Kommune
Das Büsumer Modell gegen Ärztemangel
Ärztemangel - Büsumer Modell entsteht
2014 standen den knapp 5.000 Büsumern noch fünf Hausärzte zur Verfügung. Doch: Damals war der Jüngste 57 und die anderen vier fast im Rentenalter. Alle alteingesessenen Ärzte und Ärztinnen arbeiteten eigenverantwortlich in mehreren Praxen, aber in einem Gebäude. Mediziner-Nachwuchs war nicht in Sicht.Die Gemeinde musste reagieren, aber wie? Heutzutage wollen nur noch wenige Ärzte und Ärztinnen selbstständig arbeiten, so die Erfahrung der Kommune. Zu teuer die Investitionen und die laufenden Kosten. Eine moderne Work-Life-Balance ist als selbstständiger Hausarzt fast nicht hinzubekommen. Kurzerhand beschloss die Kommune 2015 ein Gebäude, in dem sich die Arztpraxen befanden, zu kaufen. Sie baute das Haus zu einer großen Praxis mit einer angestellten Ärztegemeinschaft um. Unterstützt wurde die Gemeinde von einer Projektgruppe mit dem damaligen Geschäftsführer der Westküstenkliniken. Die kassenärztliche Vereinigung (KVSH) entwickelte die Idee zur Gründung einer Kommunalen Ärztlichen Eigeneinrichtung mit. Die Ärztegenossenschaft Nord eG entwarf die Projekt- und Businesspläne. Das Management übernahm eine gGmbH, also eine gemeinnützige Gemeinschaft mit begrenzter Haftung.
Gesundheitshaus als zentrale Anlaufstelle
Derzeit arbeiten sechs Ärzte und Ärztinnen in der Praxis. Die Dienstleistungen in dem bereits mehrfach angebauten Gebäude können sich sehen lassen: eine Apotheke, ein Kurmittelhaus, ein Fitnessstudio, die kassenärztliche Vereinigung, ein Veranstaltungsraum und ein Sanitätshaus. Außerdem bieten eine Psychologin und ein Heilpraktiker ihre Dienste an. Bürgermeister Hans-Jürgen Lütje sieht in dem Gesundheitshaus viele Vorteile: „Als zentrale Anlaufstelle funktioniert der Betrieb hervorragend. Die Ärztinnen und Ärzte können einander vertreten und alle medizinischen Unterlagen sind sofort verfügbar. So wird eine ganzheitliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger sichergestellt und die langen Öffnungszeiten tragen zusätzlich zur Zufriedenheit bei.“

Wir sind für den Mediziner-Nachwuchs interessanter als andere Kommunen.“
Kostengünstig war der Einstieg der Kommune nicht. „Für Umbauten und Anbautenhaben wir sieben Millionen Euro investiert. Diskussionen in der Gemeindevertretung gab es natürlich, aber letztendlich sahen wir keinen anderen Weg.“ Mittlerweile umfasst das Investitionsvolumen fast 10 Millionen Euro. Aber die Kommune konnte auch Förderungen des Landes Schleswig-Holstein in Anspruch nehmen. Die Projektentwicklung selbst wurde von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) mit rund 30.000 Euro bezuschusst. Im Rahmen des PORT-Programms – Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung – erhielt Büsum von der Robert Bosch Stiftung 2017 bis 2020 insgesamt 500.000 Euro.

Laura Lüth, die Geschäftsführerin der Ärztegenossenschaft Nord eG, die das Management der gGmbH innehat, erklärt: „Um ein kommunales Ärztezentrum zu gründen, muss die Kommune die gesundheitliche Versorgung ihrer Bürgerinnen und Bürger als Teil der Daseinsvorsorge verstehen und jeder Gemeindevertreter muss sich dann auch im Klaren darüber sein, dass für ein solches Vorhaben Steuergelder genutzt werden, welche ein beitragsfinanziertes System subventionieren.“ Der Bürgermeister ergänzt: „Durch die Vermietungen schreiben wir fast schwarze Zahlen. Auch das kommunale Hausarztzentrum erwirtschaftet den für den Strukturerhalt nötigen Finanzbedarf aus dem Geschäftsbetrieb mit angestellten Ärzten. Die Verluste im Jahr – etwa 20- bis 30.000 Euro – ist uns das Projekt wert. Außerdem: Für sich allein hat unser altes Kurmittelhaus jährlich 1,5 bis 2,5 Millionen Euro Verluste im Jahr geschrieben.“

Das Büsumer Modell ist eine Investition
in die Zukunft.“
Laura Lüth, Geschäftsführerin der Ärzte- genossenschaft Nord eG
Das Management der gGmbH propagiert mit dem medizinischen Zentrum in kommunaler Hand und mit angestellten Ärztinnen und Ärzten eine intersektorale und interprofessionelle Zusammenarbeit. „Investition in die Zukunft“, nennt das Laura Lüth und sieht das Büsumer Modell als einen möglichen Lösungsansatz gegen den Ärztemangel gerade im ländlichen Raum. „Es gibt viel Verständnis dafür, dass viele junge Mediziner und Medizinerinnen die Risiken, die mit einer Selbstständigkeit verbunden sind, mehrheitlich scheuen. Aber bei diesem Verständnis darf es nicht bleiben. Wir schaffen hier Raum für Ärztinnen und Ärzte, die sich um Patientinnen und Patienten kümmern wollen, ohne sich darum kümmern zu müssen, wer Software-Probleme löst oder den Drucker repariert. Das erledigen wir als Managementgesellschaft.“ Von dieser Arbeitsteilung ist auch der Büsumer Bürgermeister voll überzeugt: „Mit diesem System fällt es uns deutlich leichter als anderen Kommunen, für den Nachwuchs interessant zu sein. Als Kommune nur Vergünstigungen für Darlehen im Bereich Praxisausstattungen anbieten – das reicht heute einfach nicht aus.“ Laura Lüth betont: „Selbst Fortbildungen für das Fachpersonal lassen sich in unserem Zentrum aufgrund der Größe der Einrichtungen viel leichter organisieren.“ Trotz aller Vorteile, sagt sie, blieben die kommunalen Zentren für Ärztegenossenschaften aber immer eine „Notlösung“.
Büsumer Modell als Vorbild für andere Kommunen
Vorbilder für das kommunale Projekt hatte Büsum damals keine. Stattdessen wurde aus dem Engagement der Kommune das sogenannte „Büsumer Modell“. Seitdem sind viele Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus der ganzen Republik ins kleine Büsum gekommen, um sich das Projekt anzusehen, viele kopierten es. Bürgermeister Hans-Jürgen Lütje relativiert die Kopierfähigkeit des „Büsumer Modells“ denn doch ein wenig: „Wir hatten hier den Vorteil, dass das Gebäude schon vorher von mehreren Ärztinnen und Ärzten genutzt wurde. Das hat uns die Neugestaltung relativ einfach gemacht.“ Die Kommune will sich auf dem Erreichten keineswegs ausruhen und Platz für Veränderungen soll es auch zukünftig geben. Bürgermeister Hans-Jürgen Lütje: „Drei unserer Ärzte und Ärztinnen wollen 2024 selbstständig werden, während die anderen weiter beschäftigt bleiben. Das war als Möglichkeit auch immer eingeplant. Wir finden: Das ist ein charmantes Resultat unserer Arbeit.“


