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  4. Klimaaktivisten oder Klimaterroristen?
Klimakleber Klimaaktivisten bei Sitzblockade und Polizei
Ein Bild, das in vielen Städten zu erleben ist: Hier hatten sich Klima-Aktivisten der Letzten Generation auf der Sonnenstraße in München im morgendlichen Berufsverkehr festgeklebt.
© Imago

Recht aktuell

Klimaaktivisten oder Klimaterroristen?

von Alexander Kubik
Gastautor/Rechtsanwalt
7. März 2023
Die Gruppe „Letzte Generation“ führt seit 2021 öffentlichkeitswirksame Aktionen aus: Sitzblockaden, bei denen sie sich auf Straßen oder an Fahrzeugen festkleben. Wie weit Protest eigentlich gehen darf und welche Handhabe Ordnungsbehörden und Strafjustiz haben, beschreibt der Strafrechtler Alexander Kubik für KOMMUNAL.

Die Liste ist lang: Baumhäuser werden auf Privatgelände errichtet, Kunstwerke in Museen mit Kartoffelbrei oder Tomatensauce beschmiert und es kommt zu Aktionen, bei denen sich Menschen an Dirigentenpulte oder die eigene Anklagebank festkleben. Klimaaktivisten haben jüngst vor dem Bundeskanzleramt einen Baum gefällt. Als Symbol für die Rodung von Wäldern, etwa für neue Autobahnen. Hat all dies in jedem Fall juristische Folgen? Falls ja, welche? Welche Möglichkeiten haben Ordnungsbehörden? Und: Wie sehen die strafrechtlichen Konsequenzen aus?

Grundsätzlich steht fest: Die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht sind in Deutschland ein hohes Gut. Die Klimaproteste finden ihre Schranken allerdings in den Normen des Grundgesetzes: Die Handlungsfreiheit des Einzelnen wird durch die Rechte anderer und die verfassungsgemäße Ordnung beschränkt. Das regelt Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Klimakleberaktion: Anmelden oder nicht?

Kommt es zu einer Sitzblockade von mehreren Personen, hat die Ordnungsbehörde regelmäßig davon auszugehen, dass es sich dabei um eine Versammlung handelt. Mehrere Personen haben sich mit dem Ziel der gemeinsamen öffentlichen Meinungsbildung zusammengeschlossen. Im Fall der Klimaaktivisten geht es politisch um die Ziele des Klimaschutzes. Auch wenn diese Versammlung nicht angemeldet ist, kann sie rechtlich durchaus zulässig sein. Als Spontanversammlung muss sie vorher nicht bei den Behörden angemeldet werden.

Ordnungsbehörde kann Versammlung auflösen

Die Ordnungsbehörde kann insbesondere eine nicht angemeldete Versammlung auflösen. Ob das allerdings rechtens ist, stellt sich häufig erst später heraus. So landen immer wieder Fälle vor dem Verwaltungsgericht. Schauen wir uns die Straßenblockaden an: Nach der vom Bundesverfassungsgericht bestätigten sogenannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung ist unstreitig, dass durch eine Sitzblockade auf der Straße die Verkehrsteilnehmer in der zweiten Reihe genötigt werden.

Zusätzlich ist aber immer eine einzelfallbezogene Rechtsgüterabwägung notwendig: Ist die angewendete Gewalt zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen – wie sieht das Verhältnis zwischen Zweck und Mittel aus? In die Abwägung mit einzubeziehen sind laut Bundesverfassungsgericht unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, ob sie vorher bekannt gegeben wurde, ob und welche Ausweichmöglichkeiten bestehen und ob eine Rettungsgasse gebildet werden kann. Wo findet der Protest statt? In einem hochsensiblen Bereich wie etwa in einer Sperrzone eines Atomkraftwerkes? Darüber hinaus bedarf es einer „kollektiven Unfriedlichkeit“ der Klima-Kleber-Sitzblockade, um den grundgesetzlichen Versammlungsschutz zu verlieren: Ob das Kleben an den Fahrbahnbelag oder an Gegenstände als „aggressive Ausschreitung gegen Sachen“ zu qualifizieren ist, ist bislang nicht geklärt.

