Digitale Sozialplanung
Wenn der Computer über Förderprogramme entscheidet
Digitaler Sozialbericht macht Detailanalysen möglich
„Politische Entscheidungen wurden früher oft auf Basis von allgemeinen, durchschnittlichen Werten getroffen, weil man damals detailliertere Informationen gar nicht zur Verfügung hatte“, erklärt Robert Schwerin von der Kreisverwaltung in Elmshorn. Im flächenkleinsten und zugleich mit 330.000 Einwohnern bevölkerungsreichsten Kreis des Landes Schleswig-Holstein sind diese Zeiten vorbei. „Heute machen wir mithilfe von Big Data sehr detaillierte Analysen“, sagt der studierte Soziologe.
Schwerin leitet die neunköpfige Stabsstelle Sozialplanung und Steuerung im Fachbereich Soziales, Jugend, Gesundheit, Schule und Kultur der Kreisverwaltung Pinneberg und ist der Referent des Dezernenten. Drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich um die Sozialplanung. Ein Feld, für das eine saubere und aktuelle Datenlage essenziell ist. Schwerin sieht seine Stabsstelle deshalb in der Pflicht, den Mitgliedern des Kreistages „Zahlen, Daten und Fakten für eine evidenzbasierte Politikberatung zur Verfügung zu stellen“. Evidenzbasiert, das meint auf Tatsachen und Fakten beruhend. Dafür nutzen er und sein Team einen umfangreichen Werkzeugkoffer modernster digitaler Datenanalysemöglichkeiten – seit neustem sogar bis hin zur Künstlichen Intelligenz (KI). Sie sorgen dafür, dass die Entscheider im Kreis sich bequem per App auf dem Tablet die Datensätze zusammenstellen können, die sie brauchen.
Anonymisierter Datenschatz
Dahinter steckt die Erkenntnis, dass umfangreiche Datensammlungen auch für Kommunalverwaltungen Gold wert sein können, wenn man weiß, wie man diesen Schatz intelligent hebt und verwaltet. So, wie es Google, Facebook oder Amazon schon lange vormachen. „Alle Kommunen verfügen über Big Data“, betont Robert Schwerin. „Aber sie stecken zu sehr im Silodenken fest. Da werden Daten aus dem Gesundheitsamt nicht im Jugendamt eingesetzt und andersherum.“ In der Kreisverwaltung in Elmshorn hat man sich davon verabschiedet: „Wir allein greifen schon auf weit über eine Million Datensätze zu“, sagt Schwerin. Im Gegensatz zu den Datenkraken wie Facebook und Co. legt man aber penibel Wert auf eines: „Unsere Daten sind alle anonymisiert, es sind also keine personenbezogenen Daten mehr.“ So verraten sie der Politik zwar wichtige Entwicklungen, ohne jedoch Persönlichkeitsrechte zu verletzen.
Die Datenströme fließen aus allen möglichen Quellen - von Jugendamt, Sozialamt, Schulamt, Bundesagentur für Arbeit bis hin zur Ausländerbehörde – in einen zentralen „Daten-See“. Und aus diesem See werden sie je nach Bedarf immer neu herausgefischt und miteinander unter verschiedenen Fragestellungen verbunden. „Wenn mich einer fragt, welche Daten braucht ihr denn von uns, dann sage ich immer: Alle! Weil ich nicht weiß, welche Frage oder Krise auf mich zukommt und welche Daten ich dann brauchen kann“, berichtet Schwerin.
Schnelle Infos zur Pandemiebekämpfung
In Elmshorn ist man jetzt vorbereitet: So ging es während der Covid-Pandemie einmal darum, für die Landesregierung schnell sozial prekäre Nachbarschaften zu identifizieren, in denen es sich besonders lohnen könnte, mobile Impfangebote vor Ort zu machen. „Innerhalb von vier Stunden hatten wir sieben bis acht solcher Viertel identifiziert“, berichtet Schwerin. „Ich glaube, in ganz Schleswig-Holstein hat das sonst keine Kommune geschafft, weil die Kollegen nicht an die Daten herankamen.“ Die Politik entschied sich zwar dagegen, diese Datenanalyse zu nutzen, aber technisch war sie problemlos möglich.
Mittels der digitalen Datenanalysen lässt sich jetzt auch besser nachverfolgen, ob Fördergelder die Menschen erreichen, für die sie gedacht sind. „Wir haben beispielsweise analysiert, wo die Gelder des Fördersystems ,Elternberatung in der Kita‘ hinfließen. Da sollen Eltern, die in schwierigen Lebenslagen sind, in Kitas beraten werden“, berichtet Stabsstellenleiter Schwerin. Die Daten zeigten, dass das meiste Fördergeld in die reichsten Regionen des Kreises Pinneberg floss. „Eltern mit einem hohen Bildungsgrad und einem hohen Einkommen nutzen so etwas viel eher als die, die die Politik eigentlich erreichen wollte“, erklärt Schwerin.
