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Glasfasernetzausbau? Eine kleine Kommune hat den Ausbau selbst in die Hand genommen!
Warten auf den Netzausbau? Eine kleine Kommune ist ihr eigener Telekommunikationsanbieter!
© Kommune Hohentengen

Surfen mit 1 Gigabyte

Glasfasernetzausbau ohne große Bauarbeiten

von Annette Lübbers
Reporterin
6. April 2023
Ohne schnelles Internet keine Digitalisierung. Das gilt besonders für den ländlichen Raum. Ein kleiner Ort in Baden-Württemberg bietet Surfgeschwindigkeiten, von denen andere nur träumen können. Wir zeigen Ihnen, wie das gelungen ist. Das Tolle: Dafür mussten keine Bagger anrücken und Straßen mussen nicht zum Ärger der Bürger tagelang gesperrt werden. In der Medizin würde man von minimalinvasiv sprechen - gerade einmal 15 Zentimeter breit und 40 Zentimeter tief wurde gefräst - und dann kam gleich wieder die Straßendecke drauf.

Alltag beim Exportweltmeister: Die höchste durchschnittliche Download-Geschwindigkeit in Deutschland liegt derzeit im Mittel bei 70,69 MB pro Sekunde. Zum Vergleich: in Chile sind es 216 MB. In völlig anderen Dimensionen bewegen sich Wirtschaft und Privathaushalte in einer knapp 4.000 Seelen zählende Kommune in Baden-Württemberg. Hier kommt das Netz in der Standardversion auf eine Downloadgeschwindigkeit von sage und schreibe 1.000 MB oder 1 Gigabyte. Klingt utopisch, ist es in den allermeisten deutschen Kommunen auch. Inklusive Telefonie-Flat und TV zahlen die Bewohner für diesen Service den marktüblichen Durchschnittspreis von 69 Euro pro Monat. Hinter diesen phänomenalen Zahlen steckt kein Hexenwerk: Nur eine ausgesprochen umtriebige Kommune, für die Digitalisierung schon lange zur Daseinsvorsorge dazugehört.

Glasfasernetzausbau: das Schnellste vom Schnellen

Bürgermeister dieser Kommune ist Martin Benz, der damals, 2006, die Vertreter eines führenden Telekommunikationsunternehmens "einfach mal so aus seinem Büro warf".  Er erinnert sich: "Die Herrschaften wollten 500.000 Euro von uns - für ein lahmes DSL-Netz." Auch die Verhandlungen mit anderen Anbietern scheiterten. "Damals haben wir als Gemeinde beschlossen: Wenn die Telekommunikationsanbieter nicht zu uns wollen, dann machen wir das Geschäft halt selbst."

Hohentengen als Paradebeispiel

Heute ist Hohentengen am Hochrhein ein Paradebeispiel dafür, was alles gelingen kann, wenn in einer Kommune alle an einem Strang ziehen. Gerade einmal zwei Ratssitzungen dauerte es bis zum einstimmigen Beschluss. Heute ist das Hohentengener Glasfasernetz 90 km lang. Mehr als 10.000 Kilometer Glasfaser wurden verbaut. Die Bürgerschaft - zu Beginn des Prozesses eher zögerlich dabei - dankt der Kommune ihr Engagement: 96 Prozent der Haushalte in Hohentengen sind Digital-Kunde bei ihrer eigenen Gemeinde.

Straße aufreißen? In Hohentengen wurde gefräst.

Kommune als Telekommunikations-Meister  

Bürgermeister Benz denkt zurück: "Als Kommune haben wir damals absolutes Neuland betreten. Zu Beginn standen erst einmal jede Menge Rechtsgutachten. Die eine Hälfte der Gelehrten erklärte: Das dürfen Sie als Kommune. Die andere Hälfte war da anderer Auffassung." Nachdem mehr als ein Masterplan verworfen wurde, läuft der Laden längst - und zwar glänzend.