Eine Klimakleberaktion - zwei Urteile

Es kommt also immer auf den Einzelfall an, ob die Polizei eine solche Aktion rechtmäßig oder womöglich unrechtmäßig beendet, also auflöst. Und es kommt auch bei der Strafbewertung immer auf den Einzelfall an. Dazu gibt es unterschiedliche Urteile. Das war sogar bei ein und derselben Aktion von Klimaaktivisten der Fall. So sprach das Amtsgericht Freiburg einen Angeklagten frei, der am 7. Februar 2022 gemeinsam mit anderen Demonstranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ in der Hauptverkehrszeit die Bundesstraße 31 in Freiburg blockierte und dadurch einen mehreren Kilometer langen Stau verursachte. Er demonstrierte für „Essen retten, Leben retten“ – und wollte damit auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen. Die Versammlung war vorher weder der Polizei bekannt gegeben worden, noch war sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden. Der Mann räumte trotz mehrfacher polizeilicher Ansprache nicht die Fahrbahn. Zwei Beamte trugen ihn schließlich von der Fahrbahn. Der Angeklagte wehrte sich nicht, er hatte sich auch nicht festgeklebt. Es war ihm also auch nicht Widerstand gegen Vollzugsbeamte vorzuwerfen – und es war auch nicht erforderlich, ihn mit Kraft und Gewalt von der Straße wegzubekommen.

Zitat Strafrechtler Alexander Kubik Insta

Darum wurde Angeklagter freigesprochen

Das Gericht entschied: Unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls waren die gewählte Form der Blockade im vorliegenden Fall und die konkrete Beteiligung des Angeklagten daran im Verhältnis zum Zweck seines Anliegens nicht als verwerflich anzusehen. Die Kosten des Verfahrens trug die Staatskasse.

Ein anderer Angeklagter, der sich bei derselben Aktion festgeklebt hatte, wurde wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt und muss die Kosten des Verfahrens tragen. Das gleiche Amtsgericht kam zu dem Schluss, dass sich der Angeklagte wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat, indem er als Teilnehmer der Sitzblockade bewirkte, dass die Kraftfahrzeugführer, die an erster Stelle vor der Ampel hielten, bei Grünlicht die Fahrt wegen der Personen auf der Fahrbahn nicht fortsetzten und damit den nachfolgenden Kraftfahrzeugführern eine Weiterfahrt unmöglich gemacht wurde.

Darum wurde Sitzblockade-Teilnehmer verurteilt

Das Verhalten der Sitzblockadeteilnehmer und damit auch des Angeklagten stellt Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB dar, so die Richterin. Die Tat des Angeklagten sei zudem verwerflich. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der einstündige Stillstand des Verkehrs vor allem dadurch erreicht wurde, dass sich drei der Demonstranten, darunter der Angeklagte, an der Fahrbahn festklebten. Zur Auflösung der Blockade mussten daher nicht nur Demonstranten weggetragen werden, es war zudem ein ärztlicher Einsatz zur Lösung der festgeklebten Hände erforderlich.

Was macht den Unterschied?

Die Richter würdigten die Kriterien jeweils anders:  Beim Freispruch wurde zugunsten des Angeklagten beispielsweise argumentiert, dass die nicht festgeklebten Teilnehmer schnell eine Rettungsgasse hätten bilden können und zudem der Klimaschutz als Staatsziel auch die nur zufällig betroffenen Verkehrsteilnehmer angehe. Im Falle der Verurteilung wurde dem Angeklagten vorgeworfen, mit dem Festkleben gezielt die Räumung behindert zu haben und mit der bloß zufälligen Auswahl der Verkehrsteilnehmer die soziale Erträglichkeit der Beeinträchtigung überschritten zu haben. Mit der Begründung, das Loslösen der festgeklebten Hände mit Lösungsmitteln erfordere - anders als das Durchtrennen von Ketten - keine erhebliche Kraftaufwendung seitens der Polizei, wurde die Strafbarkeit des Widerstands zuletzt unter anderem mehrfach vom Amtsgericht Tiergarten verneint, wenn sich die Protestierer sodann ohne Weiteres wegtragen ließen.  Diese Auffassung muss durchaus hinterfragt werden: Das Erfordernis der Gewalt dürfte nur deshalb zu verneinen sein, weil die Polizei ein milderes Mittel anwendet und die Hände nicht mit Gewalt wegreißt oder den Asphalt um die Hand herausschneidet.

Mögliches Strafmaß für Klimaaktivisten

Was droht den Klimaaktivisten strafrechtlich im Höchstfall? Das Gesetz sieht bei Nötigung eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Es kommt beim Strafmaß auch darauf an, welche Folgen das Handeln hat. Ist im Extremfall nachzuweisen, dass jemand wegen der Blockade nicht rechtzeitig versorgt wird, etwa weil der Rettungswagen nicht rechtzeitig eintreffen kann, wird die Frage nach einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, nach Körperverletzung oder gar nach einem Tötungsdelikt zu stellen sein. Dann drohen bis zu 5 Jahre Freiheitsstrafe.

Dr. Alexander Kubik  ist  Rechtsanwalt für Strafrecht bei zkkh

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