Bewerber richtig auswählen
Schöffenwahl: Das rät ein Experte Kommunen
Schöffenwahl – enorme Macht und Verantwortung
„Beim Schöffenamt handelt es sich um ein Ehrenamt, das wie kein anderes in die Rechte der Bürger eingreift“, sagt Hasso Lieber, der Gründer und Leiter von „Partizipation in der Justiz“ (PariJus), einer gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung zivilgesellschaftlicher Teilhabe mbH. Lieber war in den vergangenen Jahrzehnten als Rechtsanwalt, vorsitzender Richter am Landgericht Bochum und Staatssekretär für Justiz tätig und hat sich intensiv mit dem Einsatz ehrenamtlicher Richtern befasst. Heute gibt er als Geschäftsführer von PariJus unter anderem Schulungen für kommunale Mitarbeiter und bemüht sich um Aufklärung über die besonderen Herausforderungen und die enorme Verantwortung, die mit dem Schöffenamt einhergehen.
Schöffen können Berufsrichter überstimmen
Laut Lieber ist der Einfluss eines Schöffen enorm: So entscheidet er bei einem Urteil wesentlich mit, zum Beispiel, ob jemand ins Gefängnis muss, seinen Beruf verliert oder eine heftige Geldstrafe zahlen muss. Grundsätzlich nehmen die Schöffen an der Hauptverhandlung in gleichem Umfang und mit gleicher Stimme teil wie die Berufsrichter. Dabei können die Schöffen je nach Gewichtung die hauptamtlichen Richter teilweise sogar überstimmen – „Das ist eine unglaubliche Macht“, so Lieber.

Zentrale Kontrollfunktion der Kommunen durch die Auswahl der Schöffen
Die Hauptverantwortung für die Auswahl der Schöffen tragen aus Sicht von Lieber die Kommunen und entsprechend wichtig ist ihre Kontrollfunktion. Der Hintergrund: Die Kommunen stellen die Vorschlagslisten für die Schöffenwahl zusammen und müssen hierzu mindestens doppelt so viele Vorschläge zusammentragen, wie tatsächlich Schöffen gebraucht werden. Die Vorschlagsliste selbst muss in Folge vom Rat mit einer Zweidrittel-Mehrheit abgesegnet werden. Ist dies geschehen, geht die Liste an den Schöffenwahlausschuss, der aus den Vorschlagslisten die benötigte Zahl von Haupt- und Ersatzschöffen an den Amts- und Landgerichten für die nächste fünfjährige Amtszeit auswählt.
Wer gelangt auf die Liste für die Schöffenwahl?
„Die entscheidende Frage ist: Wer gelangt auf die Liste?“, sagt Lieber. Wer also erscheint der Kommune würdig und stabil, um ein derart anspruchs- und machtvolles Amt wie jenes des Schöffen auszuüben? In kleineren Kommunen tue man sich nach Erfahrung von Lieber bei dieser Entscheidung und Auswahl verhältnismäßig leicht, schließlich kennt man sich untereinander und hat ein Gefühl dafür, wer für ein solches Amt passen könnte. In Großstädten aber sei die Auswahl oft ein rein formales Geschäft. „Teilweise werden die vorgeschlagenen Kandidaten mit dem Zufallsgenerator aus dem Einwohnermelderegister heraus geholt“, so Lieber – aus seiner Sicht ein fataler Fehler. „So hat man als Kommune überhaupt keine Kontrolle, wen man hier vorschlägt“ und es sei ausgesprochen schwierig, problematische Menschen zu erkennen und herauszufiltern. Ein Problem sei zudem: „Wenn Kommunen händeringend Leute suchen, ist die Chance für Links- oder Rechtsextreme höher, an ein solches Amt zu gelangen“. So erhalte er zunehmend Rückmeldung von Kommunen, die berichten, dass sich häufiger Reichsbürger melden würden. Gleichwohl handele es sich hierbei um kein Massenproblem, wie Lieber betont.
Wie sollen Kommunen am besten vorgehen?