Dafür sorgen der Eigenbetrieb Kommunikationstechnologie MOKO und die Betreibergesellschaft MKTH GmbH sowie ein eigenes Rechenzentrum. Mit dem über die Jahre in der Zusammenarbeit mit einem Schweizer Beratungsunternehmen erworbenen Fachwissen hilft die Kommune jetzt sogar dem Landkreis Waldshut beim Aufbau eines sogenannten Backbone-Netzes. Dieses Netz verbindet Städte und Gemeinden  – via sogenannter PoP´s (Point of Presence) untereinander mit Glasfaserleitungen und sehr hohen Übertragungsraten.  

Die praktische Umsetzung? Minimalinvasiv

In der praktischen Umsetzung hat der Kommune ein Fachmann unterstützt: Andreas Nauroth, heute Chef des kommunalen Eigenbetriebs MOKO, ist bekannt dafür, sich auch abseits üblicher Verfahren Neues einfallen zu lassen. "Bei uns sind keine Bagger angerückt und haben zum Ärger der Bürgerschaft Straßen tagelang abgesperrt und sinnfrei Gräben aufgerissen. Wir haben in Zusammenarbeit mit einer sehr guten Tiefbaugesellschaft eine Grabenfräse so umgebaut, dass sie - in der Medizin würde man von minimalinvasiv sprechen - gerade einmal 15 Zentimeter breit und 40 Zentimeter tief gefräst hat. 100 Meter am Tag wurden so geschafft - und abends war die Straße schon wieder asphaltiert." Seine Erfindung ist auch die sogenannte MOKO-Box. "Das ist eine durchdacht entwickelte Plastikbox, in der sich schön sortiert und absolut sicher die Verteiltechnik wiederfindet. Das gab es nicht am Markt, also haben wir sie selbst konstruiert."        

Auf Fördermaßnahmen warten? Es geht auch ohne!

Knapp 3 Millionen Euro hat die Kommune investiert, 465.000 Euro Stammkapital eingebracht. Der Rest der Summe wurde durch Kredite finanziert. Derzeit belaufen sich die Verbindlichkeiten noch auf 280.000 Euro und die Betreiber schreiben tiefschwarze Zahlen und das mit absolut marktüblichen Preisen. Eine Förderung des Landes Baden-Württemberg - Hohentengen sollte Modellkommune werden - über 2,25 Millionen hat die Gemeinde mal eben abgelehnt. Weil nach anderthalb Jahren der Antrag noch immer nicht genehmigt war. Ebenso für Kopfschütteln hat zwischenzeitlich im kleinen Hohentengen die große EU gesorgt. "Laut der Europäischen Union sollten wir unrechtmäßig mit öffentlichen Geldern private Investitionen behindert haben. Für die Beantwortung der offiziellen Fragen der Wettbewerbshüter hatten wir damals ganze zwei Tage Zeit. Die Fragen haben weder wir verstanden - noch das Bundeswirtschaftsministerium." Bürgermeister Martin Benz lacht. "Eine total verrückte Einschätzung. Wir haben private Investitionen verhindert? Zu uns wollte ja niemand, der ein hochmodernes Glasfasernetz hätte aufbauen können."  

Kommunales Glasfasernetz: Viel braucht es dafür nicht

Längst vorbei sind in Hohentengen die Zeiten, wo Kinder ihre Hausaufgaben nicht machen konnten, weil die Internetverbindung im Schneckentempo arbeitete. Ganz abgesehen von den horrenden Telefonrechnungen, die damit für die Eltern einhergingen. Martin Benz ermutigt andere ländliche Kommunen zum Nachahmen des Hohentengener Weges. Viel, sagt er, brauche es dafür nicht: 

Was es braucht:

  • Betriebswirtschaftlichen Denken in der Kommune,
  • eine Verwaltung, die hinter dem Projekt steht,
  • die tiefe Überzeugung, den Wandel schaffen zu können,
  • eine Bürgerschaft, die mitzieht
  • sowie intelligente Beratungsleistungen. 

Was es zu vermeiden gilt:

  • Schlechte Planungen,
  • teure Tiefbaumaßnahmen
  • sich als Kommune hinter den Spezialisten verstecken.

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