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Rechtliche Grundlagen und Checklisten zum Bauturbo
© Adobe Stock

Wohnungsbau-Gesetz in der Praxis

So nutzen Sie die Möglichkeiten des Bauturbo

von Rebecca Piron
Stellvertretende Chefredakteurin | KOMMUNAL
31. Oktober 2025
Der sogenannte Bauturbo ermöglicht Kommunen bis Ende 2030, von bestehenden Bauvorschriften abzuweichen und Wohnbauprojekte innerhalb von drei Monaten zu genehmigen – ohne aufwendige Bebauungsplanverfahren. Wir zeigen, wie das geht und was Kommunen beachten müssen. Am Ende des Artikels können Sie Ihre Fragen unserem Chatbot K.AI stellen.

Warum der Bauturbo notwendig wurde

Deutschland fehlen hunderttausende Wohnungen. Während das Ziel bei 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr liegt, wurden 2024 nur etwa 250.000 fertiggestellt. Ein zentrales Hindernis: Planungs- und Genehmigungsverfahren dauern viel zu lang.

  • Durchschnittliche Bebauungsplanverfahren: 5 Jahre
  • Anteil der Planungszeit an Bauprojekten: 85%
  • Tatsächliche Bauzeit: 15%

Typische Stolpersteine im bisherigen System

  1. Zeitfresser Bebauungsplan: Jede kleinere Änderung erfordert ein mehrjähriges Planverfahren
  2. Überlastete Bauämter: Personalmangel führt zu monatelangen Wartezeiten
  3. Starre Vorschriften: Bestehende Bebauungspläne verhindern sinnvolle Nachverdichtung
  4. Rechtsunsicherheit: Kommunen scheuen flexible Lösungen aus Angst vor Klagen

Folgen von Verzögerungen

  • Für Kommunen: Imageschaden, fehlende Steuereinnahmen, Abwanderung bzw. Verhinderung von Zuwanderung
  • Für Bauverantwortliche: Pro Monat Verzögerung ca. 0,5-1% höhere Finanzierungskosten
  • Volkswirtschaftlich: Jährlich mehrere Milliarden Euro durch verzögerte Projekte

Das müssen Sie wissen: Rechtliche Grundlagen kompakt

Was ist der Bauturbo?

Der „Bauturbo" ist die befristete Sonderregelung gemäß § 246e Baugesetzbuch (BauGB), die im Oktober 2025 in Kraft getreten ist und bis einschließlich Dezember 2030 gilt. Kernidee: Kommunen können mit ihrer Zustimmung von fast allen bauplanungsrechtlichen Vorschriften abweichen – wenn das Vorhaben dem Wohnungsbau dient.

Die wichtigsten Rechtsgrundlagen

§ 246e BauGB: Die Sonderregelung

Mit Zustimmung der Gemeinde kann von Vorschriften des BauGB abgewichen werden für:

  1. Neubau von Wohngebäuden
  2. Erweiterung/Änderung bestehender Gebäude zur Schaffung neuer Wohnungen
  3. Nutzungsänderung zu Wohnzwecken (zum Beispiel Gewerbe zu Wohnen)

Wichtig: Die Abweichung muss „unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar" sein.

§ 36a BauGB: Das Zustimmungsverfahren

  • Fiktive Genehmigung: Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn die Kommune nicht binnen drei Monaten widerspricht.
  • Optionale Öffentlichkeitsbeteiligung: Die Kommune kann eine einmonatige Stellungnahmefrist einräumen (dann verlängert sich die Frist auf vier Monate).
  • Unwiderruflich: Die Zustimmung kann später nur noch im Rahmen einer Klage gegen die Baugenehmigung überprüft werden.

§ 31 Abs. 3 BauGB: Befreiung vom Bebauungsplan

Erweiterte Möglichkeiten zur Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus.

§ 34 Abs. 3b BauGB: Abweichung vom Einfügungsgebot

Im unbeplanten Innenbereich kann vom Erfordernis des „Einfügens" abgewichen werden – ebenfalls mit Zustimmung der Kommune.

Ermessensspielräume und Gestaltungsmöglichkeiten

Die Kommune entscheidet:

  • ob sie den Bauturbo überhaupt anwendet (keine Pflicht!)
  • für welche Vorhaben sie ihn nutzt
  • ob eine Öffentlichkeitsbeteiligung stattfindet
  • unter welchen Bedingungen sie zustimmt

Die Kommune kann Auflagen machen: Beispiel: „Zustimmung unter der Bedingung, dass mindestens 30 Prozent geförderte Wohnungen entstehen."