Georeferenzierung als Zauberwort
Datenanalysen wie diese und deren fachliche Interpretation helfen den kommunalen Entscheidern, die Mittel für soziale Belange da einzusetzen, wo sie tatsächlich gebraucht werden. „Es geht immer um eine Allokation von Mitteln“, so Schwerin. „Stichwort: Georeferenzierung. Wir wollen mit Zahlen, Daten und Fakten wichtige Fragen beantworten: Wo wohnt eine bestimmte Gruppe, wie groß ist sie? Wie hoch ist der Bedarf, wo muss was verteilt werden?“
Der Sozialplanungssoftware, die diese Fragen beantworten kann, liegt ein hauseigenes Business-Intelligence-System (BIS) zugrunde, das der Kreis Pinneberg schon länger in anderen Bereichen benutzt. Es enthält unter anderem die Haushalts- und andere Grundlagendaten. Ein externer Dienstleister hat dafür ein Zusatzmodul nach den Vorgaben der Sozialplaner programmiert. Es ermöglicht, dass alle Daten automatisiert über Schnittstellen gezogen und direkt weiterverarbeitet werden können. „Wir müssen uns so nur noch um die Interpretation kümmern, aber nicht mehr darum, die Daten einzupflegen“, erklärt Schwerin.
Mit Künstlicher Intelligenz im Datenpool
Auch mit KI-Analysen fischt man in Elmshorn im umfangreichen Datenpool. Sie können die Stabsstelle auf Korrelationen der Datensätze hinweisen und so interessante neue Analysefragen aufwerfen. Wo gibt es soziale Entwicklungen, Probleme, Zusammenhänge, die bisher noch nicht aufgefallen waren?
Robert Schwerin ist sich bewusst, dass es noch große Vorbehalte gegen Künstliche Intelligenz gibt. „Aber bei uns ist das so angelegt, dass am Ende immer die Bewertung durch Menschen steht, die sich mit den Themen auskennen“, betont der Soziologe. Denn die Sozialplanung im Kreis Pinneberg hat zwei Säulen: Neben dem „Zahlen, Daten, Fakten“-Strang gibt es auch ein partizipatives System aus Fokusgruppen zu den wichtigsten sozialen Themenbereichen. In diesen Gruppen engagieren sich ehrenamtlich insgesamt bis zu 200 „sozial erfahrene“ Personen aus dem Kreis. „Wir stellen diesen Fokusgruppen unsere Zahlen zur Verfügung und sie helfen uns mit der Interpretation“, so Schwerin. Entscheidungen treffen hier am Ende also immer Menschen, nicht Maschinen.
Arbeitsklima wie im Startup-Unternehmen
Die Stabsstelle hat es geschafft, für die Sozialplanung in vier Jahren ein BI-System hochzuziehen, sehr viele Daten einzubinden und KI an den Start zu bringen. Hilfreich sei gewesen, dass das Team in einem innovativen Klima fast wie ein Startup-Unternehmen mit eigenem Budget arbeiten und vieles ausprobieren konnte, sagt Robert Schwerin.
Die Digitaloffensive hat die regelmäßige Berichterstattung über die soziale Lage im Kreis nachhaltig verändert. Jedes Jahr vor der Haushaltsberatung des Kreistags erstellt die Stabsstelle einen Fokusbericht, der aktuelle Daten und die Anregungen der Fokusgruppen komprimiert vorstellt und Handlungsempfehlungen gibt. Auf den klassischen Sozialbericht auf Papier, der alle fünf Jahre erschien, verzichtet der Kreis inzwischen. „Es ist ein Instrument, das aus der Zeit gefallen ist. Das liest kaum einer und nach sechs Monaten ist es veraltet“, gibt Schwerin zu bedenken. Stattdessen bietet die Stabsstelle der Politik einen jährlich aktualisierten, digitalen Sozialbericht in Form einer App für Tablets an. Er zeigt rund 70 Indikatoren auf Knopfdruck an und ist damit viel näher an den Bedürfnissen der Nutzer.
Tipps für andere Kommunen
Wer anfängt, in einer Kommune ein digitales Berichtswesen im Sozialbereich aufzubauen, sollte zuerst ein leicht nutzbares, digitale Kommunikationsformat für die Politik schaffen – wie eine App oder eine Website, rät Schwerin. Parallel dazu kann man die technischen Strukturen verfeinern, die die Daten sammeln. Macht man es andersherum, dauert es womöglich zu lange, bis man etwas vorzeigen kann – und die Beinfreiheit für die Entwicklung geht verloren.
Für Schwerin ist es selbstverständlich, sich bei einem solchen Projekt Expertise von außen zu holen: „Es gibt Kommunikationsagenturen, BI-Anbieter und KI-Fachleute, die uns helfen.“ Seine Devise: Nicht das Rad neu erfinden, sondern Dinge da adaptieren, wo es sinnvoll ist. Außerdem regt er Vernetzung der Kommunen an: „Wir teilen das Knowhow mit allen Kreisen und Städten in Deutschland. Es ist nun einmal mit Steuergeldern finanziert und gehört der Allgemeinheit.“


