Kooperation
Mit einer Genossenschaft gegen den Ärztemangel
Genossenschaft zur Sicherung der Gesundheit
„Was können wir jetzt tun, um für unsere Bürger zu gewährleisten, dass es in Aalen auch in den nächsten Jahrzehnten ein umfassendes und gutes medizinisches Angebot gibt?“ – das war laut Oberbürgermeister Frederick Brütting die Frage, die zu Beginn der Überlegungen stand. Der Auslöser hierfür: Schon jetzt sind die Praxen in Aalen voll ausgelastet und Patienten bekommen schwer Termine. Die Situation wird sich noch verstärken.
Sichtung der medizinischen Landschaft
Für die Bestandsaufnahme hat man sich in Aalen im Herbst 2023 daran gemacht, die medizinische Landschaft vor Ort zu sichten „mit einem Fokus auf die Haus- und Kinderarztpraxen in den 8 Stadtbezirken, die Anzahl der Praxen und das Durchschnittsalter der Ärzte“, wie Brütting sagt. Das Ergebnis: Aktuell gibt es 32 Arztpraxen, bis 2030 werden aufgrund des Alters der Ärzte mindestens fünf davon schließen. Gleichzeitig aber wächst Aalen und wird die Einwohnerzahl bis 2030 um voraussichtlich 4.000 Menschen gestiegen sein. „Als wir diese Zahlen vorliegen hatten, war klar, dass der Handlungsdruck hoch ist“, erzählt der Oberbürgermeister. Die Ärzte mit Ämtern in den politischen Gremien hätten diesen Eindruck bestärkt.

Kommunale Ansätze gegen den Ärztemangel
Um Ärzte nach Aalen zu holen, werden von der Kommune bereits länger verschiedene Ansätze verfolgt. So erhält ein Arzt bei einer Niederlassung in Aalen einen Zuschuss von 30.000 Euro von der Stadt, zudem wird je Baugebiet eine Einheit freigehalten, um zukünftigen Ärzten trotz des angespannten Wohnungsmarktes einen Bauplatz für ihr Eigenheim bieten zu können. Ein weiterer Ansatz ist es, mit der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Praxisräume zu schaffen, die Medizinern dann zur Verfügung gestellt werden. Mit der Gründung einer Genossenschaft ist nun ein weiterer Baustein hinzugekommen.
Genossenschaft soll auf veränderten Arbeitsmarkt reagieren
Der Anlass für die Gründung einer Genossenschaft war die veränderte Situation am medizinischen Arbeitsmarkt. So herrscht dort nicht nur ein deutlicher Fachkräftemangel, der in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch zunehmen werde. Darüber hinaus haben sich die Ansprüche und Wünsche der Mediziner gewandelt. „Während Ärzte früher oft ihr Leben lang Vollzeit gearbeitet und eine Praxis geführt haben, wollen heute viele lieber in einem Angestelltenverhältnis bleiben, Teilzeit arbeiten und keine so umfassende Verantwortung mehr für eine komplette Praxis übernehmen“, sagt Brütting. Deshalb habe man sich in Aalen mit der Frage beschäftigt, „wie eine Netzwerkstruktur und eine Rechtsform geschaffen werden können, mit der Sitze erworben und Ärzte angestellt werden können".
Genossenschaft statt GmbH
Das Besondere an der Entwicklung in Aalen: Gemeinsam mit der Kommune haben sich auch etliche Ärzte untereinander organisiert, um eine neue Struktur zu schaffen. So haben sich schließlich 13 Ärztinnen und Ärzten aus fünf Praxen, die Stadt Aalen sowie die Gemeinde Hüttlingen in Form einer Genossenschaft zusammengeschlossen und im Mai 2024 die Genossenschaft KocherMED eG gegründet. Der Gemeinderat der Stadt Oberkochen erwägt inzwischen auch, dazuzukommen. Die Rechtsform der Genossenschaft wurde nach längeren Abwägungen bewusst gewählt und vom Gemeinderat mit großer Mehrheit angenommen, so Aalens Bürgermeister. Eine GmbH war zuvor ausgeschlossen worden. Der Grund: „Wir wollen als Stadt eine Struktur schaffen, die nicht gewinnorientiert handeln muss“, sagt Brütting, zudem sollten alle Mitglieder das gleiche Stimmrecht haben.
Geschäftsführer soll medizinisches Versorgungszentrum aufbauen
Der Gründungsprozess der gemeinwohlorientierten Genossenschaft wurde von der Stadt Aalen mit 10.000 Euro und vom Ostalbkreis mit 30.000 Euro unterstützt. Als Kapitalgrundlage haben alle Mitglieder zudem eine Einlage von 2 mal 1.500 Euro geleistet. Für zukünftige Projekte kann die Genossenschaft laut Brütting ihr Eigenkapital erhöhen oder auch Kredite aufnehmen. Die inhaltlichen Entwicklungen sollen von einem Geschäftsführer geleitet werden, dessen Aufgabe es mittelfristig ist, ein medizinisches Versorgungszentrum aufzubauen. Dabei handelt es sich erst einmal nicht um ein Gebäude, sondern um eine Form, bei der Ärzte in Anstellung, in Teilzeit und in größeren Teamstrukturen arbeiten können und Synergieeffekte bei bestimmten Bereichen genutzt werden können. Darin liegt auch die Chance für die an der Genossenschaft beteiligten Ärzte. „Diese haben durch die Genossenschaft die Möglichkeit, ihre Struktur Stück für Stück in ein MVZ einzubringen und dadurch weniger Haftungsrisiken zu haben und Dienstleistungen und Verwaltung abgeben zu können“, sagt Brütting.
Verantwortung als Kommune
Bis es soweit ist und die ersten Ärzte in Aalen bei einem medizinischen Versorgungszentrum der Genossenschaft in Anstellung gehen werden, wird es laut Brütting wohl noch etwas dauern, doch schon ab 2025 sollen die ersten Strukturen eines solchen Zentrums greifen. „Das ist ein Prozess über Jahre“, sagt der Bürgermeister, aber der wichtigste Schritt sei geschafft. „Wir haben mit der Genossenschaft eine Struktur geschaffen, die absichert, dass die jetzt bestehenden Praxen nicht verloren gehen und die bestehenden Sitze nicht zurückgegeben werden“, sagt Brütting. Zwar würde die Genossenschaft das Problem des Fachkräftemangels nicht lösen, aber durch die besondere Struktur könnten in Aalen in Zukunft attraktivere Arbeitsplätze für Mediziner angeboten werden. So müssten die Ärzte nicht mehr das totale Risiko eingehen und die komplette Verantwortung tragen. Dass die Stadt Aalen dabei selbst aktiv geworden ist, ist aus Sicht von Brütting selbstverständlich. „Die Gesundheit ist ein öffentliches Gut. Als Kommune haben wir hier eine Verantwortung und wollen helfen.“