Geht es um die Auswahl geeigneter Bürger, ist Liebers erster Rat an die kommunalen Stellen: „nicht einfach aus dem Einwohnermelderegister Leute rausziehen und die Aufgabe auch nicht auf die Fraktionen verteilen – das bringt nur Ärger und keinen guten Querschnitt“. Stattdessen solle man sich als Kommune genau überlegen, wie jemand persönlich aufgestellt sein sollte, um für das Schöffenamt geeignet zu sein. Mit diesem Profil eines idealen Schöffen sollte sich die Kommune dann an verschiedene gesellschaftliche Organisationen in der Region wenden, die wiederum einen Überblick über ihren Mitgliederkreis haben. „Das kann der Sportverein, die Arbeiterwohlfahrt, das Jugendzentrum oder eine kirchliche Initiative sein“, so Lieber – all solche Institutionen seien deutlich näher dran an ihren Mitgliedern und könnten von der Kommune gebeten werden, nach geeigneten Kandidaten Ausschau zu halten.
Profil eines geeigneten Schöffen
Neben den zeitlichen Rahmenbedingungen braucht es für die verantwortungsvolle Ausübung des Schöffenamts vor allem eine „hohe soziale Kompetenz“, wie Lieber feststellt. So sollte man als Schöffe gut mit Menschen umgehen und sie einschätzen können und dabei helfe Lebenserfahrung ebenso wie Berufserfahrung. „Schöffen müssen bewerten können, ob jemand die Wahrheit sagt, irrt oder lügt“ und dabei gebe es viele Aspekte abzuwägen, die mit einem Jurastudium gar nichts zu tun hätten.
Anspruchsvolles Ehrenamt – auch zeitlich
Grundsätzlich sieht das Gerichtsverfassungsgesetz vor, dass in den Wahlausschüssen alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen berücksichtigt werden sollen. Allerdings geht Eignung vor sozialer Zugehörigkeit und weiß Lieber aus der Praxis: „Ein Schöffenamt ist sehr intensiv und erfordert bestimmte Lebensverhältnisse, ansonsten ist es schwer vereinbar“. Schließlich müsse man als Schöffe bei der Hauptverhandlung „von der ersten bis zur letzten Stunde mit dabei sein“ – dies sei je nach Beruf und Familiensituation mitunter schwer einzurichten. Zumal man als Schöffe nicht steuern könne, ob man Hauptschöffe wird oder Ersatzmann, ob man am Amts- oder Landgericht eingesetzt wird und welche Verfahren man begleitet. All das wird ausgelost und vom Ergebnis hängt massiv ab, wie zeitintensiv das Ehrenamt ist.
Falsche Vorstellungen in der Bevölkerung
Nach Erfahrung von Lieber herrschen in der Bevölkerung mitunter falsche und „recht romantische“ Vorstellungen vom Schöffenamt vor und entsprechend wichtig sei eine realistische Beschreibung, auch durch die Kommunen. „Viele denken, die Schöffen haben wenig zu sagen, weil sie ja nicht Jura studiert haben“, so Lieber. Dabei handle es sich beim Schöffenamt keineswegs nur um „ein demokratisches Mäntelchen, sondern um echte Mitwirkung an den Entscheidungen der Dritten Gewalt gegenüber Angeklagten, Geschädigten und Öffentlichkeit“, so Lieber. Damit einher geht eine „unglaubliche Verantwortung und das bedeutet im privaten wie beruflichen Umfeld durchaus Einschränkungen“.
Schöffen bringen wichtige andere Perspektiven mit ein
Gleichwohl Hasso Lieber deutlich auf die Herausforderungen des Schöffenamtes aufmerksam machen möchte, ist dieses Ehrenamt für das Justizwesen aus seiner Sicht ausgesprochen bedeutsam. „Es ist sehr sinnvoll, Menschen mit praktischer Lebenserfahrung hinzu zuholen als Ergänzung und dadurch verschiedene Blickwinkel einzubinden in die Entscheidungsfindung“, so Lieber. Schließlich sei ein Einzelrichter mitunter seinen eigenen Befangenheiten ausgeliefert und gehöre zum Richterdasein keineswegs nur der Abschluss eines Jura-Studiums. „Was ist geschehen? – das ist in einem Verfahren meist die erste Frage. Wenn das geklärt ist, muss man abwägen, wie mit dem Menschen weiter umgegangen wird. Was also ist Recht, gerecht und richtig?“, so Lieber. Bei dieser schwierigen Entscheidung bringen die Schöffen als Unbefangene eine wichtige andere Perspektive mit ein und nicht selten auch eine Lebenserfahrung, über die gerade junge Richter nicht verfügen. Wie wertvoll das sein kann, weiß Hasso Lieber auch aus eigener Erfahrung. So sagt er: „Ich war selbst lange Schöffenrichter und wurde zwar nie überstimmt, aber oft überzeugt.“
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