Wichtige Einschränkungen

  • Nicht möglich im Außenbereich (außer in direktem räumlichem Zusammenhang zu Siedlungen)
  • Keine Umgehung von Umweltprüfungen bei voraussichtlich erheblichen Umweltauswirkungen
  • Keine Anwendung auf Industrievorhaben oder andere Nicht-Wohnprojekte

Häufige Rechtsfehler und deren Vermeidung

Fehler Folge Vermeidung
Keine überschlägige Umweltprüfung Rechtswidrigkeit der Zustimmung Immer Umweltamt einbinden
Nachbarinteressen nicht gewürdigt Evtl. erfolgreiche Anfechtungsklage Anrainer anhören, dokumentieren
Versäumnis der 3-Monats-Frist Automatische Genehmigung Fristkalender führen, Wiedervorlage
Unzureichende Begründung bei Ablehnung Klage des Bauverantwortlichen Ablehnungsgründe präzise dokumentieren

Schritt-für-Schritt-Anleitung: So wenden Sie den Bauturbo an

Phase 1: Vorbereitung und Grundsatzentscheidung

Schritt 1: Politische Willensbildung

Zuständigkeit: Bürgermeisterin/Bürgermeister, Bauausschuss, Gemeinderat

Handlungsschritte:

  1. Informieren Sie den Gemeinderat über die neuen Möglichkeiten (nutzen Sie dafür zum Beispiel die Webinare des BMWSB)
  2. Diskutieren Sie grundsätzliche Haltung: Will Ihre Kommune den Bauturbo nutzen?
  3. Definieren Sie Rahmenbedingungen:
    • Für welche Stadtteile/Gebiete kommt der Bauturbo in Frage?
    • Welche Kriterien müssen Vorhaben erfüllen? (zum Beispiel Quote für geförderten Wohnraum)
    • Wird grundsätzlich eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt?

Zu klärende Fragen:

  • Gibt es in unserer Kommune akuten Wohnraumbedarf?
  • Welche politischen Vorgaben gelten (zum Beispiel Klimaschutz, sozialer Wohnungsbau)?
  • Wie gehen wir mit möglichen Protesten um?

Schritt 2: Verwaltungsinterne Organisation

Zuständigkeit: Bauamtsleitung, Stadtplanungsamt

Handlungsschritte:

  1. Benennen Sie einen Bauturbo-Koordinator (Ansprechperson für Antragsteller)
  2. Schulen Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (auch hier können Sie auf die Online-Beratungen des Bundes zurückgreifen)
  3. Erstellen Sie interne Verfahrensanweisungen
  4. Richten Sie ein Fristenkontrollsystem ein (zum Beispiel digitaler Kalender mit Wiedervorlage)
  5. Binden Sie relevante Fachämter ein:
    • Umweltamt (für überschlägige Umweltprüfung)
    • Rechtsamt (für rechtliche Bewertung)
    • Tiefbauamt (für Erschließungsfragen)

Checkliste: Interne Vorbereitung

[ ] Koordinator benannt und bekannt gemacht

[ ] Mitarbeiter geschult (Webinar absolviert)

[ ] Fristenkontrollsystem eingerichtet

[ ] Interne Verfahrensanweisung erstellt

[ ] Zuständigkeiten im Haus geklärt

[ ] Mustervorlagen für Zustimmung/Ablehnung vorbereitet

[ ] Informationsblatt für Bauverantwortliche erstellt

Phase 2: Antragsbearbeitung und Entscheidung 

Schritt 1: Antragseingang und Vorprüfung

Zuständigkeit: Bauamts-Sachbearbeiter, Bauturbo-Koordinator

Was trifft ein:

  • Bauantrag mit Hinweis auf § 246e BauGB oder
  • Voranfrage von Bauverantwortlichen/Investoren

Sofortmaßnahmen:

  1. Empfangsbestätigung an Antragstellerinnen und Antragsteller
  2. Frist notieren: Drei Monate ab Eingang (beziehungsweise vier Monate bei Öffentlichkeitsbeteiligung)
  3. Vollständigkeitsprüfung durchführen
  4. Zuordnung zu einer Sachbearbeiterin oder einem Sachbearbeiter

Checkliste: Ist das Vorhaben Bauturbo-geeignet?

[ ] Vorhaben dient dem Wohnungsbau (Neubau, Erweiterung, Umnutzung)

[ ] Grundstück liegt im Innenbereich oder in direktem räumlichem Zusammenhang

[ ] Antrag wurde bis 31.12.2030 gestellt

[ ] Antragsteller hat explizit auf § 246e BauGB verwiesen (sonst nachfragen!)

Falls nicht Bauturbo-geeignet: Normales Baugenehmigungsverfahren durchführen

Schritt 2: Überschlägige Prüfung

Zuständigkeit: Sachbearbeiter in Zusammenarbeit mit Fachämtern

Was ist zu prüfen:

A) Überschlägige Umweltprüfung (§ 246e Abs. 1 Satz 2 BauGB)

  • Gibt es voraussichtlich zusätzliche erhebliche Umweltauswirkungen?
  • Falls ja: Strategische Umweltprüfung (SUP) erforderlich
  • Falls nein: Weiteres Verfahren möglich

Praxis-Tipp: Das Wort „zusätzlich“ ist wichtig. Wenn das Vorhaben eine bereits baulich genutzte Fläche ersetzt (zum Beispiel ein altes Gewerbegebäude zu einem Wohnhaus), sind die Auswirkungen oft nicht „zusätzlich“.

B) Würdigung nachbarlicher Interessen

  • Werden Abstandsflächen eingehalten?
  • Sind Lärmimmissionen für Nachbarn zumutbar?
  • Führt das Vorhaben zu unzumutbarer Verschattung?
  • Wird die nachbarliche Wohnsituation erheblich beeinträchtigt?

C) Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen

  • Verkehrserschließung gesichert?
  • Ver- und Entsorgung gewährleistet?
  • Vereinbarkeit mit kommunalen Entwicklungszielen?
  • Brandschutz, Denkmalschutz beachtet?

Praxis-Hinweis: Holen Sie frühzeitig Stellungnahmen der Fachämter ein. Verzögerungen entstehen meist durch lange interne Abstimmungen.

Schritt 3: Entscheidung über Öffentlichkeitsbeteiligung

Zuständigkeit: Bauamtsleitung und gegebenenfalls Bürgermeisterin oder Bürgermeister

Wann ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung sinnvoll?

  • Bei größeren Vorhaben (ab circa 20 Wohneinheiten)
  • Bei zu erwartenden Protesten
  • Wenn es politisch gewollt ist
  • Bei grundsätzlichen städtebaulichen Weichenstellungen

Vorteile:

  • Mehr Akzeptanz in der Bevölkerung
  • Frühzeitige Erkennung von Problemen
  • Geringeres Klagerisiko

Nachteile:

  • Verlängerung der Frist auf vier Monate
  • Organisatorischer Aufwand
  • Mögliche Mobilisierung von Gegnern

Wenn ja: Öffentlichkeitsbeteiligung organisieren

  1. Bekanntmachung im Amtsblatt und auf der Website
  2. Auslegung der Unterlagen (digital und/oder im Rathaus)
  3. Stellungnahmefrist: maximal ein Monat
  4. Auswertung der Stellungnahmen
  5. Würdigung in der Entscheidungsbegründung

Schritt 4: Entscheidungsfindung

Zuständigkeit: Bauamtsleitung, Rechtsamt, gegebenen falls Bürgermeisterin oder Bürgermeister, sowie Gemeinderat

Option A: Zustimmung erteilen

Voraussetzungen:

  • Alle Prüfungen positiv
  • Keine erheblichen Umweltauswirkungen
  • Nachbarinteressen gewahrt
  • Öffentliche Belange gewahrt

Dokument: Zustimmungsbescheid mit:

  • Bezug auf § 36a BauGB
  • Bezug auf das konkrete Vorhaben
  • Begründung

Option B: Zustimmung unter Auflagen

Mögliche Auflagen:

  • „Mindestens 30 Prozent der Wohnungen müssen preisgebunden sein"
  • „Erdgeschosszone muss für nicht störende Gewerbe nutzbar bleiben"
  • „Mindestens 50 Prozent der Stellplätze mit Ladeinfrastruktur"
  • „Begrünung der Dachflächen"

Option C: Zustimmung verweigern

Wichtig: Die Ablehnung muss begründet werden.

Typische Ablehnungsgründe:

  • Erhebliche Umweltauswirkungen
  • Unzumutbare Beeinträchtigung der Nachbarschaft
  • Erschließung nicht gesichert
  • Widerspruch zu kommunalen Entwicklungszielen
  • Nicht mit öffentlichen Belangen vereinbar

Option D: Nichts tun (= fiktive Genehmigung)

Achtung: Wird innerhalb von drei (beziehungsweise vier) Monaten keine Entscheidung getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt.

Wann sinnvoll? Eigentlich nie! Besser: Aktiv entscheiden, auch wenn positiv.

Phase 3: Nachbereitung und Qualitätssicherung

Schritt 1: Bescheiderteilung und Information

Zuständigkeit: Bauamts-Sachbearbeiter

Handlungsschritte:

  1. Bescheid an Bauherrn versenden (Einschreiben oder elektronisch mit Signatur)
  2. Kopie an Genehmigungsbehörde (wenn Kommune nicht selbst zuständig)
  3. Information betroffener Nachbarn (bei Zustimmung keine Pflicht, aber empfohlen)
  4. Interne Dokumentation für Monitoring

Schritt 2: Rechtsbehelfsfrist abwarten

Gegen die Zustimmungsentscheidung kann nicht direkt geklagt werden. Rechtsbehelfe sind nur gegen die spätere Baugenehmigung möglich.

Praxis-Tipp: Trotzdem empfiehlt sich eine Wartefrist von circa vier Wochen, um zu sehen, ob sich Widerstand formiert.

Schritt 3: Monitoring und Evaluation

Zuständigkeit: Bauturbo-Koordinator

Dokumentieren Sie:

  • Anzahl der Bauturbo-Anträge
  • Bearbeitungsdauer
  • Zustimmungs-/Ablehnungsquote
  • Anzahl der geschaffenen Wohneinheiten
  • Klagen/Rechtsbehelfe
  • Lessons Learned

Berichtspflicht: Das BMWSB evaluiert die Regelung bis Ende 2029. Ihre Daten helfen dabei.

 

Wie denken die Kommunen über den Bauturbo?

Bauturbo: Kommunen zwischen Aufbruch und Abwarten

Während erste Kommunen Anwendung prüfen, haben sich andere noch gar nicht mit der Sonderregelung beschäftigt. Experten fordern weitere Reformen.
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