarzt vor Ort sein muss – Verlegungsfahrten etwa von Klinik zu Klinik oder Aufklärungsgespräche am Notfallort. In diesem Fall kommen die Telenotärzte ins Spiel, die laut Schmalfuß bis zu drei Einsätze parallel betreuen können. Dies funktioniert via ein System, bei dem in einem speziellen Tragesystem des Notfallsanitäters ein Handy mit besonderer Software eine Videoaufnahme macht, der zugeschaltete Arzt den Patienten durch die Kamera sieht und Daten wie die EKG-Werte direkt an ihn übermittelt werden. Durch die Kooperation mit Goslar besteht in Ems-Vechte zudem die Möglichkeit, den Goslarer Telenotarzt zuzuschalten, sofern jener aus dem eigenen Landkreis verhindert ist – und umgekehrt. Laut Schmalfuß eine enorme Verbesserung in Sachen Effizienz: „Durch den Telenotarzt können niedrigschwellige Einsätze abgedeckt werden, bei denen ansonsten der fahrende Notarzt für einige Zeit blockiert wäre“, so der stellvertretende Leiter. Entsprechend hofft er auf eine Fortführung des Projekts auch nach der Pilotphase, die Ende 2024 endet.

Doch es gibt auch noch Schatten in Sachen Telemedizin. So vielversprechend die ersten Erkenntnisse in den Einzelprojekten auch sind: Aus Erfahrung von Günter van Aalst, dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin e.V., ist die Telemedizin deutschlandweit bislang nur sehr punktuell präsent. „Es gibt eine große Spannweite, was die digitale Ausstattung von Krankenhäusern und Praxen anbelangt“. Zwar gebe es bereits zahlreiche ausgereifte technische Tools. „Alleine: sie werden kaum genutzt“. Die Telemedizin selbst sei dabei nichts grundsätzlich Neues. Vielmehr bedeute sie, „digital unterstützt vernetzt zu arbeiten und die bereits vorhandene Regelversorgung durch die digitalen Möglichkeiten noch effizienter zu nutzen“. Dazu sei laut dem Vorsitzenden natürlich die technische Ausstattung und gezielte Schulung in den Praxen und Krankenhäusern notwendig. Diese reiche aber nicht aus.
Technik in der Telemedizin braucht zudem Kümmerer
„Die Technik allein bewirkt wenig“, sagt van Aalst. Vielmehr brauche es in der jeweiligen Region „einen Kümmerer“, der die verschiedenen Bereiche strukturell vernetzt und auch auf kommunaler Ebene angesiedelt sein könne. „Wenn es darum geht, die knappe Ressource Arzt besser zu nutzen, ist die Telemedizin aus meiner Sicht alternativlos“, sagt van Aalst. So wie man im stationären Bereich zunehmend auf regionale Versorgungszentren setze, brauche es eine ähnliche Entwicklung im niedergelassenen Bereich. Erst dann könne die Telemedizin wirklich aufblühen und zu einer deutlich effizienteren medizinischen Versorgung und zu weniger unnötigen Wegen führen – zwischen Arzt und Patient, aber auch zwischen Arzt und Facharzt. „Damit die Telemedizin wirklich ankommt im medizinischen Alltag, braucht es eine strukturelle und gedankliche Umstellung“, so van Aalst. „Technisch ist das alles überhaupt kein Problem.“


